Rund 500 Personen zogen am 18. Oktober friedlich durch Bellinzona, um auf die grossen Probleme im Zusammenhang mit den Grossraubtieren hinzuweisen. Gekommen waren nicht nur Bäuerinnen und Bauern und Vertreter von Landwirtschaftsorganisationen, auch Personen von ausserhalb der Landwirtschaft seien darunter auszumachen gewesen. Der Anlass wurde vom Tessiner Bauernverband, der Vereinigung der Tessiner Bürgergemeinden, dem Verein «Schutz der Landschaft vor Grossraubtieren» und dem Alpwirtschaftlichen Verein Tessin organisiert.

Organisatoren ziehen positives Fazit

Mit dabei war auch Bergbauer Matteo Ambrosini aus Cevio im Maggiatal. «Persönlich war ich anfangs wenig begeistert, eine solche Kundgebung zu organisieren. Im Nachhinein ziehe ich aber in Anbetracht der vielen Teilnehmer und der friedlichen Stimmung ein positives Fazit», so Matteo Ambrosini. Wie gross der Weckruf durch die Veranstaltung für die Sorgen der Berglandwirtschaft schlussendlich war, sei schwierig abzuschätzen, aber für den Zusammenhalt unter den Bauern habe der Anlass viel beigetragen. «Oftmals fühlen wir Bauern uns mit unseren Problemen alleine, die Kundgebung zeigte nun, wie viele von uns unter dem Druck von Grossraubtieren leiden.»

Alpen werden aufgegeben

Gerade im Maggiatal seien die Auswirkungen der Wolfspräsenz enorm. «Ich selber bin ja noch nicht so alt, kann mich aber dennoch daran erinnern, dass früher in unserer Region auf über zehn Alpen Schafe gehalten wurden. Im letzten Sommer sömmerten mittlerweile nur noch rund 30 Schafe im Maggiatal», so Matteo Ambrosini. Er selber betreute auf seiner Alpe Porcaresc im Valle Onsernone bis vor drei Jahren neben den 20 Milchkühen noch rund 125 Ziegen. «Obwohl in der Region eine grosse Nachfrage nach unserem Ziegen-Kuhmilch-Käse bestehen würde, musste ich die Ziegenhaltung mittlerweile aufgeben», so der 27-Jährige weiter. Neben dem offiziell anerkannten Onsernone-Rudel geht er davon aus, dass noch zwei bis drei weitere Rudel im Maggiatal unterwegs sind.

Vor drei Jahren an Burn-out erkrankt

Die Sorge um den Verlust seiner Tiere und auch das Unverständnis von Behördenseite waren Gründe, dass er vor drei Jahren an Burn-out erkrankte. «Wenn man spürt, dass nachts der Wolf um das eigene Vieh herumstreift, kann man auch nicht schlafen, wenn die Tiere mittels Weidenetz eingepfercht sind.» Zu wenig Schlaf, die permanente Anspannung und die grosse Arbeitsbelastung hätten bei ihm zu den gesundheitlichen Problemen geführt. 

Infolge der Aufgabe der Kleinviehhaltung habe sich die Situation bei ihm persönlich etwas entspannt. Die Frage sei nun, wie sich die Wölfe zukünftig gegenüber dem Milchvieh verhalten. «Wir hatten in der Vergangenheit bei zwei Jungtieren Kratzspuren, meine genügsamen Original-Braunvieh-Kühe selber zeigten aber bisher noch keine Verhaltensänderung.» Auf benachbarten Mutterkuhalpen mit Limousin-Tieren habe die Wolfpräsenz hingegen schon zu Verlusten von Kälbern und zu aggressiven Muttertieren geführt.

Hirsche fliehen ins Tal

Doch die Grossraubtiere würden im Tessin nicht nur die Landwirtschaft verändern. «Viele Regionen sind heute schon von einer starken Verbuschung betroffen. Diese wird sich, weil in vielen Regionen die Haltung von Ziegen und Schafen aufgegeben wird, noch intensivieren», so der Bergbauer. 

Aber auch auf die Landwirtschaftsflächen im Tal habe der Wolf Auswirkungen: Die Präsenz von Grossraubtieren würde, anders als propagiert, nicht zu einer Reduktion der Hirschbestände führen. «Die Hirsche flüchten wegen des Wolfes ins Tal und schädigen dort, wie beispielsweise in der Magadinoebene, Gemüse und andere Kulturen.»