Es beginnt mit einem Surren, kaum wahrnehmbar, irgendwo am Rand einer Weide. Ein winziges Insekt, vielleicht eine Gnitze, setzt zur Landung an. Was wie eine belanglose Alltagsszene erscheint, kann unter bestimmten klimatischen Bedingungen der Beginn eines Tierseuchenzuges sein. Klimaveränderungen schaffen neue Voraussetzungen für die Ausbreitung vektorübertragener Krankheiten – und machen damit selbst die hochregulierte Schweiz verwundbar.
Klimawandel als Stressfaktor für Tiergesundheit
Der Klimawandel verändert die Spielregeln der Tiergesundheit grundlegend. In der Schweiz steigen die Sommertemperaturen kontinuierlich an, was laut dem Bericht des National Centre for Climate Services (NCCS, 2018) bis Mitte Jahrhundert zu einer Zunahme von Hitzetagen, Trockenphasen, Starkniederschlägen und einer Verschiebung der Nullgradgrenze um mehrere Hundert Höhenmeter führen wird. Diese Entwicklungen greifen tief in die Produktionsbedingungen der Nutztierhaltung ein: Stallklima, Futterversorgung, Wasserverfügbarkeit und Tierwohl werden zunehmend wetterabhängig. In dieser neuen Realität kommt es nicht nur zu Stress und Leistungseinbussen bei den Tieren, sondern auch zu einer Veränderung der epidemiologischen Landschaft.
Vektoren auf dem Vormarsch
Besonders kritisch ist die neue Rolle der sogenannten Vektoren – Insekten, die Viren wie das der Blauzungenkrankheit oder der Afrikanischen Pferdepest übertragen können. Diese Gnitzen reagieren direkt auf klimatische Parameter wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Wind. Entscheidend dabei ist, dass sich die Krankheitserreger zunehmend an lokal vorkommende Arten anpassen. Damit ist der geografische Schutzschild Europas – der früher durch klimatische Schranken bestand – faktisch durchlässig geworden.
Die Schweiz ist nicht immun
Diese Entwicklung bleibt für die Schweiz nicht ohne Folgen. Die Blauzungenkrankheit etwa, ein Paradebeispiel für vektorvermittelte Ausbreitung unter klimatischen und globalisierungsbedingten Einflüssen, trat erstmals 2006 nördlich der Alpen auf. Die Krankheit gelangte via klimatisch begünstigte Vektoraktivität auch in Schweizer Herden. Dieses Beispiel zeigt uns hautnah, wie schnell sich neue Tierseuchen etablieren können, sobald sie über die Grenze gelangen.
Neue Bedrohung: Lumpy Skin Disease
Nun steht die Schweiz vor einer neuen, weitreichenden Herausforderung, die die Bedrohung durch die Blauzungenkrankheit noch übersteigt: Lumpy Skin Disease (LSD). Sobald sie in einem Bestand ausbricht, bedeutet das die Keulung der gesamten Herde. Die Schweiz hält an ihrer Grenze zu Frankreich das Schild der Impfung hoch und beobachtet aufmerksam, was sich jenseits der Grenze tut.
Schwächen im europäischen Seuchenschutz
Doch was passiert, wenn das Virus trotzdem den Weg zu uns findet? LSD ist eine hochansteckende Viruserkrankung beim Rind, deren Ausbreitung in den letzten Monaten in Europa deutlich zeigt, wie verletzlich man ist, wenn Bekämpfungsmassnahmen in Nachbarländern lückenhaft sind. Die Ausbreitung von LSD in Italien war insbesondere durch administrative Verzögerungen und unkoordinierte Massnahmen geprägt. Damit war der epidemiologische Druck auf die Schweiz unmittelbar erhöht – eine Herausforderung, selbst für ein Land mit dichten veterinärmedizinischen Kontrollstrukturen. Die Aussage «Seuchen kennen keine Grenzen» erhält vor diesem Hintergrund eine neue Dringlichkeit.
Ein systemischer Wandel
Diese Entwicklungen lassen sich nicht als zufällige Einzelereignisse betrachten, sondern sind Ausdruck eines komplexen Systemwandels. Die Gleichzeitigkeit von Klimawandel, Globalisierung und biologischer Anpassungsfähigkeit von Krankheitserregern schafft eine Dynamik, die nicht mehr national begrenzbar ist.
Tiergesundheit braucht globale Antworten
Der Schutz der Tiergesundheit kann künftig nicht mehr unabhängig von Klimapolitik, Handelsverhalten und internationalen Beziehungen gedacht werden. Der Klimawandel ist damit nicht nur eine Frage des Wetters, sondern eine tiefgreifende Herausforderung für das gesamte veterinärmedizinische Schutzsystem – in der Schweiz und darüber hinaus.
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