«Ich wünsche mir Wiehnacht – wie's früener isch gsi», singt Schlagersängerin Jessica Ming. Sie ruft in ihrem Lied Erinnerungen wach – daran, wie sich einst alle hätten freuen können, selbst an ganz kleinen Geschenken, an den Socken, die das Grosi gestrickt habe. Sie entsinnt sich, wie zusammen unter dem Christbaum gesungen wurde, erinnert an die Vorweihnachtszeit, in der «guetzlet» wurde, Mailänderli und Zimtsterne gebacken wurden. Sie schaut zurück in die Zeit, als Lebkuchen aus dem Ofen geholt und mit «Birähung» bestrichen wurde.

Und Jessica fragt im Refrain rhetorisch, ob eine solch schöne Christkind-Zeit wohl nie mehr zurückkäme?

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Als der Schnee unter den Gummistiefeln knirschte – oder doch nicht?

Wie der singenden Luzernerin vom Lindenberg ergeht es vielen – vor allem älteren Semestern: In der Erinnerung wird halt alles noch etwas heller und fröhlicher, noch schöner, als es damals im Moment war. Die Kerzenlichter in der weihnachtlich Stube – scheint ihnen heute – waren strahlender. Und auf dem Weg vom Stall zum Haus knirschte unter den Gummistiefeln der Schnee. 

Knirschte er wirklich? – Gemäss den Statistiken von Meteo-Schweiz waren weisse Weihnachten im Schweizer Mittelland schon damals eher rar. An erhöhten Lagen war Schnee zu Weihnachten dann etwas öfter: In den Voralpen lag in der Messperiode ab 1959 immerhin in etwa 60 Prozent der Jahre an mindestens einem der Weihnachtstage Schnee. Aber es scheint, dass der Memory-Chip in unserem Kopf halt nur die Variante «Weisse Weihnacht» gespeichert hat. Immerhin: Etwas Raureif dürfte jeweils geglitzert haben.

Im Stall geschah möglicherweise Wundersames

Der Volksglaube schrieb den sogenannten Rauhnächten, der Zeit von Wintersonnwende bis zu Dreikönigen, seit jeher eine besonders Mystik zu. Sie seien geeignet für Geisterbeschwörung, Wahrsagerei und den Kontakt mit Tieren, war man auf dem Land überzeugt. Es ging das Gerücht um, die Tiere im Stall könnten in diesen Nächten die menschliche Sprache sprechen – und von der Zukunft berichten. Allerdings hätte, wer sie sprechen hörte, sich auch gleich Sorgen machen müssen. Denn die Sage wollte wissen, dass jene Menschen nicht mehr lange zu leben hätten.

«Es ging das Gerücht um, die Tiere im Stall könnten in diesen Nächten die menschliche Sprache sprechen.»

Mein Vater erzählte die alte Überlieferung mit einem Augenzwinkern. Aber auch er gab dem Vieh im Stall beim Einnachten am Heiligabend zu spüren, dass etwas Besonderes in der Luft lag. Zum Heu gabs eine extra Handvoll des feinen Trockenfutters aus der «Grasteeri» mit Mineralstoffen und Salz.

Dem Räuchern wohnt ein geheimnisvoller Zauber inne

AboRäuchernDaniela Steinmann räuchert auch im Stall: «Kühe mögen Fichtenharz»Freitag, 23. Dezember 2022 Auf dem benachbarten Bergbauernhof konnte ich als Kind auch noch Zeuge eines weiteren Raunachtbrauchtums werden, jenem des Räucherns. Es ging – so wie ich es verstand – darum, den Stall von bösen Geistern und negativen Energien, die sich möglicherweise im Laufe des Jahres eingenistet hatten, zu befreien.

Der Knecht Hans hatte seinen magischen Auftritt: Aus dem «Vehdockter-Gänterli» kramte er ein Räucherpfännchen. Da hinein wurden Holzkohlestückchen und etwas Harz gekrümelt, getrockneter Beifuss und Wachholder. Die Schwefelzündhölzchen mit dem grünen Kopf konnte er am rauen Stoff seiner Militär-B-Hose entfachen; ein Dreh, den ich sehr bewunderte.

