"Wir müssen jetzt einen fundamentalen Wandel herbeiführen und dazu an allen Bereichen des bisherigen Systems ansetzen: den ökonomischen Rahmenbedingungen, dem Produktions- und Belohnungssystem, dem politischen und gesellschaftlichen Diskurs." Das seien die Bedingungen für eine "giftfreie Landwirtschaft" erklärt die Agararökologin Angelika Hilbeck in einer TV-Sendung von SRF.

Eine Frage, vier Antworten

In besagter Sendung stellte man die Frage, ob eine Landwirtschaft ohne synthetische Pflanzenschutzmittel möglich wäre. Vier Experten taten ihre Meinung dazu kund. 

 

Es wird teuer – wer bezahlt?

Der Agronom Heinrich Hebeisen testet seit drei Jahren den Anbau von Mais ohne Herbizide. Laut ihm ist das möglich, die Erträge seien in etwa gleich wie wenn statt der Hacke Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden.

Allerdings sei die mechanische Unkrautbekämpfung deutlich teurer als das Spritzen. Hebeisen rechnet vor, dass mit einer Feldspritze der Aufwand dank mehr Flächenleistung und weniger erforderlicher Arbeitskräfte fast 10 mal geringer sei als beim Hacken. Es ist eine offene Frage, wer die Mehrkosten mechanischer Verfahren bezahlen sollte. 

Die Züchtung geht zu lange

Die Leiterin von Agroscope Eva Reinhard glaubt nicht an eine pestizidfreie Landwirtschaft. "Man kann sicher reduzieren, dir Frage ist aber immer, um wieviel", erklärt die Biologin. Ihrer Meinung nach können robuste oder resistente Sorten das Problem nicht lösen, da deren Züchtung zu lange dauere. Schliesslich müsse man neue Schädlinge und Pflanzenkrankheiten erst erforschen und verstehen, bevor man erfolgreich züchten könne.

Nützlinge brauchen Struktur

"Wir müssen unsere Anbausysteme anpassen", sagt André Stucki von Sativa. Nur so könnten Nützlinge die Produktion unterstützen, denn sie seien auf Struktur in der Landschaft angewiesen. "Es braucht etwa Blühstreifen und Hecken", führt der Agronom aus. Das sei in einer grossflächigen Anbauweise, die nur auf Effizienz und hohen Ertrag getrimmt ist, nicht umsetzbar. Ausserdem liegen die Erträge bei robusten Sorten laut ihm etwa 10 bis 15 Prozent tiefer als bei Hochertragssorten.

Es ist möglich und nötig

Angelika Hilbeck zeigt sich sowohl von der Möglichkeit als auch auch der Notwendigkeit einer pestizidfreien Landwirtschaft überzeugt. Dazu brauche es aber wie eingangs erwähnt einen radikalen Systemwandel. Neue Züchtungen robuster und resistenter Sorten sieht die Agrarökologin als Schlüsselfakor eines zukunftsfähigen Anbausystems.

Die weltweite Ernährungssicherheit wäre nicht gefährdet

Viele Studien kommen laut SRF zum Schluss, dass ein Systemwandel die weltweite Ernährungssicherheit nicht gefährden würde. Dies allerdings unter der Bedingung, dass der Fleischkonsum sinkt. Andernfalls stehe für den Anbau pflanzlicher Nahrungsmittel für den Menschen zu wenig Fläche zur Verfügung, da diese für Futtermittel eingesetzt wird.  

Es ist eine gesellschaftliche Entscheidung

Die Sendung kommt zum Schluss, dass sich die gestellte Frage nicht direkt mit Ja oder Nein beantworten lässt; wir müssen als Gesellschaft entscheiden, ob wir uns eine Landwirtschaft mit deutlich weniger oder sogar ohne synthetische Pflanzenschutzmittel etwas kosten lassen wollen.  

 

Reden alle vom Selben?

Gerade in der Debatte um Pestizide stellt sich immer wieder die Frage, ob alle Beteiligten vom Selben sprechen. Meist versteht man in Landwirtschaftskreisen unter Pestiziden alle chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmittel, im Unterschied zu jenen auf der Bioliste.

In der Öffentlichkeit werden aber schnell sämtliche Pflanzenschutzmittel in einen Topf geworfen und als "Pestizide" bezeichnet.

Fachlich korrekt bezeichnen "Pestizide" gemäss der Definition von Spektrum bestimmte Wirkstoffe, während "Pflanzenschutzmittel" eher die anwendungsorientierte Zusammensetzung meint.