Als im Mai 2009 die Milchkontingentierung aufgehoben wurde, herrschte im Schweizer Milchmarkt schon Chaos. Damals lagen sich Milchhändler und Verarbeiter in den Haaren, weil der durchschnittliche Schweizer Milchpreis innert sechs Monaten von 79 auf 62 Rappen abstürzte. Die Bauern standen zu dieser Zeit landauf landab mit grossen Transparenten vor den übermächtigen Molkereien und forderten einen fairen Milchpreis. Ein Milchpreis, der die Kosten deckt und Zukunft gibt. Instrumente, um diese Forderungen umzusetzen, hatten sie keine Hand.

Hansjörg Walter hatte im Frühjahr 2009 andere Prioritäten. Der Bauer und SVP-Nationalrat aus dem Thurgau präsidierte 2009 den Schweizer Bauernverband und wollte die Branchenorganisation Milch aus der Taufe heben. Er wollte ein Gremium schaffen, das Instrumente einführen und umsetzen kann, die einen höheren Milchpreis ermöglichen und im Milchmarktdurcheinander etwas Ordnung schaffen.

Auch im Milchmarkt sollten alle Branchenakteure gemeinsam an einem Tisch sitzen können. Sie sollten, so die Idee, Milch-Richtpreise bestimmen, eine Milchbörse betreiben und dafür sorgen, dass die Wertschöpfung auf allen Stufen gerecht verteilt wird. Kurz: die BOM sollte der Fels in der Milchbrandung werden. Die im Mai 2009 streikenden Bauern machten Walters Bemühungen beinahe zunichte. Es war nicht das erste Mal, dass das Projekt BOM absturzgefährdet war. Aber es war das erste Mal, dass die Gründung einer auf allen Akteuren in der Wertschöpfungskette abgestellte Branchenorganisation in Griffweite war.

Der Ausstieg war der Anfang

Drei Jahre, eine Preishausse und eine Preisbaisse sowie zwei Vorgängerorganisationen hat das gebraucht. Angefangen hat alles 2006. Damals erlaubte der Bund den Milchbauern den vorzeitigen Ausstieg aus der Milchkontingentierung. Und praktisch alle Bauern nutzten die Chance – sie gründeten 38 Produzentenorganisationen (PO’s) und Produzenten-Milchverwerterorganisationen (PMO’s) und liessen die staatliche Mengensteuerung links liegen. Stattdessen begannen sie, nach allen Regeln der Milchproduktionskunst ihren Kühen noch mehr Milch abzuverlangen. Und als dann 2009 die Kontingentierung endgültig in die ewigen Jagdgründe geschickt wurde, ist die Produktion alleine zwischen Mai 2008 und Mai 2009 um gut sechs Prozent bzw. 195 Mio kg gestiegen.

Schon im Vorfeld wusste man, dass der Ausstieg aus der Kontingentierung zu einer Mengenausdehnung kommen wird. Gemacht hat man nichts. Immerhin: «Für den Bauernverband war schon 2006 klar, dass es eine Branchenorganisation braucht», erklärt Hansjörg Walter heute. «Eigentlich waren wir 2006 der Ansicht, dass die Schweizer Milchproduzenten SMP bei der Gründung der Branchenorganisation Milch die Führungsrolle übernehmen sollen», sagt Walter. Der Bauernverband sollte seinem wichtigsten Teilverband, der damals von Peter Gfeller präsidiert wurde, höchstens beratend zur Seite stehen. 2006 passierte nichts in diese Richtung. 2007 auch nicht. 2008 auch nicht. Stattdessen dachte die Milchindustrie laut darüber nach, eine Branchenorganisation zu gründen – ohne die Produzenten an Bord. «Als wir das erfuhren, haben wir uns mit SMP-Präsident Peter Gfeller und SMP-Direktor Albert Rösti getroffen. Wir sahen uns gezwungen, selbst zu handeln» erinnert sich Walter knapp acht Jahre später. Er hatte genug von den hitzigen Diskussionen und den Blockaden im Milchmarkt.

