GrossraubtiereIn Graubünden sind die Grenzen des Herdenschutzes erreichtDienstag, 17. Mai 2022 Am 15. 2022 Juni hatten der Bündner Bauernverband (BBV), Mutterkuh Schweiz Graubünden, der Bündner Schafzuchtverband und der Bündner Ziegenzuchtverband zu einer Pressekonferenz eingeladen. Alle vier Organisationen wurden durch Landwirte und somit Direkt-betroffene vertreten. Die Situation mit dem Wolf ist für Tierbesitzer, Hirten und Alphirten beängstigend. Auf den Heimweiden können Tiere noch einigermas­sen geschützt werden, doch in den Alpen ist die Umsetzung von Schutzmassnahmen schwierig.  

Auch ein Herdenschutzhund wurde getötet

Schon vor der Sömmerung 2022 wurden in Graubünden 39 Nutztiere im geschützten Bereich gerissen. Thomas Roffler, BBV-Präsident, sagte, jetzt komme die Zeit, in der Kühe, Rinder, Equiden, Schafe, Ziegen und Neuweltkameliden auf die Alpen getrieben würden. «Auf den Alpen können die Zäune wegen des Geländes nicht überall so gezogen werden, dass sie ‹dicht› sind», machte Roffler klar.

Eines der jüngsten Beispiele ist die Alp Stutz. Trotz guter Schutzmassnahmen wurden Schafe vom Wolf gerissen. Der nächste Angriff folgte, dieses Mal hatte ein Herdenschutzhund sein Leben verloren. «Das macht sehr nachdenklich.»

Ein Kampf gegen den Wolf und die Allgemeinheit

Der Präsident des Bündner Schafzuchtverbandes, Duosch Städler, fasste die Situation der Kleinviehhalter so zusammen: «Wir empfinden Angst, Stress und Wut.» Für Schafhalter seien die Tiere nicht einfach Nummern. Man habe einen Bezug zu den eigenen Tieren. Man könne nicht mehr mit gutem Gewissen die Tiere alpen.

«Die Tiere jetzt auf die Alp zu treiben, im Wissen, dass Wölfe in der Gegend sind, die jederzeit angreifen könnten, ist fast unerträglich.»

Duosch Städler, Präsident Bündner Schafzuchtverband

Es werde alles getan, um die Tiere auf den Weiden zu schützen, das bedeute viel Mehraufwand, hielt Städler fest. «Wir fühlen uns alleine gelassen. Es ist wie ein Kampf gegen den Wolf und die Allgemeinheit.» Würden Tiere gerissen, so werde man entschädigt und es werde erwartet, dass man dann schweige. Doch das Geld mindere den Verlust der Tiere nicht.

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Der Präsident des Schafzuchtverbands stört sich sehr daran, dass heute «Städter» bestimmen, wie die Bergbauern ihr Land bewirtschaften müssten, welche Wild- und Raubtiere hier vorkommen sollten. «Diese Leute wollen die Realität – gerissene, verletzte, abgestürzte, zu Tode gehetzte Tiere – nicht zur Kenntnis nehmen.» Es würden auch nie Bilder in der Presse von solchen Tieren publiziert, hingegen niedliche Fotos von herzigen Wolfswelpen schon. «Jeder, der schon Tiere durch Wolfsattacken verloren hat, fühlt sich alleine gelassen mit seinen Ängsten, Sorgen und seiner Hilflosigkeit.»

Nachtpferche sind für Ziegen nicht geeignet

Auch die Ziegenhalter sind zurzeit in einer schwierigen Situation, erklärte Hans Ueli Wehrli, Präsident der Bündner Ziegenzüchter.

«Wir müssen uns mit verschiedenen Problemen wie Anbindehaltung oder Gitzivermarktung auseinandersetzten – und jetzt noch der Wolf.»

Hans Ueli Wehrli, Präsident Bündner Ziegenzüchter

Ziegen seien freiheitsliebende Tiere. Wehrli nannte ein Beispiel: Auf der Alp Falla bei Klosters kommen die Ziegen am Morgen und Abend zur Hütte, wo sie gemolken werden, dann ziehen sie wieder ihrer Wege.

Schweizerischer Alpwirtschaftlicher Verband (SAV)Das bedeuten die Sofortmassnahmen für den Herdenschutz in der PraxisMontag, 23. Mai 2022 Ziegen auf engem Raum, z. B. in einem Nachtpferch, zu halten, sei aus verschiedenen Gründen problematisch: Rangkämpfe, vermehrte Probleme mit Magen-Darm-Parasiten und Resistenzen bei deren Bekämpfung. Die Betreiber der Alp Falla beantragten einen Kredit für Notmassnahmen, damit ein dritter Hirte eingestellt werden kann. Ob das Geld dann auch wirklich kommt, ist für Wehrli mehr als fraglich. 

Übergriffe auf Nutztiere häufen sich

Hansandrea Marugg, Mutterkuh Graubünden, hält Mutterkühe am Heinzenberg, wo das Beverin-Rudel seit Jahren präsent ist und den Tierhalterngrössere Probleme bereitet. Im Mai seien geschützte Schafegerissen worden, Mutterkuhherden seien wegen Wölfen ausgebrochen, drei Wölfe hätten sich in Mutterkuhweiden «niedergelassen», berichtete Marugg. Ein Wolf sei in seiner Herde beim Stall gewesen. «Wie sich die Kühe verhalten haben – Brüllen, Panik – hat mir Angst eingeflösst», berichtete Marugg.

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Am Heinzenberg gebe es weniger Wild, die Wölfe hätten sich dort bedient. Jetzt würden sich die Übergriffe auf die Nutztiere häufen. «Die Menschen in den Dörfern fühlen sich nicht mehr sicher», beschrieb er die Situation vor Ort.

Die Alpwirtschaft ist bedroht

Wolf im Berner Haslital«Darf man eigentlich sein Eigentum vor dem Wolf schützen?»Montag, 16. Mai 2022 Die vielen Schutzzäune in den Alpen sind für Wildtiere ein gros­ses Problem, denn ihre Lebensräume werden stark eingeschränkt. Sie verwickeln sich in den Zäunen, verletzen sich und verenden. Die an der Medienkonferenz anwesenden Landwirtschaftsvertreter forderten, dass der Schutz des Wolfes gelockert und die langen Verfahren und Bedingungen verkürzt werden.

Die Kantone sollen mehr Kompetenzen erhalten zur Regulierung der Wölfe, so dass Problemwölfe schnell und unbürokratisch entfernt werden können. Die einheimischen Nutztiere müssten in ihrer Vielfalt erhalten, die Alpen weiterhin bestos­sen und bewirtschaftet werden, lautete die Message. Die jetzige Situation ist unerträglich. Es ist zu befürchten, dass viele Kleinviehbesitzer die Tierhaltung aufgeben oder ihre Tiere nicht mehr alpen.