Den 350 Milchkühen im Stall am Hauptsitz von Delaval in Schweden stehen ausreichend Liegeplätze zur Verfügung. Zahlreiche Roboter putzen, streuen ein, schieben Futter an die Fressplätze. Alle Kühe tragen elektronische Ohrmarken, eine künstliche Intelligenz überwacht ihr Wohlbefinden. Der paradiesische Rundumservice hat seinen Preis. Für die Tiere wird gesorgt, aber sie müssen auch liefern. Die 350 Holstein-Kühe geben zwischen 12 000 und 20 000 Liter Milch pro Jahr. Bringt eine Kuh die Leistung nicht, heisst es: ab in die Metzg – und die nächste bitte.
Auch das modern gestaltete Hauptgebäude atmet den Geist von Schlichtheit und Effizienz. Eine digitale Grossanzeige auf dem Dach informiert die Mitarbeitenden beim Eintreffen auf dem Parkplatz über die aktuelle Temperatur («Muss ich die Jacke anziehen?») und die Uhrzeit («Zum Glück bin ich nicht zu spät»). Im Inneren geht es ebenso nüchtern weiter. Auf dem Verwaltungsstockwerk fehlen persönliche Dinge wie aufgehängte Familienfotos, die man in anderen Büros antrifft. Stattdessen blickt man beim Betreten auf eine digitale Anzeige, die den Stand der Arbeitsplatzsituation farblich wiedergibt.
«Get your shit done»
Feste Arbeitsplätze gibt es nicht – die Mitarbeitenden arbeiten voll digital mit ihrem Laptop und suchen sich jeden Morgen ihren von Seitentrennwänden abgeschirmten Platz. Wird der Platz besetzt, wechselt die Farbe der Anzeige von grün auf rot – belegt. Wie im Stall ist auch hier die Kraftfutterstation – also die Kaffeemaschine – nicht weit entfernt. Ein Flyer an der Wand klärt über die interne Arbeitseinstellung auf: «Gyshido», eine Abkürzung für «Get your shit done». Sieben Punkte stehen darauf:
- Unerbittlicher Fokus
- Eine Aufgabe nach der anderen – kein Multitasking
- Beständigkeit
- Transparenz und brutale Ehrlichkeit
- Keine Meetings – ausser im Stehen (geschäftlich) oder beim Essen (sozial)
- Konsequent dranbleiben
- Sei kein A********
Klare Worte also – wie im Stall wird man rundum versorgt (Kaffeemaschine), muss aber auch liefern. Immerhin heisst es bei ungenügender Leistung nicht gleich: ab in die Metzg.
Diese Unternehmenskultur kennen auch andere moderne Grosskonzerne. Der Internet-Gigant Google ist bekannt dafür, alles für seine Mitarbeitenden zu tun. Am Zürcher Hauptsitz profitieren sie von vermeintlich paradiesischen Zuständen: Gratis-Fitnesscenter, an Lounges erinnernde Besprechungszimmer, eine Mensa mit 24/7-Öffnungszeiten. Doch all das hat seinen Preis – das Unternehmen will Leistung. Wer nicht performt, muss gehen. Im Schnitt bleiben die Mitarbeitenden nicht länger als 1,5 Jahre.
Nach diesem Prinzip funktioniert auch die industrielle Landwirtschaft: Maschinen, Kühe – aber auch der Mensch – werden auf Effizienz getrimmt. Tiefe Preise fürs Essen befeuern diesen Trend. Mit Wehmut blicken Landwirte aus dem Ausland in die Schweiz. Auch hier stehen die Bauern unter Druck – doch die Landwirtschaft ist noch mehrheitlich divers. Die Bauern halten an Traditionen fest, obwohl sie sich finanziell nicht unbedingt lohnen, und an Tierrassen mit Geschichte – einfach, weil sie dazugehören. Weil sie seit Jahrhunderten Teil der Landwirtschaft sind. Und weil noch Platz im Herzen ist.
