BAUERNZEITUNG: Markus Zemp, eigentlich müssten Sie im Moment einer der zufriedensten Menschen im Milchland Schweiz sein - der Richtpreis blieb bei 68 Rappen, die Branche traf sich vor zwei Wochen zu einem Strategieseminar. Es sieht so aus, als ob die Branchenorganisation Milch (BOM) trotz schwierigem Marktumfeld endlich funktionieren würde?

MARKUS ZEMP: Ob ich zufrieden bin oder nicht, hängt nicht alleine von der BOM ab, da sind andere Faktoren entscheidend. Mich macht zufrieden wie sich die BOM unter meiner Führung in den letzten Jahren verändert hat - heute ist es eine echte Branchenorganisation. Und die Vorstandsmitglieder denken nicht nur an ihre Eigeninteressen sondern sind bereit, Kompromisse einzugehen. Und das geschieht im Wissen, dass die Branche nur als ganzes funktioniert.

Die Marktsituation ist aber alles andere als zufriedenstellend.

ZEMP: Die aktuelle Marktistuation ist für viele Produzenten problematisch. Und es ist für viele Landwirte schwierig, positiv in die Zukunft zu schauen. Es ist daher dringend nötig, dass sich die Preise erholen. Der Richtpreisentscheid hat in erster Linie eine allgemeine Preissenkung im Inland verhindert. Wir stellen aber fest, dass die Milchpreisdifferenz zum Ausland noch selten so hoch war wie im Moment - und das spricht für die Segmentierung. Die Branche hat aber auch verstanden, dass die Bauern eine Perspektive für die Zukunft haben müssen.

Vor elf Tagen traf sich die Branche zu einem Strategieseminar. Wird nun alles besser?

ZEMP: Es wurde sehr deutlich, dass wir als Branche auch etwas dazu beitragen müssen, um eine Zukunft zu haben. Das Seminar war aber erst der Beginn eines langen Prozesses. An einem Tag kann man die Welt nicht verändern. Nun analysieren wir die Resultate und verteilen verschiedene Aufgaben an unsere Mitglieder.

Sie wollen eine Mehrwert- und Qualitätsstrategie anwenden.

ZEMP: Genau. Wir haben erkannt, dass wir mit Milch einen Mehrwert verbinden müssen, damit wir auch höhere Preise verlangen können.

Wie lange dauert es, bis die Branche zu konkreten Ergebnissen kommt?

ZEMP: Wir haben sicher nicht jahrelang Zeit. Kurzfristig sprechen wir von 2016, mittelfristig von 2020 und längerfristig von 2025. Aber zuerst muss die Branche die Vorschläge konkretisieren. Wir wollen nicht Hoffnungen wecken, die am Ende doch nicht zu erfüllen sind. Fakt ist, dass es ohne eine Differenzierung zum Ausland, ohne eine messbar bessere Qualität zum Ausland nicht funktionieren kann.

Ist die Branche fähig, diese anspruchsvolle Diskussion zu führen?

ZEMP: Diese Diskussionen müssen wir intern führen. Es ist einfach, Forderungen zu stellen. Nur ist es so, dass die Produktbilder ganz andere sind, ob sie eine Käsespezialität oder eine Pizza essen. Bei der Pizza fragen Sie doch nicht, woher der Käse kommt. Mir jedenfalls ist das bis jetzt nicht in den Sinn gekommen. Aber beim Fleisch oder beim Käse will ich wissen, ob es Schweizer Produkte sind. Bei den stark verarbeiteten Produkten haben wir einen schweren Stand, unsere Produkte werden anonymisiert.

Der Staat verlangt eine Landwirtschaft mit kleineren Strukturen. Kann diese Landwirtschaft auch am Markt bestehen?

ZEMP: Das funktioniert. Beim Fleisch beispielsweise mit Naturabeef von Coop, beim Gruyère funktioniert es auch. Nur - es würde beim Gruyère nicht funktionieren, wenn er in der ganzen Schweiz produziert würde.

Das Gegenstück ist der Emmentaler, der nach wie vor einen schweren Stand hat.

ZEMP: Das sind Sünden der Vergangenheit.

Damit stellt sich die Frage, was man bei der BOM aus den Fehlern gelernt hat?

ZEMP: Wir haben tatsächlich einiges falsch gemacht. Vor allem hat man in den ersten Jahren Konzepte entwickelt, angekündet und musste sie letztlich versenken, weil sie nicht umsetzbar waren. Und dieses Bild haftet der BOM auch heute noch an. Sowieso war der Start enorm schwierig. Zu Beginn als ich an den Sitzungen der BOM teilgenommen habe, ist mir aufgefallen, dass nicht einmal die Vorstandsmitglieder daran geglaubt haben, dass es etwas wird. Heute ist das anders, heute sagen die Leute direkt, wenn etwas nicht passt.

