Maria Jakob ist angekommen in dem Leben, das für sie stimmt. Die Landwirtin sitzt in der Morgensonne am Znünitisch, zusammen mit einigen Mitgliedern des «Radiesli», eines Projekts der solidarischen Landwirtschaft (Solawi) in Worbboden in der Nähe der Stadt Bern. Sie kommen gerade vom Bäumeschneiden, Jakob aus dem Stall. Wenn es ihr etwas zu turbulent werde, wünsche sie sich gelegentlich schon mal einen eigenen kleinen Hof, irgendwo «im Chrache». «Aber da wäre ich innert kürzester Zeit einsam und unglücklich», ist sie sich sicher. Ihr Alltag könnte nicht weiter von dieser Vorstellung entfernt sein.

Studium abgebrochen, um sich einen Traum zu erfüllen

Zwar hegte Maria Jakob schon als Jugendliche den Traum, Landwirtin zu werden. Aber, «ich war die Einzige mit Matur in der Familie. Also habe ich studiert». Während sie den Weg zur Oberstufenlehrerin einschlug, verbrachte sie die Semesterferien auf der Alp. Die Arbeit dort räumte die Zweifel aus, ob sie dem Beruf als Landwirtin körperlich gewachsen wäre und sie sattelte schlussendlich um.

Nach der Lehre zur Landwirtin bildete sich Jakob bei der Koordinationsstelle für Solawi weiter und arbeitete auf verschiedenen Betrieben, kam später zum Radiesli, wo sie heute als Teil der Hofgruppe für den Acker- und Futterbau, die Betreuung der Tiere sowie das Lagergemüse zuständig ist. Die 36-Jährige wohnt in der Nähe in einem kleinen Bauernhaus mit Hostet – «alleine, aber auch selten alleine», wie sie sagt: Oft habe sie Besuch oder ihre Partnerin leiste ihr Gesellschaft.

Mit den vielen Menschen aus anderen Branchen auf dem Hof zu arbeiten, sei anspruchsvoll, aber auch wunderbar horizonterweiternd.

Dann war der Chicorée plötzlich ausgejätet

«Ich kann nicht von A nach B gehen, ohne eine Frage zu beantworten», schildert Maria Jakob. Ausserdem müssen die Helfer(innen) genau angeleitet werden. Zwar sei noch nie etwas Gravierendes passiert, es wurde aber auch schon Wiesensalbei statt Blacken gestochen, Kamille für Karottenlaub gehalten und Chicorée ausgejätet. «Dann gab es eben weniger Chicorée», meint sie pragmatisch. Die Ernte wird aufgeteilt und die Mitglieder tragen somit die Konsequenzen der seltenen Fehler selbst. «Dafür lerne ich, genaue Anweisungen zu geben.» Anderen etwas beizubringen, entspricht ihr, auch wenn sie das Lehrerstudium abgebrochen hat. Im Klassenzimmer sei es ihr einfach zu eng und zu wenig praktisch gewesen.

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Sie schätzt die Frage nach dem «Warum»

Sich im Alltag abzugrenzen, ist für die Landwirtin «nicht möglich». Entsprechend schwierig ist es für sie, bei ihren eigenen Arbeiten den roten Faden zu behalten. Aber sie schätzt den Kontakt zu den Solawi-Mitgliedern sehr – auch das häufige «Warum». «So muss ich mein Vorgehen immer wieder hinterfragen und erklären. Da wird man sicher nicht betriebsblind», ist sie überzeugt. Ausserdem ist die Genossenschaft darum bemüht, vieles anders zu machen. Beispielsweise wird transparent über den Lohn der 5-köpfigen Hofgruppe aus landwirtschaftlichen Fachpersonen diskutiert. So macht man sich Gedanken darüber, was ein Lohn alles beinhalten sollte (etwa eine Altersvorsorge) und wie man z. B. für Reparaturen dank dem Wissen der Gruppe Geld umgehen könnte. Ausserdem strebt man auf dem Radiesli eine 42-Stunden-Woche an. Ihre freie Zeit nutzt die Bernerin zum Lesen, Kochen oder Gärtnern, aber «es dreht sich in meinem Leben viel ums Bauern», bemerkt Maria Jakob. Immerhin kann sie spontan keine Arbeit nennen, die sie ungern macht.

«Wir sprechen nicht mehr von Abos, sondern von Ernteanteilen»

Aus zwei Gründen froh, eigene Tiere zu haben

Eine in alternativen Kreisen beinahe unumgängliche Diskussion ist jene ums Fleisch. «Der Schwerpunkt liegt beim Radiesli auf der direkten menschlichen Ernährung», stellt Maria Jakob klar. Zum Hof gehören aber auch neun Mutterkühe, eine Gruppe Ziegen und einige Hühner. Die Wiederkäuer beweiden die inder Fruchtfolge unerlässlichen Kunstwiesen und eine 1,5 ha grosse steile Fläche, liefern Fleisch und Mistkompost für die Felder. Im Sommer gehen sie z Alp. «So passen sie in den Kreislauf», findet die Landwirtin, auch wenn das Fleisch nicht von allen Genossenschaftern bezogen werde. Sie ist noch aus einem anderen Grund froh, eigene Tiere zu haben: «Ich esse sehr gerne Fleisch – und viel». Bei ihr komme ein- bis zweimal pro Woche Fleisch auf den Teller.

Mit 10 Hektaren versorgt das Radiesli 250 Menschen mit Gemüse, Getreide, Hülsenfrüchten, Kartoffeln, Polentamais, Obst und wahlweise Eiern und Fleisch. «Wir sprechen nicht mehr von Abos, sondern von Ernteanteilen», bemerkt Maria Jakob. Abo erinnere zu sehr an unbeteiligten Konsum, hatte es von Seiten der Betriebsgruppe geheissen. Diese kümmert sich um strategische und eher theoretische Überlegungen. Im Gespräch verbessert sich die Bernerin mehrmals selbst, wenn sie versehentlich Abo statt Ernteanteil sagt. «Dass so etwas hier überhaupt eine Rolle spielt, gefällt mir. Wir sagen nicht einfach, ist doch egal», versichert sie.

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Ein Ziel: Lehrlinge ausbilden

Einen weiteren Vorteil der Solawi sieht Maria Jakob darin, dass man nie lange an einer Arbeit dran sei. Dies, weil immer viele Leute zum Jäten oder Bäumeschneiden zur Verfügung stehen. Die Organisation verlange dann aber auch viel Präsenz und Konzentration, räumt sie ein.

Vielfalt ist Programm, von den Produkten bis zu den Menschen. Maria Jakob möchte diese Diversität auch unter der Oberfläche, im Boden abbilden und beschäftigt sich daher mit pfluglosem Anbau, Untersaaten, Komposttee und Gründüngungen. Einerseits lese sie Bücher zu diesem Thema und tausche sich mit Berufskollegen aus, andererseits drückt die Landwirtin auch wieder die Schulbank. Jakob macht die Betriebsleiterschule, um künftig Lehrlinge auf dem Radiesli ausbilden und ihnen so die Solawi als Modell näherbringen zu können.

«Ich bin ein Versuchskaninchen»

Als eine Botschafterin der modernen Landwirtschaft sieht sich die Bernerin nicht – «Das ist ein zu grosses Wort. Ich bin eher ein Versuchskaninchen». Ein Versuch, der in ihrem Fall sehr geglückt ist. Sie könne hier ihre Ideen und Visionen umsetzen und sich gut vorstellen, bis zur Pension dem Radiesli treu zu bleiben. «Ich möchte sehen, wie es sich weiterentwickelt», begründet Maria Jakob.