Geht ein alter Baum seinem Lebensende zu oder muss er krankheitsbedingt gefällt werden, stellt sich die Frage: Mit welcher Sorte ersetzen? Für die Auswahl ist einerseits der künftige Verwendungszweck der Früchte ein wichtiges Kriterium, andererseits aber eine robuste Gesundheit. Anna Dalbosco, Projektleiterin bei Fructus, sagt: «Es gibt viele alte Obstsorten, die für den Anbau interessant sind.»

Nicht für den Grosshandel

Fructus hat aus der Vielfalt alter Obstsorten eine Auswahl von Sorten getroffen, die eine gute Fruchtqualtität haben und zudem wenig anfällig für Krankheiten sind. Bei den Äpfeln gehören dazu der Wehntaler Hagapfel, eine Rarität aus dem Zürcherischen Wehntal, der Bittenfelder oder auch der Niederhelfenschwiler Beeriapfel aus der Region St. Gallen. Alle diese Sorten ergeben einen sehr guten Most. «In der Gemeinde Niederhelfenschwil wird dieses Jahr zum zweiten Mal ein sortenreiner Most aus dem Beeriapfel gepresst und regional verkauft», sagt Anna Dalbosco. Sie hat die Produktion des Mostes initiiert und begleitet.

Auch bei den Tafeläpfeln finden sich in der Vielfalt der alten Obstsorten gute Sorten. Der sehr seltene Kaister Feldapfel ist ein guter Tafelapfel. Eierlederapfel und Brettacher sind gute Lageräpfel, die sich zudem sehr gut fürs Kochen und Backen eignen. «Solche Nischensorten bereichern das Angebot im Hofladen oder auf dem Marktstand und sind besonders für die Direktvermarktung interessant», so Anna Dalbosco.

Auch bei den Birnen gibt es diverse Sorten, die aufgrundihrer Krankheitstoleranz und Fruchtqualität für den Anbau empfohlen werden können. Bei den Tafelbirnen ist dies beispielsweise Josephine von Mecheln, eine früher bekannteSorte, die unterdessen aber weitgehend in Vergessenheit geraten ist.

Auch Madame Verté und die Palmischbirne sind gute Tafelsorten. «Für den Grosshandel eignen sich diese Sorten nicht, denn sie sind etwas heikel in der Lagerung. Entweder muss man sie sofort essen oder aber bis zur optimalen Genussreife nachlagern», sagt Anna Dalbosco. Sind die Früchte für den Hofladen vorgesehen, sollten sie daher erst noch etwas auf dem Betrieb gelagert werden oder die Kunden entsprechend informiert werden. «Viele Leute wissen gar nicht mehr, wie unterschiedlich Birnen schmecken können». Auch eher unbekannt ist, dass Birnen gebraten werden können. Die Sorte Schweizer Bratbirne beispielsweise entfaltet ihr spezifisches und ausgezeichnetes Aroma erst, wenn die gelagerten Früchte angebraten werden.

Alternativen zu Williams

Traditionellerweise werden Birnen auch den Mostäpfeln beigemischt. Die Reinholzbirne beispielsweise bringt viel Aroma und Zucker mit. Auch zum Brennen eignen sich verschiedene alte Sorten, die bekannteste ist Williams. Eine Alternative dazu ist beispielsweise die Wahlsche Schnapsbirne.

«Solche Sorten bereichern den Marktstand.»

Anna Dalbosco,Projektleiterin Fructus

Die 12 Raritäten für Ihren Obstgarten

Schweizer Bratbirne

[IMG 12] Gemäss historischer Über-lieferungen soll diese Sorte am rechten Ufer des Zürichsees entstanden sein. Dort und im übrigen KantonZürich war sie ab der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verbreitet. Die Qualität der spätreifenden kleinen Früchte dieser Sorte offenbart sich erst, wenn sie gebraten, gebacken oder gegart werden. Dann zeigt die Schweizer Bratbirne ihr auffallend kräftiges Aroma und ihre feste, aber angenehm feine Textur. Der schwachwüchsige Baum bringt recht gute Er-träge und ist wenig anfällig für Schorf. 

