Vor kurzem hat Toni seinen 30. Geburtstag gefeiert. Die dabei entstandenen Fotos zeigen einen Mann, der strahlt und lacht, der es sichtlich geniesst, im Mittelpunkt zu stehen und mit allen Menschen, die ihm lieb sind, feiern zu dürfen. Ihn so glücklich sehen zu dürfen, lässt auch Mutter Lisbeth Barmettler strahlen. Sie geniesst die unbeschwerten Momente mit Toni uneingeschränkt. Und vergisst dabei jeweils die schwierigeren Zeiten, die sie mit ihm erlebt hat.


Schmerzhafte Erfahrungen


Toni ist mit dem Down Syndrom auf die Welt gekommen. Viele negative Erfahrungen, die Lisbeth Barmettler und ihre Familie seither infolge der Behinderung von Toni machen mussten, schmerzen die ehemalige Bäuerin noch heute. So manche Begebenheit erscheint ihr noch heute unverständlich und nicht nachvollziehbar.


Etwa der Umstand, dass viele Menschen sehr verletzend sein können, nicht wissend, wie sie sich verhalten sollen gegenüber einem Neugeborenen mit Down Syndrom und seinen Eltern. Oder dass sich auch Menschen zurückziehen, von welchen man Unterstützung oder Trost erwartet hätte. «Jedes noch so kleine Zeichen wäre für mich wichtig gewesen in jener Zeit», sagt Lisbeth Barmettler. «Sie hätten mir das Gefühl gegeben, getragen zu sein.»

Ihr selbst hatte in dieser ersten Zeit die Kraft gefehlt, auch noch die Bedürfnisse Aussenstehender zu berücksichtigen und zu bedienen. Später, als sie sich wieder stark genug fühlte, ist sie dann auch in die Offensive gegangen. Toni war wenn immer möglich dabei, wenn sie unterwegs war und seine Behinderung wurde in Gesprächen thematisiert.

Integriert

Toni ist das älteste der fünf, heute erwachsenen Kinder von Barmettlers. Als er klein war, ist er immer mit seinen Geschwistern und Nachbarskindern im ähnlichen Alter mitgelaufen. «Das war für mich als Mutter die einfachste Zeit », sagt Lisbeth Barmettler. Die Kinder hätten das Wesen von Toni damals nicht als «anders» betrachtet, gerade die Geschwister kannten es nur so. Und Toni habe sich sowieso immer als ihresgleichen gesehen und gefühlt. Nicht immer dieselben Wege gehen zu können wie seine Geschwister bereitete ihm hin und wieder auch Mühe. «Es war oft schwierig, ihm die Gründe dafür begreiflich zu machen», erinnert sich Lisbeth Barmettler.


Sie und ihr Mann bewirtschafteten viele Jahre einen Pachtbetrieb, daneben bildete sie insgesamt sieben Lehrtöchter aus. Diese Strukturen hätten den grossen Vorteil gehabt, dass der Vater der Kinder immer sehr präsent gewesen sei, sagt Lisbeth Barmettler. «Mein Mann war immer der ruhende Pol, hat zum Rechten geschaut, wenn ich nicht da sein konnte, das hat mir so vieles erleichtert.»


Belastet


In Folge verschiedener gesundheitlicher Probleme, teilweise durch das Down Snydrom bedingt, waren bei Toni immer wieder Spitalaufenthalte und Therapien nötig. Was auch immer war, Lisbeth Barmettler begleitete ihn und blieb an seiner Seite. Zuhause übernahm sie jeweils die ganze Pflege ohne Hilfe von Spitex – nebst den anderen vier Kindern und deren individuellen Bedürfnissen. In solchen Momenten mussten die Geschwister zurückstecken, was für diese sicher nicht immer einfach gewesen sei, sagt Lisbeth Barmettler. Sie war chronisch dauerbelastet.


Heute geht es ruhiger zu und her im Hause Barmettler. Während die Geschwister von Toni heute alle einen eigenen Haushalt führen, lebt er weiterhin bei seinen Eltern. Von Montag bis Freitag arbeitet er in der Stiftung Lebenshilfe in Reinach.  Lisbeth Barmettler ist sehr dankbar, dass Toni dort einen Platz gefunden hat. Nicht zuletzt, weil ihr das ermöglicht hatte, selber wieder Teilzeit berufstätig zu werden. Um sich auch beruflich weiterentwickeln zu können, hat sie 45-jährig die Handelsschule absolviert.  Die Pacht wird bereits von der nächsten Generation weitergeführt.

Gleichbehandlung

Wenn die Familie früher gemeinsam etwas unternahm, war Toni immer dabei. Das bedeutete, dass die Freizeitaktivitäten auf die Möglichkeiten von Toni abgestimmt wurden und die Geschwister sich anpassen mussten.


Was für Barmettlers selbstverständlich ist, ist es für die Gesellschaft bei Weitem nicht. «Wir werden schon angestarrt», sagt Lisbeth Barmettler. Es komme auch vor, dass Toni einfach ignoriert werde. Sie und ihre Familie versuchen dann jeweils, ihn zu integrieren. Sie möchten, dass Toni so behandelt wird wie alle anderen Menschen auch.

Er sei ein sehr feinfühliger Mensch, sagt Lisbeth Barmettler. Dass man Toni seine Behinderung ansieht, führe oft auch dazu, dass man ihn «stemple» und sich gar nicht dafür interessiere, wo denn seine Stärken liegen, bedauert sie. Und fügt sogleich an, dass sie in all den Jahren auch viel Positives hätten erleben dürfen durch Toni. «Es gab sehr viele Begegnungen und Erfahrungen, die ich nicht missen möchte».


Ungedeckte Kosten


Nebst den zwischenmenschlich zum Teil enorm schwierigen Auseinandersetzungen hatte Lisbeth Barmettler auch immer wieder juristische und finanzielle Fragestellungen zu klären. Bis heute. «Immer zu schauen, wie die nötigen Mittel beschafft und die erforderliche Zeit aufgewendet werden kann, das war und ist Stress.» Ein Velo mit Stützrädern etwa, das Toni viel Bewegungsfreiheit ermöglicht, sei eine sehr teure 
Angelegenheit. Kosten, die von keiner Versicherung getragen werden. «Auch die periodische Überprüfung durch die IV war und ist immer wieder ein schmerzhafter Moment, der einem vor Augen führt, was es heisst, nicht der Norm zu entsprechen.»


Beziehungszeit


Für das Ehepaar Barmettler ist es selbstverständlich, mit Toni zusammenzuleben und es hofft, dass das noch lange so bleiben kann. Nachdem sie jedoch viele Jahre wenig Zeit als Paar geniessen konnten, wünscht sich das Paar zunehmend etwas mehr davon. Ab und zu ein Wochenende zu zweit wäre ihr grosser Wunsch. Einen, den Lisbeth Barmettler mittel- bis langfristig möchte realisieren können. «Ich suche noch nach einer Lösung, bei der ich ein wirklich gutes Bauchgefühl haben kann», sagt sie. «Toni braucht einen Platz, wo er sich wohl fühlt.»

Bis dahin wird sie pflegen, was sie vor Kurzem wieder angefangen hat. Ohne ihren Mann – jedoch von ihm unterstützt – mit einer Schwägerin hin und wieder etwas zu unternehmen. «Eigentlich bin ich ein absoluter Familienmensch.» Umso mehr freut sie sich auf die Kanada-Reise anfangs Oktober zusammen mit ihrem Mann, mit Toni und seinen Schwestern.


Esther Zimmermann