Der Weg führt über holprige Feldwege, die von den Gewittern der letzten Tage gezeichnet sind. Fast denkt man in der waldigen Berglandschaft des Gurnigels zwischenzeitlich, dass man sich ausserhalb des bewohnten Gebiets befindet. Doch der Weg ist mit Herzen gekennzeichnet und führt zu einer Oase der Gastfreundschaft: der Oschubi. Hier empfängt Sandra Ledermann ihre Gäste mit Herzlichkeit in ihrem Alpbeizli.
Jung eine Familie gegründet
Auch der Lebensweg von Sandra Ledermann war alles andere als gradlinig. Sie arbeitete in der Gastronomie, überlegte gerade, sich selbstständig zu machen, als sie ihren Mann kennenlernte und sich entschied, eine Familie zu gründen: «Mein Mann ist 13 Jahre älter als ich, so musste ich mich jung entscheiden, will ich Kinder oder Karriere», erzählt sie. Beides zusammen sei für sie nicht in Frage gekommen, zu oft habe sie erlebt, wie es für Kinder von Gastronomen sei: «Wie oft versprichst du, dass du ihnen gute Nacht sagen kommst und kannst dann doch nicht weg von der Arbeit.» So zügelte sie auf den Hof ihres Mannes nach Mamishaus BE. 1998 wurde Tochter Andrea geboren, zwei Jahre später folgte Michael.
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Ein wildes Kind
«Michael war ein wildes Kind, aber auf dem Bauernhof hatte er Platz, um sich zu bewegen, seine Kraft zu brauchen», erinnert sich Sandra Ledermann. Dann hatte ihr Bruder Thomas, der ebenfalls erfolgreich geschwungen hat, die Idee, Michael mit in den Schwingkeller zu nehmen. «Wir waren nicht begeistert, aber Thomas beruhigte uns und meinte, dass es Michu ja vielleicht nicht gefalle», blickt sie zurück. Doch als der Sprössling nach dem Training mit glänzenden Augen nach Hause kam, wusste sie, was es geschlagen hatte.
«Zum Glück hatten wir nur ein sportbegeistertes Kind in der Familie, sonst hätten wir an den Wochenenden ein Zeitproblem gehabt», wendet sich Sandra Ledermann an ihre Tochter, die sich in der Gaststube an den Tisch gesellt hat. Mittlerweile hat sich dort eine illustere Runde eingefunden und alle erzählen von Michu. Immer wieder lachen sie herzlich, schwelgen in Erinnerungen. Aber auch die ernsten Themen kommen auf den Tisch. Die schwere Herzoperation von Sandra, bei der sie nicht wusste, ob sie wieder aufwacht. Wenige Jahre später die Chemo, gerade dann, als sie sich mit dem Kochen selbstständig machen wollte. In ihrer Bauernhausküche hatte sie sehr erfolgreich begonnen, Kochkurse zu geben. Das Fotoalbum zeigt gesellige Abende und lachende Gesichter.
Für das Leben entschieden
«Während der Chemo kam ich irgendwann an den Punkt, wo ich meinen Kopf mit etwas anderem beschäftigen musste», erzählt Sandra Ledermann. Und sie wusste, sie will das Leben in vollen Zügen geniessen, die Zeit auskosten, die so schnell vorbei sein kann. Also habe sie das Wirtepatent gemacht und sich ein Konzept für eine Gastronomie überlegt. Zu der Zeit war die Oschubi, die lange Zeit ihr Vater Walter geführt hatte, verpachtet. Sandras Herzlichkeit und Gastfreundschaft erinnern die langjährigen Gäste an ihn, wie auch das Bänkli, das neben dem Eingang steht, und mit «Am Wali sis Plätzli» beschriftet ist.
Ein Treffpunkt der Familie
Als die Pacht endete, war es für Sandra ein Herzensentscheid, das familieneigene Bergbeizli zu übernehmen: «Mein Vater durfte im vergangenen Sommer noch miterleben, wie sein Restaurant wieder von uns, seinen Kindern, bewirtschaftet wurde und so auch wieder zu dem Treffpunkt für Familie und Freunde wurde, welches es einst war, bevor er im Winter starb.»
Die Kinder waren mittlerweile erwachsen und ermunterten sie, sich den Traum zu erfüllen. Stets kann sie sich auf die Unterstützung der Familie verlassen. Ausserdem hat sie zwei Angestellte und mehrere Aushilfen für grosse Anlässe. Das Kochen auf dem Feuerofen will geübt sein und übernimmt sie, wenn es die Zeit erlaubt, gerne selber. Ihre Angestellten sind alle nicht aus der Gastronomie: «Ich suche meine Angestellten aufgrund ihrer freundlichen und aufgestellten Art aus und nicht aufgrund der Ausbildung.»
