Sattes Grün. Leuchtende Farbtupfer. Rostrote Erde. Die schwarze Strasse, die sich da durchschlängelt. Ermattet sitzen wir im Bus. 22 Stunden Flug- und Wartezeit hinter uns. Doch langsam kriecht in unsere müden Knochen die Freude auf unsere Ankunft.  Nach knapp zwei Stunden Fahrt erreichen wir das Ziel: Wir sind bei unseren Grosseltern im südlichen Brasilien angelangt.

Warme Luft umhüllt uns, wie auch dieser eigene Duft. Nicht beschreibbar. Oder doch? Fruchtig, gleichzeitig herb, erdig und feucht. Immer noch überrascht schaue ich auf die grünen Felder. Um diese Jahreszeit ist es doch sonst trocken und die Farbe Braun überwiegt. Unüblicher, regelmässiger Regen und nicht so hohe Temperaturen, so erzählt Vovo, eben der Grossvater, seien für den üppigen Wuchs von Mais, Manjok und Elefantengras verantwortlich.

Unser Ältester greift, kaum sind wir in der Küche, nach einer Flasche Guarana. Ein süsses Mineralwassergetränk aus Beeren. Dass über die folgenden Tage eine der grössten Sorgen der Anzahl vorhandener Flaschen gilt, ahnen wir da noch nicht. Die getrunkene Menge muss jedoch das Blut ersetzt haben   

Wir schlagen unsere Bäuche voll mit frischen Pflaumen, Wassermelonen, Pfirsichen, Beeren und Äpfeln. Und dies Ende Dezember. Das Mittagessen wird zur täglichen, herbeigesehnten Schlemmerei. Jeden Tag stehen Fleisch, Fisch, Teigtaschen, Manjokküchlein, Süsskartoffeln, Reis und selbst gemachte Nudeln  auf dem Tisch. Wir tummeln mehrmals in der geliebten Gelateria unserer Kinder in der weit entfernten Stadt. Zweimal bestellen wir die sündhaft feinen Schichttorten in Santa Clara.

Daneben haben meine Töchter eine kleine Depression, ausgelöst durch Entzugserscheinungen, da sie nicht ins Internet können. Wir werden grosszügig von speziell kleinen Mückchen gestochen, deren Stiche unsere Beine zu umfangreichen Pfosten anschwellen lassen. Abwechslungsweise sind wir ausgiebig am Kratzen. Und Schimpfen.

Die Jungs machen Exkursionen, bewaffnet mit Macheten, in den nahen Urwald. Beim Fischen verzeichnen sie grosse Erfolge, die uns mehrere Mahlzeiten bescheren. Fast jeden Tag wird in den Feldern nach den schönsten Halbedelsteinen gesucht. Und jeden Abend spielen die Kinder und die Grosseltern mit grösster Leidenschaft das Kartenspiel Canastra. Ich verschlinge, auf dem Sofa lungernd, in den Abendstunden Buch um Buch.

Besuche gehen bei uns aus und ein. Auch hier geht es, trotz beruhigendem Mateteetrinken, schnell um dieselben, hitzigen Themen wie bei uns: Politik und Land-/Wirtschaft. Debattiert wird mit einem Gemisch aus altem Plattdeutsch und portugiesischen Wörtern. Wir hören von einer schlechten Getreideernte und prognostizierten tiefen Maispreisen, da bei diesen regelmässigen Regenmengen gut eine Ernte mehr eingefahren werden kann.

Auf die Frage, wie es den Bauern in der Schweiz gehe, antworten wir, dass sie mit Blumenwiesen, Brachen, Steinhaufen und Hochstammbäumen den Inhalt ihres Portemonnaies erhöhen. Die Reaktionen darauf sind spannend: Ungläubiges, langes, schweigendes Anstarren. Variation mit offenem Mund. Kopf kratzen. Kopf schütteln. Verbunden mit dem endlich gefassten Fazit: Dieses Land muss reich sein.

Sabine Nussbaumer