Nicht ganz ohne Genugtuung darf ich verkünden: Die Hofmolkerei in Kasisi ist endlich eingerichtet und funktionsfähig. Mehr oder weniger. Ich habe kürzlich die ersten Chargen Joghurt, Quark, Frischkäse, Halloumi und Feta hergestellt. Die Resultate waren ganz ordentlich, wie ich finde und wie mir auch von anderer Seite bestätigt wurde. Mit Bündner und Berner Alpkäse kenn ich mich ja etwas aus, vom z'Alpgehen. Halloumi hingegen war käsetechnisches Neuland für mich.

Halloumi ist ein Bratkäse, der ursprünglich aus Zypern stammt. Das Besondere an ihm ist, dass er in der Bratpfanne nicht schmilzt. Halloumi ist also so etwas wie der Antipode des Raclettekäses. Um ihm die hitzebeständige Konsistenz zu verleihen, darf er nicht zu stark säuern. Und man muss ihn nach einer kurzen Presszeit in siedender Molke kochen bis er an die Oberfläche driftet und „schwimmt“. Anschliessend werden die Käsescheiben mit kaltem Wasser abgeschreckt, platt gedrückt, gesalzen, mit getrockneter Minze bestreut und zu einem Halbmond gefaltet. Nach dem Auskühlen wird der Halloumi in einem Plastikbeutel vakuumiert und verschweisst. Reifen muss er nicht. Beim Braten brutzelt er im eigenen Fett und wird aussen knusprig-braun. Innen bleibt er quietschig-gelblich.

Das liebe Geld

Fast zwei Jahre hat es bis zum Erreichen dieses Etappenziels gedauert. Unzählige Hürden galt es zu überwinden. Zuerst war da das liebe Geld, das eben nicht da war. Um den Umbau und die Einrichtung der Molkerei zu finanzieren, gleiste ich ein Online-Crowdfunding auf. Das bedeutete erst mal ein Video zu drehen, Fotos zu machen und Texte zu schreiben. Per E-Mail-Versand machte ich das Projekt in meinem Umfeld bekannt. Ich schrieb Artikel für Zeitungen und fragte Organisationen um Unterstützung an. Viele liebe Menschen trugen mit Spenden und der Weiterverbreitung der Aktion dazu bei, dass die Finanzierung möglich wurde.

Dann kam die Suche nach geeignetem Equipment. Der Kauf eines handelsüblichen Chargen-Pasteurs wäre viel zu teuer gewesen. Improvisieren war angesagt. Also konzipierte ich aus einem halben Kunststofffass, einem Tauchsieder, einem Metallgestell und einer 70-Liter-Pfanne einen Pasteur. „Not“ macht erfinderisch – das stimmt halbwegs.

Chemikalien und vieles mehr gesucht

So manches, was es für eine Molkerei braucht, ist in Sambia nicht erhältlich. Winkler und Bichsel haben hier keine Niederlassungen. Mit viel Glück, per Zufall und über drei Ecken erhielt ich Wind davon, dass ein Diplomat aus Europa nach Lusaka kommen werde. Indem er mich seinen Container mit Molkerei-Gerätschaften aus Übersee auffüllen liess, tat er uns einen riesigen Gefallen.

Gegen das tägliche Stromabschalten musste sich das KATC mit der Anschaffung eines Dieselgenerators wappnen. Da aufgrund der Elektropumpe auch die Wasserversorgung stromabhängig ist und der Wasserspeicher bei Stromunterbruch schnell leer war, musste ein zusätzlicher 5000-Liter-Wassertank für die Molkerei aufgestellt werden. Fürs Heisswasser besorgte ich einen Speicher mit Solarkollektor – die Sonne geizt in Sambia nicht mit Strahlen.

Eine weitere Herausforderung war die Beschaffung von Kulturen, Verpackungsmaterial und Chemikalien für den Säuretest und fürs Salzbad. Hierzu eine Anekdote, die einige der Schwierigkeiten aufzeigt, mit denen man sich in Sambia rumschlagen muss. Für die pH-Regulierung des Salzbads braucht es technische Milchsäure. In Lusaka ist diese zwar erhältlich, allerdings nur im 20-Liter-Gebinde. Ein KATC-Mitarbeiter meinte, zwei Liter Milchsäure könne er vielleicht über den befreundeten Labor-Verantwortlichen an der Universität in Lusaka besorgen. Ein Anruf, eine vage Antwort: Verkaufen könnten sie die Milchsäure nicht, aber allenfalls gegen eine andere Chemikalie eintauschen. Ja, und gegen welche? Und zu welchem Preis? Klare Antworten blieben aus. Der anfänglich hilfsbereite Mitarbeiter verlor allmählich das Interesse daran, der Sache weiter nachzugehen. Wenn ich ihn nach dem Stand der Dinge in dieser Sache fragte, beteuerte er: „No problem bwana, I will follow up.“ Ich lernte: das ist die feine sambische Art der diskreten Zurückweisung.

Ein Glückstag?

Immerhin gelang es mir, die Telefonnummer des Labor-Verantwortlichen in Erfahrung zu bringen. Ich schrieb ihm mehrere SMS, rief ihn an, versuchte ein Treffen zu arrangieren – „face to face“ entwickeln sich die Dinge in Sambia meist konkreter und verbindlicher. Aber nichts ging. Ausser, dass ich den Namen und die ungefähre Adresse einer Chemikalienhändlerin in Lusaka erhielt. Nach einer kleinen Internet-Recherche machte ich mich auf die Socken und fand die Firma im Hinterhof eines Hochhauses im Stadtzentrum. Zwei junge Angestellte (oder Familienangehörige?), an einem Bürotisch zwischen Gestellen voller Erlenmeyerkolben, Reagenzgläser und dergleichen sitzend, empfingen mich eher verhalten. Die Eine war mit ihrem Smartphone beschäftigt, die Andere am Fernsehen. Ich brachte mein Anliegen vor und wurde an die Chefin im Büro nebenan verwiesen.