Heute hat Walter das Bauernverbandspräsidium weitergegeben. Für die SVP sitzt er immer noch im Nationalrat. Und er bereut nicht, dass er damals das Zepter im Milchmarkt in die eigenen Hände nahm.

Vorbilder in anderen Branchen

«Das Ziel war klar: wir wollten eine Branchenorganisation nach dem Vorbild von Proviande, Swissgranum und Swisspatat gründen. Und wir wollten auch Migros und Coop miteinbeziehen», sagt Walter. Einen Projektplan hat es dazu nicht gegeben. Nur das Ziel war bekannt. Ein Ziel, von dem man im Herbst 2008 nicht wusste, ob man es erreichen würde. Schon von Beginn an war die BOM nämlich absturzgefährdet. «Es gab zu der Zeit einen Richtungsstreit zwischen liberalen und konservativen Kräften im Milchmarkt», sagt Walter. Da waren Peter Gfeller und seine Mitstreiter, die von einem nationalen Milchpool wollten. Und da waren Personen wie Roland Werner, denen der Milchmarkt nicht frei genug sein konnte. Entlang dieser Pole wurde damals die Diskussion um die Zukunft der Schweizer Milch geführt.

Die BOM, so das Ansinnen, sollte irgendwie in der Mitte zu stehen kommen. Sie sollte als Diskussionsplattform dienen. Und sie sollte dem Milchmarkt gewisse Leitplanken geben und die Bauern schützen, die in der Milch unterzugehen drohten. Es waren die schmerzhaften Erfahrungen des ganz freien Marktes, die alle Akteure dazu bewegte, die Gedanken über eine nationale Branchenorganisation zuzulassen. Und es waren SBV-Präsident Hansjörg Walter, SBV-Direktor Jacques Bourgeois und sein Mitarbeiter Martin Rufer, die die Diskussionen führten, Gedanken sortierten, Gesprächsgrundlagen erarbeiten.

Arbeitsgruppen spuren vor

Damit Käser, Milchbauern, Molkereidirektoren und Milchhändler überhaupt bereit waren, sich auf den Gedanken einzulassen, hat das Trio Arbeitsgruppen eingesetzt. Man hat versucht, Ordnung zu schaffen. Man wollte die verschiedenen Meinungen abholen und integrieren. Das Ziel war ein gutschweizerischer Kompromiss. Dabei waren weder die Käser - vertreten durch Fromarte - noch die Milchproduzenten - vertreten durch die SMP - besonders scharf auf die BOM-Mitgliedschaft. Beide Gruppen befürchteten, von der übermächtigen Molkerei- und Detailhandelslobby erdrückt zu werden. Und sie fanden den Alleingang am Anfang für die lohnendere Strategie.

 

 

Die Ausgangslage für Walter war schwierig. Zwar konnten es sich weder Käser noch Bauern leisten, den Alleingang zu wagen, wenn alle anderen in einer nationalen BOM den Markt ordneten. Aber sowohl Käser als auch Bauern stellten Bedingungen. Nicht allen ist Walter nachgekommen. "Manchmal musste man etwas warten und in den Abend hineindiskutieren", sagt Walter heute. "Und meistens so nach 20 Uhr wurden dann auch die Fronten plötzlich etwas weicher."

Ganz ohne Zugeständnisse waren dann aber weder Käser noch SMP bereit, in der BOM mitzutun. So erreichen sie den Status einer Sperrminorität. Bis heute muss ein Vorstandsentscheid von drei Vierteln der Mitglieder beider Gruppen abgesegnet werden, wobei Käser und Milchproduzenten jeweils zu dritt im zwanzigköpfigen Vorstand vertreten sind. Die Milchbauern, die gemeinsam mit sieben Milchhändlern die Angebotsseite vertreten, können damit ebenso einen Entscheid blockieren wie die drei Käser. Diese nämlich repräsentieren mit zwei Detailhandels- und fünf Industrievertretern die Nachfrageseite.

