Es ist so etwas wie ein Tabubruch: Die Schweiz diskutiert wieder über den Bau neuer Stadtquartiere auf der grünen Wiese. «Es ist nicht nachvollziehbar, warum bestens erschlossenes Land an der Stadtgrenze zur Anpflanzung von Futtermais genutzt wird», sagte Martin Hofer, Architekt und Mitbegründer des Beratungsunternehmens Wüest Partner, unlängst in der «NZZ am Sonntag».

Abo Enge Bauzonen, hohe Nachfrage: Bergdörfer ringen um ihre Entwicklung. Wohnungsnot Knappe Bauzonen und Zweitwohnungsgesetz: Wohnungsnot im Berggebiet Montag, 25. März 2024 Im Raum Bern werden entsprechende Pläne bereits diskutiert. Das regionale Gesamtverkehrs- und Siedlungskonzept (RGSK) der Regionalkonferenz Bern Mittelland, das Ende Juni zur Vorprüfung zum Kanton kommt, sieht vor, «Vorranggebiete Siedlungserweiterungen planerisch weiterzuentwickeln oder – bei ausgewiesenem Bedarf und äusserst zurückhaltend – neue aufzunehmen».

Noch ist es ein weiter Weg bis zur grossflächigen Überbauung der stadtnahen Räume. Fruchtfolgeflächen zu Bauland umzuwidmen, ist zwar möglich, aber mit hohen Hürden verbunden. Und die Rodung von Forstflächen ist im Waldgesetz ebenfalls streng geregelt. Wie schnell sich die Dinge ändern können, wenn der politische Druck gross genug ist, zeigt jedoch die Kehrtwende beim Landschaftsschutz im Gefolge der nach Ausbruch der Kampfhandlungen in der Ukraine 2022 befürchteten Strommangellage.

Strom wichtiger als Landschaft

Mit dem Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien, über das am 9. Juni abgestimmt wird, setzten Bundesrat und Parlament ein Zeichen: Die Politik hält die Gewinnung von CO2-freier Energie mittlerweile für so wichtig, dass andere Interessen, wie etwa Natur- und Landschaftsschutz, künftig zurückstehen müssen.

Im Alpenraum stehen die Energiekonzerne bereits Schlange für Alpweiden, die sie mit Solarpanels bestücken können. Im Unterland sind derartigen Plänen aber weiterhin Grenzen gesetzt. Hier braucht es für die Nutzung von Landwirtschaftsland nach wie vor grundsätzlich eine landwirtschaftliche Grundnutzung – auch dann, wenn Photovoltaik Teil der Nutzung sein soll. Das heisst: Photovoltaik kann Teil der Nutzung sein, darf diese aber nicht ganz ersetzen.

Im Februar berichtete Agriexpert-Leiter Martin Goldenberger den Delegierten des Schweizerischen Pächterverbands in Rothrist von drohendem Ungemach: Energieunternehmen seien bereit, «abartige Summen» für Pachtland zu bezahlen, um darauf Freiflächen-Solaranlagen zu errichten. Bereits würden Pachtverhältnisse «auf Vorrat gekündigt», um in Verhandlungen mit den Strombaronen treten zu können, so seine Warnung.

Energienutzung ist lukrativer

«Das Problem ist, dass ein Verpächter von Pachtland mit dem Pachtzins eine eher kleine Entschädigung erhält», führt Martin Goldenberger auf Nachfrage aus. Denn das Pachtgesetz schreibt eine Entschädigung abgestützt auf den Ertragswert und nicht auf den Verkehrswert vor. Ersterer wird derzeit im Mittel auf 40 Rappen pro Quadratmeter festgesetzt. Der Verkehrswert kann aber bis zu 10 Franken pro Quadratmeter betragen. Ein Landbesitzer könnte also mit einer nichtlandwirtschaftlichen Nutzung ein Mehrfaches einnehmen, bilanziert Goldenberger.  

«Viele haben gemerkt, dass sie viel mehr Geld erhalten, wenn sie ihr Land nicht einem Bauern geben, sondern einem Unternehmen, das Solarpanels daraufstellt», beobachtet er. Zwar sei dies noch gar nicht erlaubt ohne landwirtschaftliche Unternutzung, aber auf Pächterseite mache sich die Erwartung auf die zukünftigen Gewinne bereits bemerkbar: «Bei den Verhandlungen zur Pachterstreckung hören wir immer wieder, dass die Besitzer das Land zurücknehmen und es Energieunternehmen für PV zur Verfügung stellen wollen.»

