Pferde melken? Was für eine seltsame Idee, fand anfänglich auch Tamara Wülser. Mit dem Thema in Kontakt kam sie als ihr Lebenspartner im Rahmen seiner Ausbildung zum Agrotechniker eine Arbeit zu diesem Thema schrieb. Tamara war damals noch fest im Pferde-Fahrsport verankert und konnte mit der Thematik zuerst nicht viel anfangen.

Im Rahmen ihrer Bachelorarbeit in Agronomie mit Vertiefung Pferdewissenschaften an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften in Zollikofen (HAFL) rechnete sie verschiedene Varianten für eine zukünftige Betriebsübernahme durch – mehr zum Spass auch eine Variante mit Stutenmilch. «In diesem Zusammenhang habe ich Betriebe besucht, um Informationen zu sammeln. Mir gefiel der Umgang mit den Milchstuten und das Resultat hat mich positiv überrascht», sagt Tamara.

Ein ausführliches Porträt von Tamara Wülser finden Sie im Magazin Frauenland:Stutenmilch vom Stockhornhof. 

Die etwas andere Art des Melkens

Diese Erkenntnis fiel zeitlich zusammen mit ihrem Ausstieg aus dem leistungsorientierten Pferde-Fahrsport. «Die Tiere liefen zum Teil völlig am Limit. Das hat mich zunehmend belastet», sagt die 28-Jährige. Als sie auf dem Betrieb von Michèle Helfenstein im aargauischen Muri den Umgang mit Ponys auf einem Stutenmilchbetrieb miterlebt, ist Tamaras Wunsch nach einem ähnlichen Betrieb geweckt. «Auch dort gefiel mir der liebevolle Umgang mit den Tieren. Nur wenn die Stuten dich mögen, geben sie dir ihre Milch», sagt Tamara.

Da Stuten dies willentlich beeinflussen können, braucht das Melken viel Einfühlungsvermögen. «Ich gehe beim Melken deshalb auch auf ihre persönlichen Vorlieben ein. Manche mögen gekrault werden, andere brauchen ihr Lieblingsfutter und wieder andere haben lieber ihre Ruhe», sagt die Agronomin.

Geheimnisvolle Melktechnik

Was heute routiniert klingt, ist Resultat eines längeren Lernprozesses im Stil von «Learning by Doing». Da die meisten der wenigen Stutenmilchbetriebe ihre Technik wie ein Geheimnis hüten, musste sie das meiste rund ums Melken zuerst selber herausfinden.
Dieser Lernprozess begann vor einem Jahr: Gemeinsam mit ihrem Partner Bernhard Bütikofer übernimmt sie in Uebeschi nahe Thun einen 7,5 Hektar grossen Betrieb, den Stockhornhof. Gemeinsam entschied sich das Paar für die Pferderasse «Ardenner». Schon bald konnten sie drei Stuten aus guten Zuchtbetrieben in der Ardenner-Zucht-Region in Belgien und Luxemburg importieren.

Auch Stute Maya kam damals aus Belgien auf den Stockhornhof und schon bald kam Hengstfohlen Michel zur Welt, der mittlerweile schon ein Jahr alt ist. Der roanfarbige Hengst – das heisst, dass in sein Fell weisse Stichelhaare eingestreut sind – wird auf dem Stockhornhof bleiben und soll später Zuchthengst werden. Ein bisschen neidisch blickt er hinüber zu seiner Mutter Maya, die vor vier Wochen das Stutfohlen Mireille geboren hat. Zärtlich drückt Maya ihre Nüstern in Mireilles kurze Mähne. Was für ein schönes Bild.

«Mit Melken beginne ich erst, wenn das Fohlen zwei Monate alt ist und feste Nahrung zu sich nimmt», sagt Tamara. Mireille hat also aktuell das mütterliche Euter noch ganz für sich. Wenn es soweit ist, wird Maya einmal pro Tag für etwa 1,5 bis 2 Stunden räumlich durch einen Zaun vom Fohlen getrennt, sie haben aber immer Sichtkontakt und das Fohlen bleibt solange bei den anderen Tieren an seinem gewohnten Platz im Stall. So kann sich Mayas Euter etwas mit Milch füllen. Dann wird Mireille wieder zur Mutter gebracht und Tamara beginnt zu melken – mit einer leicht umgebauten Ziegenmelkmaschine, die sich gut für Stuten eignet.

Stutenmilch in Pulverform

Pferde mit einem stoischen Gemüt wie die kaltblütigen Ardenner gewöhnen sich rasch an diese Prozedur. «Sie ignorieren die Melkmaschine einfach», sagt Tamara lachend.
Gemolken wird einmal pro Tag, nur etwa 1 bis 1,5 Liter. Insgesamt produziert eine Stute pro Tag etwa 20 Liter Milch. Das Gemelk wird umgehend in flache Beutel abgefüllt, tiefgefroren und regelmässig nach Zug zur Weiterverarbeitung in eine Gefriertrocknungsanlage gebracht. Dort wird der Stutenmilch bei minus 40 Grad die Flüssigkeit entzogen. So entsteht ein Pulver, das alle wertvollen Inhaltsstoffe enthält und gut lagerfähig ist. Es wird in pflanzliche Kapselhüllen abgefüllt und so verkauft.

Die wichtigste Wirkung habe Stutenmilch auf den Darm, sagt Tamara Wülser. So sind nach einer Stutenmilchkur unter anderem mehr Bifidusbakterien im Darm zu finden – das ist wissenschaftlich belegt (siehe Box).
Drei Kapseln entsprechen in ihrer Wirkung etwa 2,5 dl frischer Stutenmilch, der empfohlenen Tagesdosis. «Stutenmilch flockt bei einer Erwärmung über 38 Grad aus. Sie könnte also nur in gefrorener Form verkauft werden», sagt Tamara. Deshalb seien die konzentrierten Kapseln eine praktische Alternative.

