Während es im Unterland schon ziemlich nach Frühling riecht und nur noch selten kurze Schneeschauer diese Freude trüben, ist die Schneedecke zuhinterst im Steinenbachtal ZH noch kompakt. Die Lamas, die sich auf den steilen Hängen gleich oberhalb des Hofs befinden, geniessen offensichtlich ihren Auslauf. «Zumindest ist die Strasse schneefrei, und überhaupt war der vergangene Winter unproblematisch», erzählt Brigitta Zbinden, die es in den vergangenen 30 Wintern auch schon anders erlebt hat.


Die 58-jährige Bäuerin setzt sich mit ihren Notizen an den gemütlichen Küchentisch. Ihre strukturierte Art fällt sofort auf, nichts will sie dem Zufall überlassen, viel mehr will sie ihre wertvolle Zeit nutzen – für wichtige Arbeiten auf dem Hof und im Haus, aber auch für ihren Seelenfrieden in der Natur, fürs Philosophieren und hin und wieder auch fürs Alphornspielen. Sie liebe die natürlichen Kreisläufe der vielfältigen, abwechslungsreichen Arbeit als Bäuerin.


30 Lamas und mehr als doppelt so viele Milchschafe


Als junge Frau hat Brigitta Zbinden Dekorateurin gelernt. Nach der Ausbildung zur Sozialpädagogin arbeitete sie zehn Jahre mit geistig behinderten Menschen in der Stadt Zürich und war nebenbei Gemeinderätin in Dübendorf. Sie führte ein Leben, weit weg von Schafen, Lamas und der Einsamkeit des Steinenbachtals. Als sich Müffel Gaberthüel in den frühen Achzigerjahren zu ihrem Leben gesellte, haben sie sich für ein Leben mit Milchschafen entschieden. Denn genau das wollte Müffel, der die Kunstgewerbeschule abschloss, sich mit Zeichnen und Malen beschäftigte und  Musik machte. Die Arbeit in einer Schäferei brachte ihn seinem Ziel näher, sich als Bauer zu betätigen, und Brigitta war bereit, ihr Leben mit ihm auf einem Bauernhof zu teilen, kombiniert mit ihrem Ziel, Ferienplätze für geistig Behinderte anbieten zu können.  

«Wir wollten keine übliche Milchwirtschaft mit Kühen und hatten auch kein Geld», deshalb haben sie lange gesucht, bis sie 1986 als Pächter auf den aufgegebenen Heurütihof zogen. Der Hof war heruntergewirtschaftet, die Ställe und das Wohnhaus veraltet, das überhängende Land stark von der Rinderdauerweide erodiert. 1993 konnten sie den Hof erwerben, haben geheiratet und somit ein wichtiges Ziel erreicht. Kontinuierlich haben sie das Wohnhaus und die Ställe ausgebaut, erneuert, modernisiert und ihren Bedürfnissen angepasst.

Heute leben über 30 reinrassige Classic Lamas und mehr als doppelt so viele Ostfriesische Milchschafe bei ihnen auf dem biozertifizierten Hof. Jetzt in der Lämmerzeit entsprechend mehr, was viel Arbeit bedeutet. Gemolken wird von Brigitta Zbinden, gekäst in einer befreundeten Biokläserei. «Das Käsen macht mir Spass», sagt sie und ihre Augen leuchten. Ihre Hofprodukte verkaufen sich gut.

Jeder hat seinen Verantwortungsbereich


Auf dem Hof haben die beiden ihre Verantwortungsbereiche aufgeteilt. Sie liebe das selbständige Denken und Handeln, und so haben sich die Arbeiten in den vergangenen drei Jahrzenten immer besser eingespielt. «Heute läuft es mehr oder weniger wie am Schnürli», sagt sie ruhig, und man spürt das tiefe Vertrauen, das sie ausstrahlt. War sie früher zeitweilig auch überfordert oder gestresst, habe sich vieles eingependelt. Natürlich gebe es auch hektische Phasen, und die Arbeit werde nicht weniger, doch je älter sie werde, desto mehr liebe sie das, was sie tue und sei dankbar für die gute Gesundheit, die ihr geschenkt wurde. So können sie auch ihre Tradition, dass Müffel und sie abwechslungsweise im Januar in die Ferien fahren, weiterhin beibehalten.

Erst vor ein paar Wochen kehrte Brigitta von wunderschönen, erholsamen Ferien in Sansibar zurück, wo sie mit einer Kollegin geschnorchelt und gefaulenzt habe. «Und jedes Mal komme ich gerne zurück und möchte mit nichts auf der Welt tauschen», sagt sie, und man glaubt ihr aufs Wort.

In der Natur Kraft tanken


Während der Sommermonate arbeiten jeweils Zivildienstleistenden auf dem Heurütihof. «Diese jungen Leute bringen uns ihre Welt, ihre Ideen in unsere kleine Welt, das ist
sehr bereichernd», erzählt sie und erwähnt Freundschaften, die so entstanden seien.

Und wie fühlt man sich als Verwaltungsrätin der Landi Wila-Turbenthal? «Oh, die Anfrage kam überraschend, doch ich habe zugesagt, und es gefällt mir sehr gut, in einem Team eingebunden zu sein», erklärt sie und fügt gleich an, dass ihr diese befristeten Fenster nach aussen sehr behagen, vorausgesetzt, sie könne zurückkehren auf ihren Hof, zu ihren Tieren und in die Natur, wo sie immer wieder Kraft tanke für den Alltag.

Doch auch mit neuen Technologien sind die beiden bestens vertraut. Computer und Smartphones sind heute auf dem Hof eine Selbstverständlichkeit und gar Überwachungskameras im Stall haben sie installiert, damit sie bei jeder Geburt eines Lämmchens dabei sein können.


Jetzt ist Brigitta ein wenig kribbelig – auf den Frühling, auf die ersten Blüten, Blätter und Knospen, den steigenden Sonnenstand und damit die längeren Tage. Selbst wenn sie weiss, dass damit auch die Arbeit wieder zunimmt und ein arbeitsintensiver Sommer bevorsteht. Sie winkt gelassen ab, auch den werden sie schaffen, wie viele zuvor.

Was wünscht sie sich für die Zukunft? «Ich hatte nie Zeit für einen Gemüsegarten, deshalb wäre vielleicht aufs Alter hin ein Gemüsegarten ganz schön.» 

Ruth Bossert