Dass die unbeschränkte Energienutzung von ehemals landwirtschaftlichem Pachtland bald erlaubt wird, halten offenbar viele für wahrscheinlich. «Der politische Druck, der von der Energieseite auf die Bauern niederprasselt, ist enorm», sagt dazu Goldenberger, der in Arbeitsgruppen zur Agri-Photovoltaik mitarbeitet: «Ich erlebe das selbst.»

Mähroboter statt Schafe

«Wir spüren in vielen Begegnungen, dass erwartet wird, dass die Landwirtschaft jetzt einknickt und mitmacht», berichtet Martin Goldenberger. «In der nichtlandwirtschaftlichen Bevölkerung will man diesen Strom und sieht keinen Sinn darin, auf Flächen, die nicht viel landwirtschaftlichen Ertrag abwerfen, noch ein paar Schäfchen weiden zu lassen», fasst er die aktuelle Diskussion zusammen.

Kommt die entsprechende Gesetzesänderung, sei es interessanter, direkt in Freiflächen-PV zu investieren als in die weniger intensive und sehr teure Agro-Photovoltaik. In Deutschland sei diese Entwicklung bereits weiter: «Die Solarpanels stehen so dicht wie möglich und das Land darunter wird mit einem grossen Mähroboter gepflegt», so seine Beobachtung. Sowohl der Landbesitzer als auch «die findigen Leute, die Panels entwickeln und Strom produzieren möchten», kämen dann ohne lästige Verhandlungen mit den «schwierigen» Bauern aus.

Land nicht hergeben

Noch sei dies alles «Zukunftsmusik», räumt Martin Goldenberger ein. Aber die «Hauruckübung» bei den alpinen Solaranlagen habe gezeigt, wie schnell es gehen könne. «Je näher wir an einem Versorgungsengpass sind, desto eher ist die Politik bereit, da mitzumachen», sagt er. Die Landwirtschaft müsse sich deshalb rechtzeitig positionieren. Derzeit sei der Schweizer Bauernverband (SBV) nicht bereit, das Land herzugeben. «Landwirtschaftsland muss weiterhin landwirtschaftlichen Ertrag abwerfen, auch wenn darauf Solarpanels stehen», fasst Goldenberger die Position des SBV zusammen. Politisch dürfte der Abwehrkampf um das landwirtschaftliche Pachtland nicht einfach werden. Denn die möglichen Verbündeten sind in der Frage selbst gespalten.

«Die Umweltverbände haben keine Freude daran, dass man überall ausserhalb der Bauzone Anlagen baut», skizziert Goldenberger das Dilemma der Naturschützer: «Aber andererseits wollen sie ja solche Energie.» Innerhalb der grünen Partei werde das Bedürfnis nach grünem Strom dereinst wohl höher gewichtet werden als der Landschaftsschutz, so seine politische Einschätzung.

Erschliessungen notwendig

Diese Situation sei paradox, moniert Martin Goldenberger und verweist auf die aktuelle Revision des Raumplanungsgesetzes, in der Anliegen der mittlerweile zurückgezogenen Landschafts-Initiative aufgenommen worden sind. Einerseits wolle man den Wohnraum ausserhalb der Bauzone wegen der dafür notwendigen Erschliessungen einschränken, gleichzeitig brauche der Ausbau der Solarenergie aber neue Erschliessungen: «Was ist mit all den Leitungen und Trafostationen?»

Betroffenen Landwirten empfiehlt er, im Falle einer Kündigung durch nichtselbstbewirtschaftende Eigentümer Pachterstreckung zu verlangen. Auch könne man die Verpächter darauf hinweisen, dass eine ausschliessliche PV-Nutzung derzeit gar nicht erlaubt ist. «Viele sind sich darüber gar nicht im Klaren», sagt Goldenberger.

Ist die Pachterstreckung einmal abgelaufen, ist der Handlungsspielraum aber ausgeschöpft. Letztlich werde es an der Politik liegen, zu entscheiden, was der Schweiz wichtiger sei: «Nahrungsmittel oder Strom».