Ein trostloser Anblick bot sich uns, als wir gestern am frühen Abend auf der Alpe Formazzora ankamen: Keine Kühe, keine Blümchen, kein Gras. Nur unser Käser, der zum Fenster rausschaute, und ein paar faule Schweine im Pferch. "Il presidente" murmelte sofort: „Zu trocken hier, die sind bereits auf Stabbiasc‘!" Er lief schnurstracks zur Käserei.

Marco runzelte die Stirn. Man sah, dass er sich momentan Sorgen machte. „In meinen 22 Jahren war es hier noch nie so trocken, obwohl wir doch dieses Jahr einen strengen Winter hatten. Ob wir bis anfangs September durchhalten?“

Kessi wird nicht voll

Von einem kleinen schwarzen Rohr tröpfelte Wasser in ein Becken. Plötzlich kam ein kleiner, oranger Ball herausgeschossen: Der „Lattedotto“ oder besser gesagt, die Milchleitung, wurde just in diesem Moment geputzt. Unsere Jungs hatten kurz zuvor auf Stabiasc‘ die Kühe gemolken, die Milch in einem Becken gesammelt und diese dann im „Lattedotto“ zu Marco in die Käserei geleitet.

Der Durchmesser des Rohres, welches 15 cm tief in der Erde begraben ist,  beträgt nur winzige 2,5 cm. Dies, damit das Rohr während des Transfers vollständig mit Milch gefüllt bleibt. Somit wird verhindert, dass die Milch geschlagen wird und folglich zu Butter mutieren könnte. Die Flüssigkeit wird nicht gepumpt, sondern fliesst ganz einfach nach unten in das Käsekessi - Insgesamt also eine umweltschonende Transportmöglichkeit.

Die orangen Bällchen sind die Putzteufelchen und putzen die Leitung zuerst mit kaltem Wasser, dann mit Warmwasser, ein wenig Putzmittel beigemischt, und zuletzt wieder mit kaltem. Die Putzmittel und das ganze Prozedere werden von den Behörden vorgeschrieben, kontrolliert und von unserem Personal immer peinlichst befolgt.

Aber wirklich viel Milch war gar nicht im Kessi. Ich sah die besorgten Gesichter von Marco und Cristiano und konnte erahnen, dass es im 2018 wahrscheinlich wenig Alpkäse geben wird. 

Martin, Antonio und Kevin müssen dieses Jahr besonders gut schauen, dass jede Kuh ihr gutes Stück Gras bekommt, dass alle gleichwertig versorgt werden und dass alle Tiere zu ihrem Recht kommen.

Und "il presidente"? Der runzelt im Moment die Stirn, während er vor dem Fernseher von saftigen Weiden, glücklichen Tieren und vollen Käsekellern träumt. Aber insgeheim macht er sich grosse Sorgen um die Alp.

Regula Colombo