Wehntaler Hagapfel

[IMG 1] Diese Sorte war einst vor allem im zürcherischen Bachser- und Wehntal heimisch und wurde 1925 vom Pomologen Theodor Zschokke unter dem Namen Stadler Hagapfel beschrieben (nebst einer zweiten Sorte mit gleichem Namen). Der Baum wächst stark und bildet eine kugelige, dichte Krone. Die Früchte sind von mittlerer Tafelapfelqualität, jedoch sehr gut als Mostäpfel ge-eignet. Die Sorte ist sehr robust gegen die wichtigsten Krankheiten und eignet sich deshalb sehr gut für eine extensive Mostobstproduk-tion auf Hochstämmen. 

Madame Verté

[IMG 11] Die Sorte wurde um 1810 von einem belgischen Obstzüchter namens Kevers in der Nähe von Brüssel aus Samen gezogen. Er benannte sie nach seiner mit einem Herrn Verté verheirateten Schwester. Die Sorte verbreitete sich daraufhin im nörd-lichen Europa recht weit. Der robuste Baum zeigt einen mittelstarken, aufrechten Wuchs und bringt sehr gute, regelmässige Erträge. Die Mittelgrossen Birnen sind saftig, angenehm süss, aromatisch und etwa vierbis fünf Monate haltbar.Das macht Madame Verté zu einer guten Tafelsorte. 

Palmischbirne

[IMG 9] Die Palmischbirne gehört vermutlich zu den ältesten noch erhaltenen Birnensorten. Ihr Ursprung ist nicht geklärt, jedoch wird die Sorte bereits in pomologischer Literatur von 1598 genannt. Der landschaftsprägende, robuste Baum bildet grosse Kronen und kann sehr alt werden. Er liefert auch in raueren Lagen einen regelmässigen und reichen Fruchtertrag und ist mässig schorf- und wenig feuerbrandanfällig. Verbreitung fand die vielseitig nutzbare Birne einst vor allem in Baden-Württemberg (D), Österreich und der Schweiz. 

Reinholzbirne

[IMG 8] Die Reinholzbirne ist eine Vertreterin der Scheidbirnen, welche früher dank der vielen Gerbstoffe zur natür-lichen Klärung von Obstsäften genutzt wurden. Die kleinfruchtige, spätreifende Sorte bringt jedoch nicht nur Gerbstoffe, sondern auch Zucker und Aroma, was sie darüber hinaus zu einer guten Mostbirne macht. Der starkwüchsige Birnenbaum bildet eine schöne, hoch-pyramidale Krone und ist mässig schorfanfällig. Die Herkunft der Reinholzbirne ist nicht sicher geklärt, vermutlich stammt sie aus der Innerschweiz.

Niederhelfenschwiler Beeriapfel

[IMG 2] Diese Sorte stammt aus Niederhelfenschwil im Kanton St. Gallen und wurde 1817 erstmals erwähnt. Die Sorte, vom Schweizerischen Obstverband einst als Spezialmostapfel klassiert, konnte sich überregional nie durchsetzen. Der Baum ist wenig schorfanfällig und robust.Er ist schwachwüchsig, alterniert und kommt spät in den Ertrag. Die Früchte eignen sich sowohl für den Frischkonsum als auch für Küche und Verarbeitung. In der Region Niederhelfenschwil wird daraus ein sortenreiner Apfelsaft produziert. 

Wahlsche Schnapsbirne

[IMG 10] Die Sorte geht zurück auf eine in den 1970er-Jahren vom Brenner Erich Wahl an einem Bahndamm bei Schwäbisch-Hall in Deutschland gefundenen Sämling. Wahl vermehrte die Sorte, da er bemerkte, dass diese zwar für Most ungeeignet war, jedoch einen sehr aromareichen Edelbrand ergab. Heute sind die Früchte dieser etwas unregelmässig tragenden Sorte von Brennereien gesucht. Der robuste Baum wächst mittelstark und bringt mittelgrosse, sehr aromatische Früchte. Sie sind hervorragend und ausschliesslich zum Brennen geeignet. 

