Die Schweizer Milchviehwirtschaft befindet sich in einem langfristigen Wandel. Die Zahl der gehaltenen Kühe nimmt weiter ab, während die Milchleistung pro Tier steigt. Dieser Trend verändert die Struktur der Betriebe und die Zuchtstrategien grundlegend. Anders als aktuell behauptet, liegt das Problem aber nicht in einer generellen Überproduktion von Milch. Viel entscheidender ist, mit welchen Tieren wir diese Milch produzieren. Die Fleischproduktion bleibt seit Jahren hinter dem nationalen Bedarf zurück. Weniger Kühe bedeuten automatisch weniger Schlachtvieh, gleichzeitig steigt der Spezialisierungsgrad auf Milchleistung, wodurch die Balance zwischen Milch- und Fleischproduktion zunehmend aus dem Gleichgewicht gerät.
Intensive Betreuung, Fruchtbarkeitsprobleme und frühe Abgänge
Diese Entwicklung hat mehrere Konsequenzen: Hochleistungs-Kühe benötigen intensivere Betreuung und sind empfindlicher gegenüber Stoffwechsel- und Klauenerkrankungen. Ihre Fruchtbarkeit ist oft eingeschränkt, und die Nachzucht für die Fleischproduktion wird reduziert. Für die Betriebe bedeutet dies, dass trotz hoher Milchleistung der Fleischanteil nicht proportional steigt, was zu steigender Importabhängigkeit und wirtschaftlicher Verwundbarkeit führt. Gleichzeitig bleiben Potenziale der heimischen Grasnutzung ungenutzt. Rund 70 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche bestehen aus Grünland, das nur Wiederkäuer effizient in hochwertige Lebensmittel umwandeln können, während zusätzlich Kraftfutter importiert wird, um die Milchleistung zu stützen.
Die Amerikaner gehen einen neuen Weg
Internationale Ansätze zeigen, dass es anders geht. Der «Council on Dairy Cattle Breeding» in den USA, der nationale Zuchtverband für Milchvieh, verfolgt seit geraumer Zeit ein ganzheitliches Leitbild der «Kuh der Zukunft». Ziel ist ein Tier, das robust bleibt, effizient mit Futter umgeht und gleichzeitig Milch von hoher Qualität liefert. Dort wird nicht nur die Milchleistung betrachtet, sondern die Gesamteffizienz: Fruchtbarkeit, Langlebigkeit, Robustheit gegenüber Umweltbelastungen und die Fähigkeit zur Doppelnutzung spielen eine zentrale Rolle. Eine solche Strategie erlaubt es, mit weniger Ressourcen mehr Nährstoffe zu erzeugen, gleichzeitig die Herden stabil zu halten und den Fleischanteil zu sichern.
Für die Schweiz bedeutet dies, dass die Zuchtziele überdacht werden müssen. Effizienz in der Grasverwertung, Gesundheit, Robustheit, Hitzeresistenz, Langlebigkeit und Doppelnutzung müssen zentrale Kriterien werden. Rekord-Milchleistungen allein reichen nicht, um die strukturellen Defizite auszugleichen. Die Wiederbelebung von Zweinutzungsansätzen, die früher selbstverständlich waren, könnte die Fleischproduktion stabilisieren, ohne die Milchleistung unverhältnismässig zu reduzieren. Die Herausforderung liegt darin, die Zuchtstrategien auf die spezifischen Schweizer Bedingungen anzupassen: begrenzte Flächen, topografische Vielfalt und grasbasierte Fütterung.
Milchleistung darf nicht alleiniger Massstab sein
Für die Betriebe bedeutet dies konkret, die Nachzuchtplanung, Herdenführung und Fütterung langfristig auszurichten. Milchleistung darf nicht mehr alleiniger Massstab sein, sondern muss in ein Gesamtkonzept aus Tiergesundheit, Fleischleistung und Langlebigkeit eingebettet werden. Politische und branchenseitige Rahmenbedingungen sollten Investitionen in robustere und effizientere Tiere fördern. Nur durch eine koordinierte Strategie zwischen Zuchtverbänden, Molkereien und Betrieben lassen sich Tiergesundheit, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit langfristig sichern.
Die «Kuh der Zukunft», wie sie ausgerechnet die Amerikaner neu denken, ist keine ferne Vision, sondern ein realistisches Ziel. Robust, effizient, langlebig und grasbasiert – sie kann Milch liefern, Fleisch sichern und die Ressourcen des Landes optimal nutzen. Entscheidend ist, dass Zucht, Herdenführung und Marktanreize neu ausgerichtet werden. Traditionelle Kriterien wie reine Milchleistung oder Exterieur dominieren die Zuchtprogramme weiterhin, spiegeln aber weder die ökonomische Realität noch die ökologischen Anforderungen. Es braucht dringend ein Umdenken.