Die BOM will sich auch in agrarpolitischen Fragen stärker einbringen. Wie soll das funktionieren, wenn verschiedene Akteure mit ganz unterschiedlichen Interessen gemeinsam vertreten werden sollen?

ZEMP: Das ist eine berechtigte Frage. Denn die Industrie wird ebenso wie die Milchbauern Agrarpolitik aus ihrer Sicht betreiben. Wir können letztlich nicht für jedes Teilmitglied bestimmen, was richtig ist. Aber es gibt Schnittmengen, die für die ganze Branche von Bedeutung sind. Typisch dafür ist zum Beispiel das Schoggigesetz. Und die Kernkompetenz zur Erntwicklung dieses Gesetzes muss ganz klar bei der Branche
liegen.

Haben Sie Kenntnis von den Vorschlägen, die das Bundesamt für Landwirtschaft und das Seco ausgearbeitet haben?

ZEMP: Ja, ich war ebenfalls an der Informationssitzung. Offensichtlich ist die Schweiz bald alleine mit den Exportsubventionen und deshalb brauchen wir auch eine vernünftige Alternative. Andernfalls würden wir mittelfristig weitere acht Prozent vom Milchmarkt Preisgeben.

Warum wird die Öffentlichkeit noch nicht darüber imformiert, wie die Vorschläge im Detail aussehen?

ZEMP: Das ist Sache des Bundesamt für Landwirtschaft (BLW). Aber ich rechne es Bundesrat Johann Schneider-Ammann und dem BLW um Bernard Lehmann hoch an, dass sie die Branche miteinbeziehen. Das ist sehr wichtig für uns. Andererseits müssen wir auch sehen, dass der Ist-Zustand aus Sicht der BOM der bestmögliche für uns ist. Es wird zwar mit dem Parlament immer schwieriger, man spürt den Druck. Aber wenn der Tag kommt, müssen wir Lösungen parat haben.

Entsprechend liegt es auch an der Branche, sich zum Grenzschutz Gedanken zu machen?

ZEMP: Ja. Die Milchwirtschaft ist die am stärksten liberalisierte Branche innerhalb der Landwirtschaft. Bei Gemüse und Getreide ist der Grenzschutz viel stärker. Und es ist fraglich, ob es richtig ist, die Milchproduktion über die Agrarpolitik so stark zu schwächen, dass sie gefährdet ist. Denn aktuell beobachten wir, dass auch grössere Betriebe von der Milchproduktion weggehen und in Branchen wechseln, die noch hohen Grenschutz kennen.

Warum ist das gefährlich?

ZEMP: Irgendwann kommt der Tag, an dem der Grenzschutz aufgehoben wird. Die Frage ist nur, wann.
Denn je schlechter die Weltwirtschaft funktioniert, desto grösser ist der Druck für freien Handel. Das hat die Geschichte immer gezeigt - und wir dürfen nicht davon ausgehen, dass alles für uns bleibt, wie es ist. Deshalb müssen wir uns auf offenere Grenzen vorbereiten. Ich halte nichts davon, die Märkte vollends zu isolieren und abzuschotten. Und Milch wäre bei einer Öffnung nicht schlecht aufgestellt. Wir haben eines der wenigen Schweizer Agrarprodukte, das auf den Weltmärkten bereits bekannt ist.
Das Hauptproblem sind die hohen Produktionskosten. Bauern, die Molkereimilch abliefern, können kein vernünftiges Einkommen erwirtschaften. Und da muss man sich schon fragen, was falsch läuft, dass die Produktionskosten nicht sinken.

Der Schweizer Bauernverband (SBV) allerdings geht derzeit jeder Diskussion über den Freihandel aus dem Weg und spricht ein Denkverbot aus.

ZEMP: Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich der SBV keine Gedanken macht. Manchmal wünsche ich mir schon mehr Offenheit in diesen Fragen. Das schlimmste wäre, wenn wir überrascht würden und keine Begleitmassnahmen zur Hand hätten. Ohne Begleitmassnahmen haben wir keine Chance auf den offenen Märkten. Ich verstehe, dass die Marktöffnung Angst macht. Aber ich möchte mir nie den Vorwurf gefallen lassen müssen, dass wir keine Szenarien für die Schweizer Landwirtschaft auch bei offeneren Grenzen entwickelt haben.
Immerhin spielt die Zeit für unsere Landwirtschaft. Denn die Weltmarktpreise steigen langfristig an und werden sich dem Schweizer Preisniveau angleichen. Was wir jetzt erleben ist eine vorübergehende Baisse. Und der Milch kann nicht mehr allzu viel passieren, viel schlimmer kann es nicht mehr kommen. Das ist immerhin ein schwacher Trost.

Interview Hansjürg Jäger

- Das ganze, ungekürzte Interview in der aktuellen BauernZeitung vom 18. September 2015.