Auf dem Junfraujoch gibt es ein indisches Restaurant, während im Tal die letzte Dorfbeiz schliesst. Die Touristenfamilie telefoniert auf dem Pilatus übers Internet ins Heimatland, auf  einer nahegelegenen Urner Alp fehlt der Festnetzanschluss. Auf der Bettmeralp badet die Unterländer Prinzessin im Sprudel-Spa, der Senn auf der Alp Berschel wäscht sich im kalten Brunnen.

Von Topdestinationen zu Randregionen: Das Alpengebiet entwickelt sich sehr unterschiedlich. Nicht nur asiatische Touristen und Schweizer Seniorinnen, auch junge Facebook-Freunde unternehmen ihre Gipfelstürme. Auf der Kehrseite des Booms werden Gebiete zunehmend abgeschnitten. Im Tessin gibt es bereits zerfallene Bergdörfer. Im fernen  China wurden mit dem rasanten Zuwachs der Städte sogar ganze Landgebiete den Geistern überlassen. Und bei uns?

Wollen wir uns die Aufrechterhaltung der Grundversorgung wirklich überall leisten? Sollten wir einige Alpgebiete nicht besser aufgeben? Sie der Natur überlassen: den Sträuchern, den Lawinen und den Wölfen? Alles, was der Mensch nicht pflegt, verwildert, aber eben nur aus menschlicher Sicht. Der Natur wäre die Verwilderung vielleicht sogar wohl. Es wäre doch einfacher so, und günstiger sowieso: Wieso für ein paar Wenige Strom- und Telefonnetz erschliessen

Verschworene Gemeinschaften würden verharren, altern und aussterben, weil ihre Jungen längst in die Stadt abgewandert sind. In der neuen Alpenwildnis würden eine Handvoll Selbstversorger in verlassenen Siedlungen neue Kommunen bilden, um weit ab vom Versorgungsnetz ein gutes Leben zu verbringen.

Wird es wirklich dazu kommen? Zu dicht, zu reich und zu gescheit ist doch die Schweiz. Altes Wissen und neueste Technologie werden das Zusammenspiel enger verknüpfen. Den Käser und den Koreaner, das Schaf und den Wolf. Via Internet der Tiere werden Grossraubtiere an Schafherden vorbeigelotst, per Computer für das Zusammenleben optimiert. Auf unzugängliche Alphütten gelangen Güter per Drohne, wo sie mit Solarenergie für den Rückflug versorgt wird. Kleine selbstfahrende Busse bringen die ausgerissene Landjugend an Sonntagen zu ihren Familien heim bis in die tiefen Täler. Sensoren  in Wäldern, Hängen und Hügeln übermitteln  aktuelle Wetter-, Pflanzen- und Gefahrendaten auf Cloud-Netzwerke.
Währenddessen besucht der reisende Koreaner beim Älpler einen Käsekurs, kauft nicht den Laib, sondern ein unvergessliches Erlebnis. Russischen Oligarchen werden im St. Moritzer Nobelrestaurant anstelle von Hummer und Kaviar, Gerichte mit Zutaten aus nächster Umgebung mitsamt Geschichte aufgetischt: saftige Alplämmer, die mit ihrer emsigen Landschaftspflege die Verbuschung durch die Grünerle stoppten.

Das gastronomischen Potenzials der Alpenregion wird voll ausgeschöpft: Traditionen entfalten sich auf den Tellern und in den Gaumen der Besucher. Die neugefundene alpine Küche lässt die Alpwirtschaft aufblühen und die Realitäten zwischen Tourismus und Landwirtschaft verschmelzen.  Der Alpenraum ist kein Europapark, sondern wird zum Park Europas. Hier gibt es einen echten Alltag und einen echten Reichtum. Nutzen wir beides.

Samuel Bühlmann