Der Bundesrat will die Pflichtlager für Nahrungsmittel ausbauen. Seine Vorschläge stossen grundsätzlich auf Wohlwollen - allerdings wird in der Vernehmlassung angezweifelt, dass das Worst-case-Szenario als Berechnungsgrundlage realistisch ist.
Die Pflichtlager für Getreide und Speiseöle sollen künftig mit der einheimischen Produktion die Schweiz bis zu einem Jahr versorgen können - wie im Kalten Krieg. Der Bundesrat hatte Vorschläge dazu im April in die Vernehmlassung geschickt, die vergangene Woche endete. Anlass gaben nicht zuletzt die Covid-19-Pandemie und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine.
Die meisten Akteure, die Stellung genommen haben, begrüssen den Ausbau im Grundsatz und üben eher an der Berechnungsgrundlage Kritik. Nicht so Réservesuisse: Sie lehnt die Vorschläge rundweg ab.
Die Genossenschaft vertritt gemäss eigenen Angaben sämtliche Unternehmen, die zu Pflichtlagermengen an Nahrungs- und Futtermitteln verpflichtet sind. Zudem überwacht sie im Auftrag des Bundes Organisation, Verwaltung und Finanzierung der Pflichtlager.
<hl2>Keine Präzedenzfälle</hl2>
Réservesuisse führt zwei Hauptargumente ins Feld: Erstens sei "die Umsetzung (. . .) nicht vereinbar mit den betrieblichen Abläufen". Und zweitens fehlten Garantien für die Wirtschaftlichkeit der Lagerinfrastrukturen, die von den Pflichtlagerhaltern vorfinanziert werden müssten. Ferner kritisiert die Genossenschaft die Annahmen für das Modell. Es basiere auf einem Worst-case-Szenario, für das es weder historische Präzedenzfälle noch Argumente gebe.
Auch Economiesuisse zweifelt an der richtigen Einschätzung des Bedarfs an Pflichtlagern. Der Wirtschaftsdachverband begrüsst allerdings grundsätzlich die Überprüfung und gegebenenfalls den Ausbau der Pflichtlagerbestände, wie er schreibt.
Zufrieden zeigen sich in der Tendenz die Kantone. Der Kanton St. Gallen beurteilt das zugrunde liegende Szenario zwar auch als unrealistisch - er relativiert aber, man sei sich "der schwierigen Aufgabe bewusst", sich für eine Berechnungsgrundlage zu entscheiden. Die Ausweitung der Pflichtlagerhaltung wird begrüsst; es handle sich um einen kohärenten Schritt mit Blick auf die Erkenntnisse aus der Gefahrenanalyse.
Der Schweizerische Bauernverband hat Fristverlängerung für seine Stellungnahme beantragt.
<hl2>Heute für drei bis vier Monate</hl2>
Zurzeit muss die Schweiz in einer schweren Mangellage drei bis vier Monate lang vollständig aus Pflichtlagern versorgt werden können. Während des Kalten Krieges hatten die Vorräte in den Pflichtlagern bis zu zwölf Monate lang reichen müssen, danach wurden sie aufgrund der veränderten Bedrohungslage gesenkt.
Konkret will nun der Bundesrat beim Getreide wieder gegen 50 Prozent mehr einlagern lassen. Während heute die Pflichtlager 507'900 Tonnen enthalten müssen, sollen es künftig 755'000 Tonnen sein. Bei den Speiseölen und -fetten beträgt die Erhöhung rund 25 Prozent: von 35'583 auf 44'000 Tonnen.
Kleiner werden sollen die Pflichtlager für als Futter verwendete Proteinträger, vor allem Sojaschrot. Das Pflichtlager soll von 75'000 auf noch 58'000 Tonnen reduziert werden. Diese Menge deckt den Durchschnittsbedarf von Schweinen und Geflügel während etwa zweier Monate.
Kosten würden die höheren Lagerkapazitäten laut Bundesrat jährlich rund 17 Millionen Franken. Dazu kommen einmalige Kosten für den Ausbau der Pflichtlager von 84 Millionen Franken. Verantwortlich für das Anlegen und Bewirtschaften der Notvorräte sind private Akteure wie Getreidemühlen. Die Finanzierung der Mehrkosten werde über den Garantiefondsbeitrag sichergestellt, schrieb der Bundesrat im April.
Für die Anpassung der Pflichtlagermengen ist eine Verordnungsänderung nötig.