Eine ältere sambische Lady bat mich herein. Ich grüsste in der lokalen Sprache „Cinyanja“, was gut ankam. Technische Milchsäure habe sie zwar nicht an Lager, sagte sie, hingegen eine taugliche Alternative: lebensmittelechte Essigsäure. Okay, ist gebongt. Auch Kaliumhydroxid, eine der zwei Chemikalien, die es für den Säuretest von Joghurt etc. braucht, war erhältlich. Und die andere, Phenolphtalein, liesse sich leicht auftreiben, meinte die freundliche Frau hilfsbereit. Ein kurzer Anruf, und 15 Minuten später stand ein junger Mann mit der gewünschten Substanz im Türrahmen. Es schien mein Glückstag zu sein.

Allerdings gab es da einen Haken, wie mir später bewusst wurde. Das Kaliumhydroxid und das Phenolphtalein lagen nicht in den erforderlichen Konzentrationen vor. Ich brauchte also zusätzlich destilliertes Wasser und reines Ethanol als Lösungsmittel für die chemischen Plättchen. Destilliertes Wasser ist in Lusaka leicht erhältlich: in Autozubehör-Shops als Batteriewasser. Und für das hochprozentige Ethanol fand sich dieselbe Bezugsquelle wie für die anderen chemischen Substanzen. Die nette Lady sagte am Telefon, sie hätte gerade noch zwei Liter 99-prozentiges Ethanol auf Lager. Grandios!

Nur: Am nächsten Tag, als ich erneut in besagtem Laden stand, stellte sich heraus, dass eine der beiden Angestellten jene zwei Liter kürzlich verkauft hatte. Sorry, sorry für mich, Schelte für die Angestellte. Die Geschäftsleiterin telefonierte kurz, diesmal in die Copperbelt-Provinz, und vermeldete mir „good news“: das Ethanol werde noch am selben Tag per Minibus nach Lusaka losgeschickt, morgen sei es abholbereit. Sie werde sich bei mir melden, um die Übergabe zu organisieren. Der nächst Tag verstrich zwar ohne Anruf. Aber drei Tage später konnte ich das Ethanol tatsächlich in Empfang nehmen.

Hilfe per Whatsapp

So weit, so gut: Alle Ingredienzen waren vorhanden. Nun galt es, die Abstellkammer des Gehirns nach Wissensrelikten des Chemieunterrichts zu durchsuchen. „Mol“ – was bezeichnete das nur schon wieder? Ich berechnete die Mischverhältnisse und kam auf Resultate. Aber stimmten die auch? Mein Cousin in der Schweiz, ein Biotechnologe, bestätigte – ihm und Whatsapp seien Dank. Doch sogleich stellte sich mir das nächste praktische Problem: Wie wiegt man 2,5 Gramm mit einer mechanischen Küchenwaage ab? Unmöglich. Eine Präzisionswage musste her. Doch woher? Mal den Kumpel in Lusaka fragen, der ebenfalls für Comundo einen Einsatz macht. Volltreffer: er hatte zufälligerweise eine kleine, digitale Präzisionswaage, die er für seine Masterarbeit über unterschiedliche Maisanbausysteme in Sambia gekauft hatte.

Manchmal gab es auch Knatsch, auf dem langen Weg zur Etablierung der Kasisi Molkerei. So zum Beispiel kürzlich mit der Druckerei, welche die Etiketten für die Milchprodukte druckte. Auf meine Reklamation, die Druckqualität sei unbefriedigend, erwiderte der Produktionsmanager der Druckerei, er habe mir doch gesagt, dass die Schrift zu klein sei. Nein, das sei nicht das Problem, erwiderte ich. Die verschiedenen Farben seien leicht verschoben gedruckt worden; der Betrachter der Etiketten erhalte den Eindruck, dass er eine Brille brauche, auch wenn er, wie ich, bereits eine habe.

Das Verhandeln mit dem Sambier indischer Herkunft war nicht eben „peanuts“. Aber dann weigerte ich mich einfach, für die schlechte Arbeit den veranschlagten Preis zu bezahlen. Und plötzlich bewegte sich der Produktionsmanager und machte mir den Vorschlag, ohne Preisaufschlag 25'000 Stück extra in leicht grösserem Format zu drucken. Da die 50'000 bereits gedruckten Labels trotz Unschäfe brauchbar waren, schlug ich ein. Die Qualität der neuen Labels werde besser sein, und gleich morgen Nachmittag werde gedruckt, wurde mir versichert.

Hartnäckig freundlich bleiben

Heute, zwei Wochen später, warte ich immer noch auf die neu gedruckten Etiketten. Mehrere Nachfragen per Telefon und SMS haben bisher nicht geholfen. Zurzeit nimmt der Produktionsmanager meine Anrufe nicht mehr entgegen. Aber das wird schon noch. Man muss hier einfach hartnäckig freundlich bleiben. Dann klappt irgendwann fast alles, irgendwie.

Trotz aller Schwierigkeiten im Alltag will ich nicht klagen. Denn rein materiell gesehen, bin ich vergleichsweise privilegiert. Im Gegensatz zu mir müssen sich viele Sambier(innen) in Bereichen wie Gesundheit, wo es um das Existenzielle geht, mit diesen erschwerenden Verhältnissen herumschlagen.

Markus Schär

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