Bittenfelder Apfel

[IMG 6] Diese Sorte wurde in Bittenfeld bei Waiblingen im süddeutschen Baden-Württemberg gefunden und ist insofern eine Kuriosität,als es sich um eine teilweise selbstfruchtbare Sorte handelt. Das heisst, aus Säm-lingen gezogene Bäume fallen alle recht ähnlich aus. Bittenfelder gilt als robust gegen Blütenfrost, ist all-gemein wenig krankheits-anfällig und bringt Früchte mit einem hohen Zucker- und Säuregehalt, die sich sehr gut zum Mosten eignen. Da die Früchte sehr spät reifen, ist Bittenfelder nicht für Höhenlagen geeignet. 

Eierlederapfel

[IMG 5] Dieser ovale, goldfarbene Lederapfel stammt aus dem Kanton Baselland und wurde 1793 erstmals erwähnt. Die Sorte weist einige für die Gruppe der Lederäpfel untypische Merkmale auf: So ist er schon ab Baum geniessbar und zudem der einzige Lederapfel mit länglicher Form. Die saftigen, süssen und würzigen Früchte lassen sich bis im Dezember lagern und eignen sich sehr gut zum Kochen und Backen, dabei zerfallen sie nicht. Der mittelstark wachsende Baum ist robust gegen Pilzkrankheiten und wenig feuerbrandanfällig. 

Brettacher Apfel

[IMG 4] Diese Sorte stammt ursprünglich aus der deutschen Gemeinde Brettach in der Nähe von Heilbronn und findet in Süddeutschland bis heute eine gewisse Verbreitung auf Streuobstwiesen.In der Schweiz ist die Sorte nur selten zu finden. Die grossen, von einer wachs-artigen Schicht bedeckten Früchte eignen sich besonders gut zum Backen und Kochen, sie reifen spät und lassen sich bis im nächsten Frühjahr lagern. Der optimale Zeitpunkt für den Konsum ist ab Weihnachten. Der Baum bildet breite Kronen und ist wenig krankheitsanfällig.

Kaister Feldapfel

[IMG 3] Diese Sorte wurde vor rund 20 Jahren in der Aargauer Gemeinde Kaisten gefunden. Von der Geschichte des Kaister Feldapfels ist kaum etwas bekannt, es dürfte sich um einen Zufallssämling handeln und vermutlich existiert kein alter Baum mehr davon. Dank seinen guten Eigenschaften wurde Fructus auf die Sorte aufmerksam und konnte sie vor dem Aussterben bewahren. Der Apfel ist knackig und wohlschmeckend, der Baum robust gegenüber Krankheiten. Das macht die Sorte auch als Ausgangs-material für Neuzüchtungen sehr interessant. 

Josephine von Mecheln

[IMG 7] Diese Sorte wurde 1830 durch Major Esperen von Mecheln in Belgien aus Samen gezogen und nach seiner Ehefrau Josephine benannt. Die Sorte war in Europa einst weit verbreitet, ist heute jedoch recht selten geworden. Der Baum wächst eher schwach und sollte deshalb auf einen starken Stammbildner veredelt werden. Die Erträge setzen relativ spät ein, der Baum erfordert einen regelmässigen Schnitt und ist mässig anfällig gegen Schorf. Die Früchte eignen sich für sämtliche Verwendungszwecke – eine richtige Allrounderin. 

Fructus will alte Obsorten bewahren und fördern
Fructus, die Vereinigung zur Förderung alter Obstsorten, wurde 1985 gegründet. Ihr Ziel ist es, das kulturelle Erbe, die Vielfalt und die Eigenschaften alter Obstsorten zu bewahren und zu nutzen. Fructus führt Projekte durch, organisiert Kurse und Anlässe und bietet kostenlose Obstbauberatung für alte Obstsorten per E-Mail oder Telefon an.