«Ein wohlig-gruseliger Schauer lief mir über den Rücken.»

Das Pfännchen mit dem nun glimmenden und rauchenden Inhalt wurde darauf entlang der Läger getragen, eine Art Gebet murmelnd. Ein wohlig-gruseliger Schauer lief mir bei dieser geheimnisvollen Zeremonie unter dem wollenen «Lismer» über den Rücken. Die Kühe jedoch schienen nur verwundert die Augen zu rollen, kauten genüsslich weiter. 

Ein Wunschzettel in himmlischen Sphären

Damals hatte in der Zeit vor dem Christfest der kitschige Adventskalender mit dem aufgesprühten, silberfarbigen Glitzer meine höchste Bewunderung. Ich konnte es jeweils kaum erwarten, morgens das Törchen mit der anstehenden Datumszahl zu finden und zu öffnen. 

Da war auch noch der Franz-Carl-Weber-Katalog zu studieren, ein Wunschzettel zu schreiben und anschliessend zwischen Fenster und Vorfenster zu deponieren. War er am nächsten Tag nicht mehr da, war das ein Zeichen, dass alles auf besten Wege war: Das Christkind hatte ihn abgeholt – und er wurde in himmlischen Gefilden geprüft.

Die Suche nach der perfekten Tanne

Beim Christbaum war es so, dass das Christkind einzig für das das Schmücken und Verwandeln zuständig war. Das Bäumchen aus dem Wald war selbst zu beschaffen, Sache des Landwirts also. So stapften wir mit der Fuchsschwanzsäge in der Hand zu jener Waldlichtung, wo all die Tännchen zu dicht standen, als dass sie hätten zu grossen Tannen heranwachsen können.

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Hier konnte eines herausgeholt werden. Aber welches? – Wie aus dem Bilderbuch sollte sich unsere geschmückte Tanne präsentieren: Von schlankem, pyramidenförmigem Wuchs, zwei Meter hoch, mit geradem Stämmchen und auf allen Etagen ebenmässigen Astkränzen. Wir schüttelten den Schnee von verschiedenen jungen Fichten, prüften die Kandidatinnen eingehend und beratschlagten. So konnten wir zum Schluss den perfekten Christbaum nach Hause tragen.

Lang ersehnt: Heiligabend

Am Heiligabend hiess es dann erst, in der Essküche zu warten. Durch die Türe hörten wir geheimnisvolle Geräusche in der Stube. Das war wohl das Christkind, das den Baum schmückte und die Geschenke darunter ausbreitete und uns war feierlich und erwartungsfroh zumute. Die Spannung stieg von Minute zu Minute – bis dann endlich das leise Klingeln des silbernen Glöckchens zu hören war und wir die Stubentüre öffnen durften.

«Durch die Türe hörten wir geheimnisvolle Geräusche in der Stube.»

Der nun prächtig geschmückte Tannenbaum stand in der Ecke und seine versilberte Spitze reichte bis unter das Deckentäfer. Das warme Licht der brennenden Kerzen widerspiegelte sich in den farbigen Kugeln und im silbernen Lametta aufs Allerschönste. Es war ein verzaubernder Moment – wie nicht von dieser Welt. Der Duft von Kerzenwachs und verglimmenden Tannennadeln erfüllte die Stube. 

Unter dem Baum stand die Krippe, im kleinen Stall die Figuren von Maria mit dem Neugeborenen, von Josef und den Hirten. Das Moos der Krippenlandschaft war frisch und leuchtend grün. Und jenes Schäfchen, dessen Beine mir im vorigen Jahr beim Spielen abgebrochen waren, hatten wunderbarerweise Prothesen aus Zündhölzern erhalten. 

Köstlichkeiten in der Weihnachtsstube

Bei einigen Paketen unter dem Baum liess sich trotz der festlichen Verpackung schon von der Form her auf deren Inhalt schliessen.  Aber erst mussten noch gemeinsam «Stille Nacht» und «Oh, du Fröhliche!» gesungen werden, dann «Oh Tannenbaum!» und «Ihr Kinderlein kommet».

