Die Bilanz gleich vorneweg: Die Sachlage ist klar, die Beurteilung herausfordernd und die Umsetzung schier unmöglich. Tiere mit schwersten Erkrankungen und Verletzungen, wie beispielsweise einem Beinbruch, sind nicht transportfähig und müssen deshalb an Ort und Stelle fachgerecht getötet werden. So steht es im Leitfaden zur Beurteilung der Transportfähigkeit. Dieser wurde vergangenen Sommer vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) in Zusammenarbeit mit der Vereinigung der Schweizer Kantonstierärztinnen und Kantonstierärzte erarbeitet.

Grosse Unsicherheiten

Der Leitfaden stellt die Branche teilweise vor Herausforderungen, weil die Abstufungen und damit die Beurteilung alles andere als eindeutig sind. Im Bereich der Lahmheit, Frakturen, bei der Geburt und bei Nabelbrüchen bei Schweinen bestehen laut Branche die grössten Unsicherheiten im Bereich der Transportfähigkeit.

Wie an einer Tierärztetagung in Freiburg jüngst diskutiert wurde, scheint der Transport nicht selten unterschätzt zu werden. Denn da wackelt es und das Tier kann nicht einfach in Ruhe stehen, es bewegt sich etwas und es muss Kurven ausgleichen. Ein Transport ist also immer eine Belastung. Positiv scheint, dass die schweren Fälle massiv abgenommen haben. Das hat zur Folge, dass der Vollzug (Kanton) weniger Fälle abarbeiten muss. Offenbar ist die Sensibilisierung da.

Kein Transport – was nun?

AboAnalyseWeil Schlachtkapazität fehlt, müssen Tiere entsorgt werdenMontag, 5. Juni 2023 Was aber nun, wenn ein Tier nicht transportfähig ist? Es muss auf dem Hof getötet werden. Kann das Fleisch noch verwendet werden, will der Bauer oder die Landwirtin im Normalfall die Tötung durch den Bolzen. Also muss ein Metzger auf Platz. Nach dem Töten muss der Schlachtkörper innert 45 Minuten im Schlachtlokal hängen. Die Zeit ist also knapp. Aber nicht nur die Zeit, sondern auch die Metzger (siehe Kasten rechts). Wer sachkundig ist, darf töten, das heisst, liegt die entsprechende Ausbildung vor, dürfen auch Tierärzte und Landwirte zum Bolzen greifen. Wie an der Tierärztetagung in Freiburg zu vernehmen war, soll es in diesem Bereich schon sehr rasch einmal vorwärts gehen. Denn der Wunsch der Tierhalter, dass Tierärzte Tiere auch schiessen und nicht nur euthanasieren können, nehme zu. Nicht zuletzt aufgrund der Ansprüche an die Transportfähigkeit.

Keine Unterschiede

Zu beurteilen, welcher Schweregrad bei einer Lahmheit vorliegt, scheint auch für die Tierärzte teilweise eine Herausforderung darzustellen. Hier kann eine Transport-App, die innert Kürze erscheinen soll, zusätzliche Hilfestellung geben. Klar ist, ein Tier mit einem gebrochenen Bein darf nicht transportiert werden. Praktizierende Tierärzte monieren, dass hier nicht zwischen Kühen, Schweinen und Kleinwiederkäuern unterschieden wird. Doch das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen entgegnet, dass ein Lamm nicht weniger leide bei einem Beinbruch als eine Kuh.

Auch dass Heimtiere wie Hunde und Katzen mit Brüchen zur Tierärztepraxis gefahren werden könnten, eine Ziege mit gebrochenem Bein aber nicht zum Schlachthof, hinterfragen Tierärzte und auch Bauern gerne. «Tiere transportieren, um sie zu töten, ist etwas anderes, als sie zu transportieren, um sie medizinisch zu versorgen», sagt Reto Wyss, Präsident der Vereinigung der Kantonstierärzte. Ein Vergleich mit dem Hund, der mit einer Fraktur ja auch transportiert werden könne, hinkt daher für ihn. Beim Transport zur Behandlung könne schliesslich auch vorgängig ein Schmerzmittel verabreicht werden, damit das Tier auf dem Transport nicht zusätzlich leide.

Metzger am Anschlag
Das Emmental ist ein klassisches Viehzuchtgebiet. Doch wer seinen Tieren keinen langen Transport zum Schlachthof zumuten will, der hat es schwer und immer schwerer. Seit der Schlachthof Reber im Bernischen Langnau keine Tiere mehr schlachtet, haben die Rinder aus dem Emmental einen deutlich längeren Schlachttransport vor sich. Zumindest die Gesunden. Doch was, wenn ein Tier aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr oder nicht mehr weit transportiert werden kann? Die Zeche bezahlen die verbliebenen kleinen Metzgereien in der Region, wie auch Jakob Gerber weiss, der in Süderen BE eine Kundenmetzgerei betreibt: «Bei uns haben sich innerhalb von einem Jahr die Notschlachtungen etwa verdoppelt», erzählt er.

Zu den geplanten Schlachtungen kommen laut seiner Schätzung jährlich gut hundert Notschlachtungen hinzu. Einen Aufwand, den er zeitlich und platzmässig kaum stemmen kann. Immer öfter müssen seine Metzger Tiere im Stall schiessen gehen, die von den Tierärzten als nicht transportfähig eingestuft werden. Eine zeitraubende Angelegenheit. Und manchmal ist der Kühlraum auch einfach voll, dann muss er mit blutendem Herzen den Landwirten absagen.