Leerfleischige männliche Milchrassenkälber stehen als Nebenprodukt der Milchproduktion auf dem Abstellgleis. Ihre Futterverwertung ist im Vergleich zu ihren männlichen Mastrassenkälbern ineffizienter. Im Biosektor ist diese Problematik noch akzentuierter als auf konventionellen Betrieben, da Bio Suisse das Spermasexing untersagt und weil der Bio-Milchpreis zwar hoch ist, der Bio-Bankkälberpreis aber tief. «Aktuell kennen wir die genaue Zahl von Biokälbern, die in die konventionelle Kälbermast gelangen, nicht», man arbeite jedoch an der Datenbasis, so David Herrmann, Sprecher von Bio Suisse. Experten schätzen allerdings, dass von den rund 30 000 Bio-Milchrassenstierkälbern schlussendlich circa 20 000 in der konventionellen Kälbermast landen.

Gemäss Bio Suisse würden nur «einige tausend Biokälber effektiv als Biokalb vermarktet oder direkt ab dem Biobetrieb bei der Schlachtung in einem anderen Labelkanal verwertet», so Herrmann. Dabei sei gerade im Herbst die Nachfrage nach Biokalbfleisch grösser als das Angebot.

«Biokälber verschwinden von der Bildfläche»

Das Problem dieser Praxis ist, dass auf dem konventionellen Kälbermastbetrieb der Grossteil der Tränker einer systematischen Antibiotika-Gruppenbehandlung (Einstellprophylaxe) unterzogen würden, damit sie das Immunloch überstünden, mahnt Eric Meili, ehemaliger Berater vom FiBL. Dies sei indes eine zu behebende Situation, da rund  25%  des gesamten Antibiotikaverbrauchs der Kälbermast und der Tränkephase in der Grossviehmast zuzuschreiben sei, so Meili. Diese Zahl lässt sich auch  dem Faktenblatt Tierproduktion der Agridea entnehmen. Obwohl man das Immunloch mit der branchenspezifischen 21-Tage-Regelung (Kälber müssen mind. 21 Tage auf dem Geburtsbetrieb gehalten werden) zu überbrücken versucht hat, ist der hohe Antibiotika-Einsatz auf den Mastbetrieben dennoch ein realer Kritikpunkt dieser Systeme. «Und», fügt der Rindvieh-Experte hinzu, «die Biokälber verschwinden so mehrheitlich von der Bildfläche».

Problem nur symptomatisch bekämpft

Seiner Meinung nach wird auch nichts Nützliches dagegen unternommen. Mit dem Kälbergesundheitsdienst (KGD), oder Initiativen wie PathoCalf, ImproCalf oder der Strategie Antibiotikaresistenzen (StAR) seien zwar zumindest Lösungsansätze geschaffen worden, das Grundproblem der Biokälber werde so aber nur symptomatisch bekämpft, ist Eric Meili überzeugt.

150 Tage auf Geburtsbetrieb abtränken

Für den Agraringenieur liegt die Lösung dieses bekannten Problems der Biobranche auf der Hand: «Tränker sollen nicht mit 75 kg Körpergewicht gehandelt, sondern auf dem Geburtsbetrieb abgetränkt werden.» Man dürfe das Problem der männlichen Milchrassen-Biokälber nicht auf die konventionelle Mast abschieben, plädiert Meili. Würde man das Problem an der Wurzel anpacken wollen, müsste man das Immunloch der anfälligen Tränker überbrücken, indem man die Jungtiere mindestens fünf Monate auf dem Geburtsbetrieb hält. Dabei würden sie ein Lebendgewicht von 175–200 kg erreichen. Dafür ist zwar viel Milch notwendig (rund 800 kg), dies würde sich aber trotzdem lohnen, da die Gesundheitskosten so deutlich reduziert würden, ist einer Vollkostenrechnung des Magazins  Bio-Aktuell zu entnehmen.

Ein wichtiger Betriebszweig für manche Betriebe

Warum sich Milchviehbetriebe mehrheitlich dagegen entscheiden, hat einerseits offensichtliche Gründe, wie den Erhalt dieses Betriebszweiges auf Milchviehbetrieben, die so ihre Überschussmilch verwerten oder für Betriebe, die Milch ausschliesslich für die Mast von Kälbern produzieren. Andererseits sei das Abschieben von Milchrassenkälber in die konventionelle Mast in den Köpfen der Bauern verankert, beobachtet Eric Meili.

Noch keine langjährige Erfahrung, aber bereits gute Ergebnisse

Der Landwirt und Agronom wollte dem entgegenwirken. Seit einigen Jahren mästet er auch Milchrassentränker extensiv ohne Mais und Kraftfutter aus. «Normalerweise kaufe ich weibliche Limousin oder Angus × Milchrassen-Kreuzungen zu, neu sind es aber reine Milchrassenstierkälber», so Meili. «Ich habe zwar noch keine langjährige Erfahrung mit der extensiven Mast von Milchrassentränkern, noch habe ich viele Daten dazu. Aber ich erziele bei den zweijährigen Masttieren rund 760-780 kg Lebendgewicht, über 400 kg Schlachtgewicht und stelle einen Tageszuwachs von rund 1000g fest.»

Mehr Zeit und Fläche, trotzdem gute Wertschöpfung

Obwohl die schlachtreifen Tiere nur in der Kategorie T und -T einzustufen sind und einen Ausmastgrad von rund 52% erzielen, sei die Fleischqualität hervorragend, betont Eric Meili. Die Fettabdeckung liegt bei Klasse 3 bis 4. Das Fleisch vermarktet er online über Meilibeef.ch oder direkt an seine Kunden und Kundinnen, die das Fleisch einmal im Monat abholen. 

Die Weidemast brauche zwar mehr Zeit und Fläche pro kg Fleisch. Die Wertschöpfung könne dafür erheblich gestiegen und die Milchrassenkälber so besser verwertet werden, so Meili.

Wie geht es weiter?

Bio Suisse zieht es in die Richtung der Zweinutzungsrassen. Auch weil seit 2020 der Zukauf konventioneller Zuchttiere verboten ist, werden inzwischen immer mehr Tiere für die Nachzucht verwendet, heisst es bei Bio Suisse. Aktuell würde ein «wichtiger Teil» als Mastremonten verkauft und auf der Bio-Weide ausgemästet, so die Bio Suisse. Insgesamt wächst die Nachfrage nach solchen Bio-Weidetieren. «Die Nachfrage nach Kälbern, die auf dem (Bio-)Milchbetrieb während mindestens 150 Tagen abgetränkt wurden, ist gross», so der Sprecher der Bio Suisse. Im Detailhandel und bei Direktvermarktern konnte die Nachfrage letztes Jahr angeblich nicht gedeckt werden. In diesem Sinne vermarktet Aldi Suisse seit Januar 2020 Fleisch von Milchrassen mit dem Label «Bio-Weiderind» in vereinzelten Filialen.