Runde Tische und Einzelgespräche

Um überhaupt so weit zu kommen, setzte Walter auf runde Tische. Der erste fand am 10. Dezember 2008 statt. SVP-Kollege Ueli Maurer war gleichentags in den Bundesrat gewählt worden. Walter verpasste die Wahl nur knapp. Am Abend sass er dann im Hotel Kreuz und führte die erste Gesprächsrunde mit allen wesentlichen Vertretern aus der Milchbranche. "Es war das erste Mal, dass die Akteure realisierten, dass eine richtige Branchenorganisation gegründet werden könnte", meint Walter rückblickend.

Doch mit dem ersten runden Tisch war es nicht getan. Grundlagen mussten her. Eilig hat Martin Rufer als Projektleiter Reglementsentwürfe, Statuten, Richtlinien entwickelt. Derweil hat Jacques Bourgeois seine Kontakte in die Westschweiz genutzt, um auch dort die BOM beliebt zu machen. In der Zwischenzeit blieb Walter mit den verschiedenen Gruppen und Personen im Gespräch, hat versucht, Migros, Coop, Emmi, Hochdorf, Elsa und die wichtigsten Milchhändler ebenso abzuholen, wie die Milchbauern und die Käser. Insgesamt dreimal lud er zu einem solchen runden Tisch ein.

Schritt für Schritt konnte man Unklarheiten bereinigen, sich auf die gemeinsamen nächsten Schritte und die Zuständigkeiten einigen. Viel Zeit hatte man nicht. Und auch die Spannungen zwischen den verschiedenen Personen blieben bis zuletzt bestehen. Die "Charakterköpfe", wie Walter die Vertreter am Rande der verschiedenen bäuerlichen Gruppierungen später fast liebevoll nennen wird, haben ihm das Leben und vor allem die Gründungsversammlung vom 29. Juni 2009 erheblich erschwert.

Am 29. Juni 2009 sollte die BOM gegründet werden. Walter musste noch einmal um sein Kind fürchten. "Die Diskussion war chaotisch und dauerte drei Stunden länger als geplant" sagt Walter. Grund dafür: die Verarbeiter wollten Peter Gfeller als Produzentenvertreter nicht akzeptieren. Die Verarbeiter schlugen damals SMP-Direktor Albert Rösti als Produzentenvertreter vor. Der ETH-Agronom Rösti trat im Gegensatz zu Gfeller etwas konzilianter auf, war den Verarbeitern weniger ungeheur als Gfeller.

Letzterer hatte die Eigenschaft, auch öffentlich Tacheles zu reden. Die Konfrontation mit den Verarbeitern scheute der damalige SMP-Präsident überhaupt nicht. Und obwohl Gfeller aneckte, die BOM wäre nicht gegründet worden, wenn er als Produzentenvertreter nicht gewählt worden wäre. Hansjörg Walter liess damals nicht locker, hat die Diskussion laufen lassen und daran festgehalten, dass Gfeller in den BOM-Vorstand gewählt werden muss. Mit drei Stunden Verspätung schliesslich war es vollbracht. Die BauernZeitung vermeldete in derselben Woche die BOM-Gründung.

Rasch entscheiden und bei Bedarf nachjustieren

Für Hansjörg Walter war das eine Genugtuung, wobei die Arbeit noch nicht ganz getan war. Die gefassten Beschlüsse mussten möglichst rasch umgesetzt werden. "Damals war man sich einig, dass man möglichst schnell Umsetzen und erst bei Bedarf korrigieren sollte", meint er dazu. Und das haben Walter und Rufer dann gemacht. Walter als Interimspräsident und Martin Rufer als Interims-Geschäftsführer. Im Februar 2010 übernahm dann Daniel Gerber die Geschäftsführung, Walter trat im Frühjahr 2010 von seinem Posten zurück und übergab an Markus Zemp, der die BOM bis im Frühling 2017 führte und das Amt dann Peter Hegglin übergab.

lid/Hansjürg Jäger*

*Der Autor des Dossiers hilft beim Swiss Agro Forum in der Kommunikation und hat in diesem Auftrag das Dossier für den LID verfasst.