Christine Badertscher sitzt auf einer Bank in der Kuppelhalle des Bundeshauses, nahe der Statue der legendären Gründer der Alten Eidgenossenschaft. Über dem Eingang zum Bundeshaus thront Helvetia. Die Frühlingssession des Parlaments ist in vollem Gang. «Ich muss nachher kurz in den Saal zum Abstimmen», warnt die Nationalrätin vor. Professionell gekleidet in einem schwarzen Hosenanzug grüsst sie vorbeigehende Ratsmitglieder.

Für die grüne Partei sitzt Christine Badertscher seit 2019 im Parlament und sie wünscht sich, dass ab dem kommenden Herbst vermehrt Frauen vom Land die Politik des Landes mitgestalten. «Denn Bäuerinnen sind Brückenbauerinnen und setzen sich für die Anliegen der Bäuerinnen und für die Landwirtschaft ein», sagt sie. «Sie stehen für vernünftige Lösungen, sie sind bodenständig und sie geniessen eine hohe Glaubwürdigkeit bei der Bevölkerung.»

Bodenständige Wurzeln

Die 41-Jährige Frau hat selbst starke Wurzeln in der Landwirtschaft. Ihre Eltern führen einen Biobetrieb, früher in Sumiswald BE, heute in Madiswil BE. Sofern ihr Mandat ihr Zeit lässt, hilft sie noch immer gerne auf dem elterlichen Betrieb mit.

Sie studierte erst Umweltingenieurwesen in Wädenswil ZH und machte anschliessend einen Master in Agrarwissenschaften in Zollikofen BE. Später arbeitete sie vier Jahre beim Schweizer Bauernverband (SBV) im Bereich Handels- und Agrarpolitik. Landwirtschaft, Aussenpolitik und Frauenthemen sind ihre politischen Schwerpunkte.

Ein Parlamentsmandat im Bundeshaus trauen sich viele Frauen gar nicht zu. «Fragt man Frauen für ein Amt an, antworten sie oft, ‹Ich kann das nicht›», sagt Christine Badertscher. «Männer machen es einfach.» Für mehr Selbstvertrauen können den Frauen Kurse helfen wie der modulare Lehrgang «Wir gestalten die Zukunft» des Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverbands (SBLV).

Hindernis Familie

Ein grosses Hindernis beim Einstieg in die Politik sei für viele Frauen die Familie, weiss Christine Badertscher, selbst Mutter eines zweijährigen Sohnes. Vor dem Kind brachte sie gut alles unter einen Hut. «Jetzt komme ich manchmal ans Limit.» Wie die Männer brauchen Frauen eine gute Rückendeckung, wollen sie ein grösseres Amt ausüben.

Ihr Partner arbeitet 50 Prozent als Lehrer. Die restliche Zeit kümmert er sich um den Sohn und den Haushalt. Und doch fühlt sie sich oft schuldig, meint, sie sollte mehr beim Kind sein. Aus Gesprächen mit anderen Ratsmitgliedern weiss sie, dass viele zwar eine praktische Rückendeckung haben, aber die moralische Unterstützung fehlt öfters. Da ist ein gutes Netzwerk wichtig.

Christine Badertscher und ihr Partner sprechen offen miteinander über ihre Situation. Teilzeit arbeitende Männer sind noch keine Selbstverständlichkeit. «Er gilt in der Gesellschaft für manche als Loser, weil er zum Kind schaut.» Vielen Männern fehlen gute Vorbilder. Dazu kommt, dass Haus- und Familienarbeit oft auch für Frauen leider keinen hohen gesellschaftlichen Wert besitzt.

Zu viel Kritik

Schade findet es Christine Badertscher, wenn Frauen andere Frauen übermässig kritisieren. Auch sie ertappt sich in dieser Falle. «Wir müssen einander gegenseitig unterstützen, besonders bei Kritik von aussen.» Am dringlichsten sei Anerkennung auf der lokalen Ebene. Besonders dort kann Kritik der Killer der Amtsarbeit werden. Am meisten hilft der Nationalrätin das Interesse von anderen. «Frauen, die auf mich zukommen und mich auch mal einladen, das ist schön und so wichtig.»

Eine Parteimitgliedschaft schreckt viele Frauen zurück. «Man muss nicht mit allem einverstanden sein», ermutigt Christine Badertscher. Klar habe man den Parteistempel. «Mit diesem muss man leben lernen. Eine gewisse Zuordnung braucht es halt.» Sie selbst stimmt besonders bei landwirtschaftlichen Themen manchmal anders als ihre Fraktion. Ihre Zeit im SBV gibt ihr oft eine andere Sicht auf diese Themen als den Parteikollegen. Diese Gabe, beide Seite zu verstehen, ist nicht nur hilfreich im Parlament. Sie lacht. «Ich bin eigentlich zu nett für den Nationalrat.»

Von Frauen hört man oft: «Das könnte ich nicht, so exponiert sein.» Öffentlich hinzustehen und für etwas zu kämpfen, finden viele befremdlich. Dabei wäre es wichtig, weil Frauen und insbesondere Bäuerinnen nicht selten weniger polarisieren. Sie selbst orientiert sich oft an den Frauen aus dem SBLV. «Sie streben eher den Ausgleich an, wollen weniger polarisieren und haben Verständnis für die verschiedenen Seiten.»

Gut vorbereitet

Die acht Jahre als Gemeinderätin von Madiswil BE waren eine gute Vorbereitung für den Nationalrat, obwohl Christine Badertscher eine «Lehrzeit» im Kantonsrat vermisst. Ohne einen Leistungsausweis, wenn nicht politisch, dann mit Führungserfahrung in einem Verband, geht es kaum nach Bern. Schon darum ist die Ermutigung von Frauen in örtlichen Gremien wichtig.

«In der Politik geht es auch darum, dass jemand Themen anstösst», weiss Christine Badertscher. «Darum ist es wichtig, wer in einer Partei dabei ist.» Als Beispiel nennt sie die soziale Absicherung der Bäuerinnen. «Das war lange kein Thema. Doch jemand musste es bringen. Denn es ist für die Frauen auf dem Land wichtig.»

Das Handy piepst, Christine Badertscher steht auf und geht zum Nationalratssaal. Es ist Zeit für die Abstimmung.

Weitere Informationen zum Lehrgang «Wir gestalten die Zukunft»: www.landfrauen.ch