Eine Viertelstunde dauert die Taxifahrt zum Hof Petersburg. Das bedeutet, es liegen nur 15 Minuten zwischen dem wuseligen Treiben am Hauptbahnhof Kiel, dem Zentrum der Hauptstadt Schleswig-Holsteins mit einer Viertelmillion Einwohner. Gleich nebenan legen die mehrstöckigen Fähren nach Göteborg (Schweden) und Oslo (Norwegen) an, die 1300 Personen und 300 Personenwagen, respektive 2400 Personen und 750 Personenwagen sowie mehrere Lastwagen transportieren.

Idyllische Welt

Vom emsigen Treiben gelangt man also in ein paar Minuten in eine andere Welt; eine idyllische, wo es ruhig und die Luft angenehm ist. Wo zwischen hohen Bäumen ehrwürdige alte Gebäude nett arrangiert herum stehen. Wo Pferde wiehern, Aufzuchtrinder neugierig schauen, Hühner gackern und der prächtige Hahn kräht. Wo Schweine grunzen und Schafe blöken. Da eine hübsch komponierte Sitzecke und dort eine alte Steinfigur. Alles sauber und ordentlich. Während man auf das herrschaftliche Haus zugeht, öffnet sich die Tür und heraus tritt mit einem freundlichen Willkommensgruss Brunhild Mordhorst. Der Familienname ist ein altes Geschlecht; auf dem Familienwappen widerspiegeln sich die landwirtschaftlichen Wurzeln. «Mord» bedeutete im Altdeutschen «Marder» und «Horst» stand für «Baumgruppe».

Goldrand weckt Erinnerung

Im grosszügigen Entrée fallen zuerst die vielen Rehgeweihe auf, in Reih und Glied an die Wand genagelt. Daneben schaut milde lächelnd der russische Zar Peter der Dritte auf die Besucher hernieder, der Sohn von Herzog Karl Friedrich von Schleswig-Holstein-Gottorp und seiner Gattin Anna Petrowna. Nach ihrem frühen Tod benannte der Herzog ihr zu Ehren den Hof nach der russischen Hauptstadt. Von ihm ging Mitte des 18. Jahrhunderts der Hof an die Familie Mordhorst und wird heute in der 10. Generation von Carsten, dem Gatten von Brunhild Mordhorst, geleitet. Sie selbst sieht sich als Gastgeberin; wie sie im gemütlichen Kaminzimmer erzählt. Dort ist der moderne Clubtisch liebevoll gedeckt: Wunderbar weisses Por-zellankaffeegeschirr mit breitem Goldrand und passender Étagère, wo selbst gebackene Köstlichkeiten aufgetürmt sind. Sie erklärt, so decke sie den Tisch, wenn ihre Gäste, bei denen es sich um Demenzkranke handelt, auf den Hof kommen. «Sie glauben nicht, welche Erinnerungen das bei den alten Frauen weckt.» Sie würden dem Goldrand auf ihrer Tasse nachfahren und mit leuchtenden Augen feststellen: «Genau dieses Geschirr hatten wir Zuhause auch.»

Wiedersehen mit Hanomag

Brunhild Mordhorst und ihre Familie empfängt stundenweise demenzkranke Männer und Frauen im barrierefreien Erdgeschoss des Wohnhauses; im ersten Stock wohnt die Familie, also die Eltern mit den zwei Söhnen und deren Freundinnen. Die Tochter und Pferdeliebhaberin wohnt mit ihrem Lebenspartner in einem zum Wohnhaus umgebauten Stall. Die Gastgeberin hantiert mit den Frauen in der Küche, holt mit ihnen im Sommer Gemüse im Garten fürs Mittagessen oder begibt sich mit ihnen auf Eiersuche. Sie meint lachend: «Eigentlich ist mein Mann der Eiereinsammler, was ihn täglich einige Zeit beschäftigt.» Die Hühner könnten sich auf dem ganzen Gelände frei bewegen und seien sehr erfinderisch im Aussuchen von «Legenestern». Um die Männer kümmert sich der Betriebsleiter. Er zeigt ihnen den alten, weiterhin gut funktionierenden Hanomag Traktor. Das sei jeweils ein «Wiedersehen». Die Besucher begäben sich in alle Stallungen und zeigten keine Scheu oder Widerwillen, Tiere anzufassen und zu kraulen. Und immer wieder höre man: «Das hatten wir auch; das kenne ich von früher.» Mordhorsts sind überzeugt, solche Auszeiten könnten die Kranken für eine Weile aus ihrer eigenen abgeschiedenen Welt herausholen.

Viele glückliche Menschen

38 Jahre arbeitete Brunhild Mordhorst auf einer Bank. Sie betreute daheim Angehörige, besuchte andere im Altenheim und stellte fest, wie viel besser sich die Senioren auf dem Hof fühlten. Das brachte sie auf den Gedanken, Betreuung auf dem Hof anzubieten. Als Jugendliche hatte sie freiwillig in einem Krankenhaus gearbeitet und eine Ausbildung zur Schwesternhelferin absolviert. Zudem folgte sie den vom Bundesland geforderten Weiterbildungskursen, um diesen Betriebszweig zu betreiben. Sie sagt überzeugt: «Reich kann man mit diesem Standbein nicht werden; aber so viele glückliche Menschen zu sehen, die abends vom Hof weggehen, ist uns Reichtum genug.»

Benildis Bentolila

Weitere Informationen zum Hof: www.hof-petersburg.de