Nein, die Schweizer Kälbermäster haben es nicht leicht: Zum einen müssen sie mit einer sinkenden Nachfrage zurechtkommen und andererseits fordern die Konsumenten eine antibiotikafreie Mast. Dies sind nur zwei Gründe, warum viele Mäster den Bettel hinschmeissen. Auch Philipp und Marlen Hertig, welche in Arni einen 20,5 ha grossen Betrieb bewirtschaften, hatten genug von der Kälbermast und wechselten ins Lager der Milchproduzenten.

Der Gewinn schrumpfte 

«Wir haben mit der Kälbermast einfach zu wenig verdient», sagen Philipp und Marlen Hertig einstimmig. Auf ihrem Betrieb im Emmental wurden jeweils 150 Kälber im Jahr gemästet. Neben der Milch von den eigenen 18 Kühen wurde zusätzlich Milchpulver eingesetzt. Nach vier Monaten Mastzeit wurden die Tiere dann unter dem Label «Emmentaler Bauernkalb» vermarktet. «Im Durchschnitt haben wir noch 200 Franken pro Kalb verdient», sagt der Landwirt. War das Mastkalb beim Schlachten nicht mindestens ein T3 oder musste während der Mast der Tierarzt beigezogen werden, schrumpfte der Gewinn noch einmal markant. «Für ein schönes Tränkekalb bezahlten wir im Durchschnitt 800 Franken. Beim Metzger bekamen wir dafür, nach einer viermonatigen Mastdauer, zirka 2000 Franken. Dazu kamen das Milchpulver (100 kg à 385 Fr.) und die Tierarztkosten», rechnet der Betriebsleiter, welcher noch 80% auswärts arbeitet, die Milchbüchleinrechnung vor. Sei ein Kalb während der Mast gestorben, habe man praktisch eine Nullrunde pro Umtrieb gemacht.

 

Betriebspiegel

Ort: Arni
Arbeitskräfte: Betriebsleiterfamilie, die Mutter ist zu 40 Prozent angestellt und nach Bedarf hilft auch der Vater mit, der im Sommer auf die Alp geht.
Ackerfläche: 20,5 ha
Tierbestand: 18 Kühe plus Nachzucht, 22 Sömmerungsrinder, Lohnmastkälber und 2000 Legehennen.

 

Kontrolle durch den Tierarzt

Die Tränkekälber die Hertigs alle privat von Betrieben aus der Region kauften, wurden beim Einstallen einer sogenannten Einstallungskontrolle durch den Tierarzt unterzogen. «Nabelbrüche oder versteckte Lungenentzündungen waren die häufigsten Ursachen und gute Gründe dafür, um eine komplette Medizinierung durchzuführen», sagt Hertig. Und: «Eine Kälbermast ohne Antibiotika ist fast ein Ding der Unmöglichkeit», doppelt der Landwirt nach. Auch der stetig sinkende Kalbfleischkonsum löste bei Hertigs Zukunftsängste aus. Wenn man heute Kalbfleisch esse, sei dies nur noch bei einer Kalbsbratwurst der Fall. «Höchstens im Restaurant gönnt man sich noch ein gutes Stück. Zu Hause macht ja niemand mehr einen Kalbsbraten», ist der Landwirt überzeugt. Er räumt aber auch ein, dass es für viele Familien zu teuer sei, Kalbfleisch zu kaufen.

Vater versteht die Situation

Aus dem Kälbermäster Philipp Hertig ist also ein Milchproduzent geworden, obwohl sich sein Vater Simon immer noch als Präsident der Berner Kälbermäster engagiert. «Er versteht unsere Situation und hat uns bei der Entscheidung 100 Prozent unterstützt», hält der Betriebsleiter anerkennend fest. Nun wird also die Milch der 18 Kühe nicht mehr vertränkt, sondern sie geht in den Konsumkanal. «Seit dem 1. April liefern wir sie der Cremo», so der Landwirt. 130 000 kg seien es im Jahr. Alle zwei Tage wird die Milch im Dorf abgeholt. «Jetzt wissen wir wenigstens, wie viel Geld wir jeden Monat ungefähr bekommen», hält das Betriebsleiterehepaar fest. Mit zirka 62 Rp/kg Milch, plus dem Gehaltszuschlag oder eben nicht, können sie jetzt rechnen. «Einen Milchabnehmer zu finden war überhaupt kein Problem», sagt Hertig. Da die Cremo schon bei Bauern im Dorf die Milch abholte, war es für sie naheliegend, zuerst bei diesem Milchverarbeiter anzuklopfen.

Rasse Simmental passt auf den Betrieb

Auf die Frage, warum man die Milchproduktion nicht ganz aufgegeben habe, gibt es am Tisch ein heftiges Kopfschütteln. «Wir sind zu gerne Viehzüchter, wir wollen melken», so der einhellige Tenor der Familie. Ein Rundgang auf der Weide bestätigt es: Die wunderschönen Kühe gehören grösstenteils der Rasse Simmental an. «Die Reinen passen am besten auf unseren Betrieb», hält der Züchter fest. Nicht nur die Doppelnutzung, sondern auch die Widerstandsfähigkeit und die Fitnessmerkmale seien der beste Beweis dafür, dass sie auf die richtige Kuhrasse setzen. Und mit ihrer Vergil Wonne konnte die Züchterfamilie auch schon grosse Erfolge feiern: Miss Simmental an der Emmentaler-Verbandsschau 2019, ein guter Rang an der Bernischen Eliteschau und der Miss-Simmental-Titel am Schaufinale auf der Schwand in Münsingen gehören zu ihren Triumphen. «Nein, ohne Kühe würden wir nicht Bauern», sagen sie. Und so eine Kuh wie ihre Wonne gebe ihnen auch sehr viel zurück. «Swissgenetics hat dieses Jahr sogar einen Appollo-Sohn aus ihr gekauft», schwärmt der Züchter. Der Stier, mit dem Namen Whisky, verfüge über ein gutes genomisches Resultat. «Whisky ­sollte unter anderem einen positiven Milchgehalt wie auch das erwünschte Kappa-Kasein BB und den Genotyp A1 A2 vererben», zählt Hertig die Vorteile seines Schützlings auf.

Nur noch Lohnmast

Nach 33 Jahren ist also Schluss mit der Kälbermast auf ihrem Hof. Oder doch nicht? «Fortan betreiben wir nur noch eine Lohnmast», sagt Landwirt. Dabei werden die Kälber von der Schneider Viehhandel AG in Zusammenarbeit mit der Firma Granovit eingestallt. «Pro Kalb bekomme ich für meine Arbeit einen schönen Pauschalbetrag», so der Betriebsleiter. Das Risiko trägt dabei die Schneider Viehhandel AG. «Für uns stimmt diese Strategie und wir sind froh, haben wir den Schritt aus der eigenständigen Kälbermast heraus gewagt», sagen die Hertigs überzeugt. Ein Schritt, den vielleicht noch viele Kälbermäster wagen werden, denn die Branche hat in Zukunft mit vielen Herausforderungen zu kämpfen. Mit Herausforderungen, wegen denen wohl noch mancher Kälbermäster sein Handtuch werfen wird.