Dass die Oschubi nur im Sommer geöffnet ist, gefällt ihr. So ist sie vier Monate Wirtin und den Rest des Jahres Bäuerin. Aber auch zu Hause gibt es immer eine grosse Runde zu bekochen. Für die anfallende Wäsche der Grossfamilie hat sie zwei Waschmaschinen: «Mit einem Schwinger in der Familie, der Kleider voller Sägemehl nach Hause bringt, braucht es eine separate Waschmaschine», erzählt sie lachend. Das sei auch ein Grund, dass sich Michu zu Hause immer noch sehr wohl fühlt. Aber sicher auch das super Sportleressen, das seine Mutter ihm auf den Tisch zaubert.
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Futter für die Muskeln
Gerade habe sie ihm wieder eine grosse Schüssel Birchermüesli gemacht. Mit den Händen formt sie eine wirklich grosse Schüssel. Regelmässig bereitet sie ihm eine Wochenration Haferbrei zu, den er abends nach dem Training isst. Michael Ledermann trainiert jeden Tag, manchmal gar morgens und abends. Da braucht es die entsprechende Ernährung, um hundert Kilo Muskelmasse und 193 cm Körpergrösse zu erhalten. Eine Mutter, die Köchin ist, ist da sicher kein Nachteil, auch wenn sie beim Kochen umdenken musste. Statt gesunden Salat als Vorspeise gibt es Kohlenhydrate. Statt salzarme Schonkost braucht der Eidgenosse eine Extraportion Salz, um seine Elektrolyte auszugleichen. Und sein Proteinpulver löse er in reichlich Kuhmilch auf: «Und zwar in solchen Mengen, dass mein Mann meint, man hätte damit auch ein Kalb mästen können», erzählt sie lachend.
Leben neben dem Sport
Doch neben der Unterstützung der Familie braucht es auch viel Selbstdisziplin, um im Schwingsport erfolgreich zu sein. Der Unterschied von früher zu heute sei riesig. Wer vorne mit dabei sein will, der muss fast alles auf eine Karte setzen. So trinke Michu während der Saison keinen Tropfen Alkohol und verzichte dem Sport zuliebe auf manche freie Stunde. «Wir haben ihn beim Sport schon immer eher bremsen müssen», erzählt Sandra Ledermann. Insbesondere in den Wachstumsschüben sah sie es mit Sorge, wenn er zu viele Wettkämpfe absolvieren wollte. Und es war der Familie immer wichtig, dass es neben dem Schwingen noch andere Themen und ein anderes Leben gibt. Auch Tochter Andrea zuliebe, die manches Wochenende auf den Schwingplätzen verbringen musste und dort ihre Bücher verschlang.
Mutter des Schwingers
Doch sie ermunterten Michu auch zu einem Plan B. So arbeitet er in der Landi und absolviert die Agrotechniker-Schule. Aber mit dem Erfolg wird es immer schwieriger, nicht «nur» die Mutter des Schwingers zu sein. «In die Oschubi kommen immer öfter Gäste, die sich erkundigen, ob Michu da sei, die sich über vergangene Schwingfeste unterhalten wollen oder ein Fankäppi kaufen», erzählt Sandra Ledermann. Ohne die Unterstützung der Familie ist der erfolgreiche Schwingsport kaum denkbar: «Wenn es gut läuft, dann braucht es uns wenig, dann halten wir ihm den Rücken frei. Aber wenn es Probleme gibt, dann sind wir seine wichtigste Anlaufstelle und da sind wir froh drum.» Wichtige Entscheide berate die Familie jeweils gemeinsam am Küchentisch. Aber mit der wachsenden Beliebtheit war irgendwann die Familie überlastet. So unterstützt ihn nun ein Manager bei wichtigen Vertragsabschlüssen und berät ihn bei Medienauftritten.
Zufriedene Gäste
Und manchmal treffen ihn dann die Gäste der Oschubi an, den Eidgenossen Michael Ledermann. Er geniesst hier ebenfalls gerne die Ruhe, die Abgeschiedenheit der Bergwelt des Gurnigels. Wenn es die Zeit erlaubt, geniesst er hier auch gerne einen Jassabend mit seinen Schwingerfreunden. Bei den Erinnerungen an diese Feste lacht die Runde und Sandra Ledermann mit ihnen. Gegen zufriedene, gesellige Gäste hat hier niemand etwas einzuwenden, wie auch nicht gegen ein spontanes oder geplantes Fest – und die gibt es in der Oschubi öfters. Weil hier die Gastfreundschaft von Herzen kommt.