Eine Recherche sorgt für Diskussionen: Laut der Tierschutzorganisation Tier im Fokus (TIF) setzt die Migros weiterhin auf Masthühner der Qualzuchtlinie Ross 308. Diese Tiere wachsen in nur 37 Tagen auf mehr als das 50-Fache ihres Geburtsgewichts an – mit gravierenden Folgen, so TIF. Knochenverformungen, Atemnot und chronische Schmerzen seien die Folge. TIF unterstützt deshalb die Strafanzeige des Observatoire du spécisme beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) und fordert ein landesweites Verbot solcher Zuchtlinien.
Aufnahmen aus der Waadt zeigen das Tierleid
Aufnahmen aus einem Betrieb in der Waadt, die das Observatoire du spécisme im Sommer 2025 gemacht hat, sollen das Leid der Tiere zeigen. Manche Hühner könnten nur noch zum Wasser robben, andere würden zusammenbrechen und zwischen den Lebenden verenden. Tote Tiere würden daher mitten in den Ställen liegen. Wie TIF schreibt, würden Studien diese Beobachtungen bestätigen: Ross-308-Hühner sterben deutlich häufiger als weniger stark gezüchtete Rassen.
«Diese Hühner werden für die Profite der Fleischindustrie zu Tode gezüchtet», kritisiert Tobias Sennhauser, Berner Stadtrat und Mediensprecher von TIF. Besonders stossend sei, dass internationale Konzerne wie LDC, Burger King Frankreich oder Nestlé bereits angekündigt hätten, künftig auf schnell wachsende Rassen zu verzichten – Migros jedoch halte unbeirrt an Ross 308 fest. «Für die grösste Detailhändlerin der Schweiz ist das ein Skandal», so Sennhauser.
Anzeige beim BLV und Petition ans Parlament
Das Observatoire du spécisme begründet die Anzeige beim BLV mit einem Verstoss gegen das Schweizer Tierschutzgesetz. Parallel lanciert die Organisation eine Petition ans Parlament. Ihr Ziel: ein landesweites Verbot von Masthybriden mit extremem Wachstum.
Migros verweist auf Branchenstandards
Die BauernZeitung hat die Migros mit diesen Vorwürfen konfrontiert. Die Tochtergesellschaft Micarna verweist darauf, dass es sich um ein branchenweites Thema handle. «Die überwiegende Mehrheit der in der Schweiz gehaltenen Masthühner gehört der genannten Rasse an. Dieses Thema betrifft daher die gesamte Branche und nicht ausschliesslich die Migros», heisst es.
Aufgrund des Geschäftsgeheimnisses könne man aber keine detaillierten Angaben zu den eingesetzten Hühnerrassen machen. Fragen dazu seien in erster Linie Sache der Landwirtschaft und der Branchenorganisationen, für weiterführende Informationen verweist Migros auf das BLV und das Aviforum.
Auf Anfrage der BauernZeitung erklärt David Zumkehr, Direktor Aviforum: «Entscheidend sind objektive Kriterien und nicht irgendwelches womöglich illegal erstelltes Bildmaterial. Die Mortalität, das Vorkommen kranker und lahmer Poulets sowie der korrekte Umgang mit solchen Tieren sind zentrale Punkte bei Tierschutzkontrollen.» Diesbezüglich habe ein flächendeckendes, dreijähriges Kontrollprogramm des BLV erfreuliche Resultate gezeigt. «Nur bei 0,9 % der Betriebe kam es in diesem Bereich zu Beanstandungen, obwohl überwiegend Betriebe mit schnell wachsenden Poulets kontrolliert wurden», so Zumkehr.
Die Haltungsbedingungen erfüllen die Anforderungen des BTS-Programms
Gleichzeitig betont die Migros, dass die Haltungsbedingungen ihrer Poulets die Anforderungen des BTS-Programms (besonders tierfreundliche Stallhaltungssysteme) erfüllten. Dazu gehören Aussenklimazonen, Sitzstangen, Tageslicht und eingestreute Böden. «Unser Unternehmen unterstützt die Züchterinnen und Züchter aktiv beim Bau und Betrieb von Hühnerställen und stellt durch kontinuierliche Kontrollen sicher, dass die Vorgaben konsequent eingehalten werden», erklärt die Migros.
Migros zweifelt an den veröffentlichten Aufnahmen
Zu den Bildern aus der Waadt nimmt der Konzern keine direkte Stellung. «Zu Aufnahmen, die durch unbefugtes Betreten von Betrieben entstanden sind, können wir weder die Echtheit noch den Aufnahmeort verifizieren», schreibt die Migros. Man betont, dass die Produzenten unabhängige Unternehmen seien, die gesetzliche Vorgaben und Migros-Standards einhalten müssten. Durch regelmässige Kontrollen werde das überprüft.
Migros soll Kontakt mit den Tierschützern gesucht haben
Wegen der brisanten Aufnahmen hat Migros nach eigenen Angaben den Kontakt mit dem Observatoire du spécisme gesucht. Ziel sei es, die Identität des betroffenen Mastbetriebs zu klären und sicherzustellen, dass die Richtlinien eingehalten würden. Falls nötig wolle man den Betrieb dabei unterstützen, die Haltungsbedingungen zu verbessern. «Kein Akteur innerhalb der Wertschöpfungskette hat ein Interesse an einer schlechten Haltung oder einer erhöhten Sterblichkeit der Tiere», hält die Migros fest.