Milchpreis hängt vom Tierwohl ab

Apropos praktisch: Ein Vorteil des Stutenmelkens ist, dass man auch mal einen Tag pausieren kenn, wenn man spontan wegmuss und nicht melken kann. Dann ist einfach die Ration des Fohlens noch etwas üppiger an diesem Tag. Bei Kühen wäre das undenkbar. «Allzu viele Wechsel in der Tagesroutine beim Melken sollte man jedoch vermeiden, da sie sich negativ auf die Eutergesundheit auswirken können», sagt Tamara.

Undenkbar bei Kühen ist auch der Milchpreis, er liegt deutlich höher als bei Kühen, Schafen oder Ziegen. Für Stutenmilch gibt es keinen offiziellen Milchpreis. «Es kommt bei der Preisfindung stark darauf an wie häufig gemolken wird. Wer stark auf das Tierwohl achtet, melkt nur einmal am Tag und beginnt damit erst wenn das Fohlen zwei Monate alt ist. Das macht den Liter Milch sehr teuer», so Tamara Wülser. Die Agronomin hat hierzu eine Vollkostenrechnung erstellt. «Werden Strukturkosten und Arbeitszeit nicht einberechnet, habe ich etwa Kosten von CHF 36 pro Liter Milch, die Gefriertrocknung kosten CHF 10 bis 15 pro Liter je nach gelieferter Menge, dazu kommt die Verkapselung, Verpackung, Marketing und der Transport, was einen Preis von CHF 89 für ein Glas Stutenmilchkapseln ergibt, das für eine 40-tägige Kur reicht».

Direktverkauf als einziger Kanal

Anders als bei der Kuhmilch gibt es für Stutenmilch keinen festen Abnehmer. Wer auf Stutenmilch setzt, muss direkt vermarkten. «Als wir die erste Milch hatten, dachten wir: Geschafft! Doch dann merkten wir rasch, dass der grösste Teil der Arbeit noch vor uns liegt», sagt Tamara. Es brauche viel Zeit und noch mehr Aufwand und Nerven, um das Produkt bekannt zu machen und einen konstanten Absatz zu erreichen. «Wir stehen bei der Vermarktung noch ganz am Anfang und sind im Moment daran, ein Netzwerk aus Wiederverkäufern aufzubauen», so Tamara.

Anders als bei Kühen ist auch, dass bei einer Mutterstute spätestens nach zwei Wochen der Milchfluss versiegt, wenn sie keinen Kontakt mehr zu ihrem Fohlen hat. Ein natürliches Phänomen, das man den Kühen über Generationen weggezüchtet hat.  

Dazu kommt, wie bereits kurz erwähnt, dass Stuten sehr wählerisch sind, wenn es darum geht, jemandem ihre Milch zu «geben». Hier zahlt es sich aus, dass die 800 bis 1000 Kilogramm schweren Ardenner grundsätzlich nicht so schnell aus der Ruhe zu bringen sind. «Sie bewegen sich gerne, können aber auch mal einen Tag lang problemlos im Stall faulenzen», sagt die Pferdefachfrau. Sie möchte mit den Tieren auf ihrem Betrieb künftig auch gewisse Arbeiten verrichten wie in alten Zeiten: Gras mähen oder Heu wenden. «Bei solchen Arbeiten müssen die Tiere sehr selbständig denken, gut auf die Person achtgeben und nicht nur Kommandos befolgen», sagt Tamara.

 

Fohlen werden keine geschlachtet

Das Tierwohl steht für die junge Frau dabei immer an erster Stelle. Auch beim Melken. In Frankreich und Holland gebe es Betriebe, wo die Stuten bis zu fünfmal täglich gemolken würden, erzählt Tamara. Die Fohlen würden anschliessend direkt in die Schlachterei gebracht. Undenkbar für die junge Agronomin. «Von unserem Betrieb werden keine Fohlen geschlachtet, sie werden vielmehr an gute Plätze weiterverkauft», sagt sie.

Die Stutenmilch-Kapseln verkauft sie vorwiegend online, weswegen sie den Erfolg an den Wiederbestellungen ablesen kann. Ab und zu kommen aber auch meist ältere Menschen auf dem Hof vorbei. Viele von ihnen leiden unter Darm- und Verdauungsbeschwerden. «Es ist immer wieder schön zu hören, dass die Stutenmilch ihnen zu einer besseren Lebensqualität verhilft», freut sich Tamara. Sie selber hat ebenfalls mit einer Stutenmilchkur ihre Histamin-Intoleranz in den Griff bekommen. «Manchmal trinke ich die Reste, die beim Melken anfallen. Doch schmecken tut frische Stutenmilch leider wirklich nicht gut», meint Tamara lachend.

Hier geht es zur Website von Tamara Wülser: www.kelpy.ch

 

 

Die Wirkung von Stutenmilch

 

Stutenmilch ist ein altbekanntes Naturheilmittel. In Zentralasien und der ehemaligen Sowjetunion wird «Kumyss», vergorene Stutenmilch, schon seit Jahrhunderten als Nahrungsergänzung eingesetzt. Stutenmilch ähnelt in ihrer Zusammensetzung der menschlichen Muttermilch. Sie stärkt das Immunsystem und hilft bei Verdauungsproblemen. Da Hautleiden oft mit einer gestörten Darmfunktion zusammenhängen, kann Stutenmilch auch bei Neurodermitis, Akne vulgaris oder Schuppenflechten lindernd wirken.