Die Milchkontingentierung ist seit 2009 Geschichte. Nach einer dreijährigen Übergangszeit und vielen Misstönen wurde die staatliche Mengensteuerung Ende April 2009 endgültig abgeschafft. Deswegen ist die «alte» Marktordnung aber nicht einfach aus den Köpfen der Bauern verschwunden. Im Gegenteil, die Kontingentierung ist einfach nicht totzukriegen.

Das zeigt die jüngste Intervention der SVP. Diese hat BOM-Präsident Markus Zemp, SMP-Direktor Kurt Nüesch und sein Vizedirektor Stefan Hagenbuch wie Schulbuben ins Bundeshaus zitiert und in den Senkel gestellt. Die SVP fordert eine «echte» Mengensteuerung auf staatlicher Ebene, und erfährt damit bei bürgerlichen Politikern bis weit in die Mitte Zuspruch.


Es gäbe hier jetzt ein Dutzend Gründe, die für und gegen eine Neuauflage der Kontingentierung sprächen. Aber das ist nicht der eigentliche Punkt. Die entscheidende Frage ist vielmehr, warum überhaupt über Sinn und Unsinn einer Mengensteuerung im Schweizer Milchland gestritten werden soll. Die Frage ist, warum die Kontingentierung nicht totzukriegen ist.

Wie Teenager


Eine mögliche Antwort bietet der Vergleich mit einer Gruppe aufwachsender Kinder, mit Teenager in ihren schwierigen Jahren. Wie Teenager sind sich nämlich auch die Milchbauern nicht sicher, ob sie sich wieder zurück an des Vaters Brust (Kontingentierung) werfen sollen, oder ob doch die freie, offene und selbstbestimmte Welt die schönere Aussicht ist.

Wie Teenager sind die Milchbauern hin- und hergerissen, zwischen dem, was sie direkt oder indirekt kannten und dem, das sie im Moment entdecken. So wissen praktisch alle Bauern, dass es früher eine Zeit gab, als Milch einfach so für mehr als einen Franken abgegolten wurde. Sie wissen, dass es damals, im Kinderzimmer sozusagen, besser, einfacher war.

Die grosse, weite Welt entdecken


Dennoch gab es auch viele Bauern, die es nicht erwarten konnten, endlich aus dem engen Korsett von Vater Staat auszubrechen. Heute entdecken sie Marktlücken und Exportpotenziale. Sie entdecken, dass es jenseits des Kinderzimmers eine grosse, weite Welt gibt. Eine Welt, die zwar Fehler nicht verzeiht und gnadenlos abstraft, wenn man sich nicht selbst um seinen Absatz kümmert, aber doch auch viele Chancen bietet.

Sie lernen, dass es Marktakteure gibt, die enge Vertragsbestimmungen haben (z. B. Interprofession Gruyère) und andere, die viel mehr Spielraum lassen (z. B. Mooh). Wie Teenager haben auch die Milchbauern gelernt, dass man mehr erreicht, wenn man zusammen redet, gemeinsam nach Lösungen sucht. Zwar braucht es hin und wieder väterlichen Druck, wie bei der Gründung der BO-Milch, aber insgesamt sind die Milchbauern belastbar, sie können etwas. Und

sie halten etwas aus. Wie Teenager.

Unsicherheit bleibt

Allerdings bleibt die Unsicherheit, das Gefühl, nicht genügen zu können. Viele Milchbauern sind, wie Teenager, nicht mehr so sicher, ob sie tatsächlich in die grosse weite Welt wollen und ob sie im Export bestehen können. Der Schutz des Kinderzimmers ist verlockend. Für manche zu verlockend, sie wollen sich wieder verkriechen und sehnen sich nach der Zeit zurück, als Vater Staat noch sagte, was richtig und falsch ist.

Die, die ausbrachen, wollen das aber nicht. Zu gut gefällt es ihnen «draussen». Sie haben gelernt, auch bei stürmischem Wetter den Überblick zu behalten. Sie haben gelernt, dass man nicht immer auf die Eltern hören muss. Sie haben gelernt, dass sie auch eine eigene Meinung und Haltung haben dürfen, ja müssen, um zu bestehen.

Abhängigkeitsverhältnis


Politiker, die nun vom Staat eine Mengensteuerung fordern, sind wie die gutmeinenden Grosseltern oder Gotte und Götti, die finden, dem Teenager dürfe man nichts zumuten, man müsse ihn behüten und schützen, vor der Härte der Welt. Dabei steht im Vordergrund solcher Grosseltern, Gotten und Göttis nicht der Teenager in seiner Adoleszenz, sondern das Abhängigkeitsverhältnis. Sie wollen nämlich nicht, dass der Teenager eine eigene Meinung, eine eigene Haltung entwickelt. Sie wollen nur sicher sein, dass ihnen als Gotte oder Götti eine Aufgabe bleibt.

Statt dem Teenager zu zeigen, wie er erwachsen, selbstständig und selbstwirksam werden kann, wird er verhätschelt und verwöhnt. Es wird ihm gesagt, dass alles gut kommen werde, sobald er wieder im Kinderzimmer sein dürfe. Dem Teenager wird so die Chance genommen, das angeknackste Verhältnis zu den Eltern endlich zu klären. Im Falle der Milchbauern ist es das Verhältnis der Bauern zu Vater Staat und zu den Marktkräften.

Es ist richtig, dass Vater Staat den Teenagern im Milchmarkt mehr Verantwortung überlassen will. Irgendwann ist es nämlich an der Zeit, auszuziehen. Es ist richtig, dass sich die Teenager selbst organisieren. Dass nun die Gotten und Göttis diese Selbstorganisation schwächen wollen, ist auch nachvollziehbar. Aber es ist das falsche Signal. Die Teenager werden jeden Tag erwachsener; nur die Paten haben das noch nicht akzeptiert.

Hansjürg Jäger