Erst dann konnten die heissersehnten Kinderträume ausgepackt werden. Es fand sich auch Nützliches und Praktisches in den Geschenkpapieren.

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Alle Köstlichkeiten dieser Welt schien die weihnächtliche Stube zu vereinen: Schokolade und Weihnachts-Guetzli, Anis-Chräbeli, Mandarinen, Baumnüsse, Spanische Nüssli, Datteln und Feigen. Und nicht zu vergessen die köstlichen Schokoladenmäuse, die mit einer Schnur als Schwanz am Christbaum hingen – in glitzernde Folie gehüllt und mit süssestem Zuckerfondant gefüllt. 

Längst vergessene Winterarbeiten

Vor Jahrzehnten behaupteten böse Zungen noch, im Winter täten die Bauern nur mit den kuscheligen Endefinken an den Füssen auf dem Bänkli am Kachelofen sitzen, mit einem wärmenden Chriesistein-Sack auf dem Bauch. Aber in Tat und Wahrheit standen in den Wintertagen, an denen es nie lange hell war, verschiedenste Arbeiten an. Viele davon haben sich heute erübrigt und höchstens noch der Grossvater weiss davon zu berichten.

«Das einst aufwändige Zäunen um die Viehweide ist fast zum Kinderspiel geworden.»

Das Zusägen und Anspitzen von hölzernen Zaunpfählen für die nächste Weidesaison war eine dieser Winterarbeiten. Äxte und Kreissägeblätter mussten dazu vorgängig gefeilt werden – und dann wurden die tannigen Schwieren einer nach dem andern gefertigt und säuberlich gestapelt. Heutzutage können im Fachhandel leichte Kunststoff-Weidezaunpfähle in beliebiger Anzahl abgeholt werden, meterlang, orangefarbig, mit Doppeltritt versehen, mit dem sie dann in der Weidezeit einfach per Fusstritt in den Boden gesteckt werden können. Das einst aufwändige Zäunen um die Viehweide ist fast zum Kinderspiel geworden.

Ein Besen für hoffnungslose Nostalgiker

Ähnlich erging es den einst vielgelobten Stallbesen aus Birkenreisern, die im Winter gefertigt wurden. Die dürren Ästchen der Birke wurden dazu sortiert, geschichtet und zugeschnitten. Mit dem Besenbinder, einer speziellen Zange, wurden die Büschel dann zusammengedrückt und mit einem Draht gebunden am Besenstiel montiert.

Heute gibt es Kunststoff-Besen aller Art preisgünstig im landwirtschaftlichen Fachhandel. Nur noch ein paar hoffnungslose Nostalgiker und Nostalgikerinnen schwören auf handgemachte Reisigbesen. Mit so einem elastisch federnden Gebinde aus Birkenreisern putze sich das Tenn und die Stallgasse fast wie von selbst, behaupten sie. Und wenn so ein traditioneller Stallfeger alt und abgenutzt sei, diene er noch als Brennmaterial im Ofen – schadstofffrei. 

Misteln, der Weihnachtszauber des Nordens

An den winterlich kahlen Bäumen auf der Streuobst-Wiese waren die immergrünen Misteln, die sich da als Parasiten festgekrallt hatten, nun gut sichtbar. Eine Winterarbeit war es, diese mit der Baumschere zu kappen. Die Mistelzweige mit den Beeren machten sich als Dekoration auch wunderschön in weihnächtlichen Gebinden.

Alte Überlieferungen ordnen die Mistel der nordischen Göttin Frigga zu, deren heilige Pflanze sie seit jeher gewesen sei. Mystische Kräfte werden ihr bei uns nur in einzelnen Regionen zugeschrieben. In den nordischen Ländern hingegen und in Amerika gehört sie fast unverzichtbar zum Weihnachtszauber. Wenn ein Mädchen unter einem Mistelzweig stehe, dürfe sie es nicht ablehnen, geküsst zu werden, heisst es da. Umgekehrt aber: Wenn sich eine junge Frau quasi extra unter den grünen Zweig stelle und trotzdem ungeküsst bleibe, werde sie im nächsten Jahr kaum heiraten, so will es die Sage.