Die im vergangenen November offensiv präsentierten radikalen Freihandelsvisionen werden relativiert und in Watte gepackt. So schreibt die Landesregierung unter anderem, dass die Szenarien in der Gesamtschau «rein illustrativen Charakter» hatten. Ein Freihandelsabkommen mit der EU zu verhandeln sei kein Thema, die im Papier erwähnte Preisdifferenz von 30-50% sei «nicht realistisch» und in Sachen Mercosur «dürften die Konzessionen weniger weit gehen, als dies in der Gesamtschau angenommen wurde». Gleichzeitig wird die im September vom Volk in der Verfassung verankerte Nachhaltigkeit im Aussenhandel zur Doktrin erhoben, nachdem sie im Original noch mit keinem Wort erwähnt worden war.

Im Weiteren bekennt sich der Bundesrat dazu, dass «der Wirkungsbereich der AP 22+ in erster Linie im Inland liegt», nachdem man in der Gesamtschau über eine rosige Zukunft durch möglichst weite Öffnung der Grenzen mit dem neuen Politpaket frohlockt hatte. Mit anderen Worten ist man bereit, beim bewährten pragmatischen Vorgehen zu bleiben, das der Landwirtschaft unter Wahrung ihrer Interessen bisher noch immer ermöglicht hat, mit vernünftigen Konzessionen zu Freihandelsabkommen Ja zu sagen.

Diese Erkenntnisse hat der Bundesrat nicht ganz freiwillig gewonnen. Für den Zusatzbericht brauchte es eine ziemlich demütigende Niederlage von Regierung und Verwaltung im vergangenen Juni. Damals wies der Nationalrat die Gesamtschau mit 108 zu 74 Stimmen zurück, verbunden mit der nun eingelösten Forderung nach weiteren Informationen als Basis für die AP 22+.

Diese Erkenntnisse wären auch einfacher zu gewinnen gewesen. Die nun vorliegenden kompakten Zusatzberichte hätte man zu gegebener Zeit als Gesamtschau bringen können und niemand hätte sich aufgeregt. Aber manchmal braucht es für die Administration zum Erkenntnisgewinn offenbar eine intensive Erfahrung in der politischen «Reality Show». Item, man soll nicht zuviel in alten Wunden stochern, sondern den Blick in die Zukunft richten, die an Herausforderungen mehr als reich genug ist.

Interessant ist diesbezüglich vor allem die erstmalige offizielle Publikation der Pläne für die AP 22+. Wie bereits berichtet, will man unter anderem das Direktzahlungssystem revidieren. Die wichtigste geplante Änderung dürfte dabei die Ablösung der Versorgungssicherheitsbeiträge durch einen Betriebs- und einen Flächenbeitrag sein. Ob dies der grosse Wurf ist, wird sich zeigen müssen, bezüglich Einkommen würde ein solcher Schritt die Landwirtschaft nicht in den Ruin stürzen und wenn etwas Druck von der Fläche weggenommen wird, schadet das nicht.

Weitere Schritte sind auch in Sachen Nachhaltigkeit geplant, hier will man mit dem ÖLN ebenso arbeiten, wie mit den Strukturverbesserungsmassnahmen und gewissen Direktzahlungsprogrammen wie GMF. Die weitere Ökologisierung wird bei der Mehrheit der Produzenten wenig Glücksgefühle auslösen, aber Kopf in den Sand stecken geht bei diesen Themen nicht; man denke nur an die anstehenden Initiativen in Sachen Pflanzenschutzmittel und den gesamtgesellschaftlichen Trend zu mehr Nachhaltigkeit. Klar kann man monieren, dass die Landwirtschaft im Umweltbereich härter an die Kandare genommen wird, als die übrige Gesellschaft. Aber hier steht der Sektor mit seiner hohen Abhängigkeit von staatlicher Stützung halt in Gottes Namen im Schaufenster der Öffentlichkeit. Es dürfte sich bewähren, hier das Geforderte zu antizipieren und Schritte zu ergreifen, bevor man von radikalen Initiativen dazu gezwungen wird. In Sachen Pflanzenschutz ist diesbezüglich schon viel gegangen. Wenn der Staat hilft, diese produktionsverteuernden Schritte zu stützen, ist dies nicht a priori schlecht, sondern vielmehr zu begrüssen.

Der Druck nimmt auch von Seiten der Wirtschaftsverbände und der sogenannten Denkfabriken zu. Ein abschreckendes Beispiel dafür ist der jüngste Rundumschlag von Avenir Suisse. Zum guten Glück bleiben sich die Wirtschaftsdenker treu: Man doziert aus dem Elfenbeinturm, platziert die Botschaften zum falschen Zeitpunkt und vernachlässigt chronisch die politische Kleinarbeit, die es bräuchte, um erfolgreich zu sein. Economiesuisse steht Avenir Suisse dabei in Nichts nach. Möglicherweise sind aber auch diese gut dotierten Maschinerien dereinst lernfähig. Für diese Zeiten gilt es sich zu wappnen und die dargebotene Hand des Bundes zu ergreifen, solange sie noch nicht vollständig von landwirtschaftsfernen Wirtschaftsinteressen gesteuert ist.

Adrian Krebs

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