Vor Wochenfrist trafen sich die Luzerner Mitte-Bäuerinnen und -Bauern. Thema war der Wolf. Wir haben bei Marcel Züger, Referent und Biologe, nachgefragt. Der in Graubünden wohnhafte ETH-Biologe ist Inhaber einer GmbH im Bereich Ökoberatung und praktischer Naturschutz und Landschaftspflege. Davor war er zehn Jahre tätig als Zimmermann, Forstwart und landwirtschaftlicher Betriebshelfer.
Sie referierten als Bündner im Luzernischen zum Thema Wolf. Gibt es in der Zentralschweiz besondere Wolfsherausforderungen?
Marcel Züger: Spätestens seit den letzten Ereignissen in den Kantonen Luzern, Aargau und Solothurn ist klar: Wölfe betreffen nicht nur das Sömmerungsgebiet und die Berglandwirtschaft. Vielmehr werden sie in der ganzen Schweiz zum Problem. Nicht allein für die Weidehaltung, sondern auch für den Naturschutz, der auf vielen artenreichen Flächen auf die Beweidung angewiesen ist. Und es geht um sämtliche Haus- und Nutztiere, neben Schafen und Ziegen also auch Rinder, Kühe, Ponys, Katzen und Hunde.[IMG 2]
Gibt es nebst Ihnen eigentlich weitere Biologen in der Schweiz, die die Ausbreitung der Wölfe kritisch verfolgen?
Ich kenne ein gutes halbes Dutzend Biologen, die mir sagen: «Du hast vollkommen recht.» Und im zweiten Satz: «Ich kann es mir nicht leisten, das öffentlich zu sagen.» Kritische Stimmen werden mit einer Vehemenz zum Schweigen gebracht, die mich manchmal an religiösen Fanatismus erinnert. Ich pflege mit meinem Betrieb Naturschutzgebiete. Während zehn Jahren hatte ich auch einige Schutzgebiete von Pro Natura Graubünden unterhalten. Wegen meines Einsatzes für ein pragmatisches Wolfsmanagement wurden mir sämtliche Aufträge Anfang 2023 entzogen. Verunglimpfungen und Beleidigungen sind an der Tagesordnung. Das kümmert mich allerdings nicht. Damit umzugehen, habe ich vor dreissig Jahren als junger Naturschützer bei Pro Natura gelernt (lacht).
Sie könnten hierzulande mit maximal einem Dutzend Wolfsrudel leben, haben Sie mal gesagt. Hat sich diese Einschätzung geändert?
Heute würde ich sagen, maximal fünf bis zehn unauffällige Rudel, verteilt auf die ganze Schweiz. Mehr liegt nicht drin, mehr braucht es auch nicht. Wir sind Teil einer eurasischen Population mit zigtausend Wölfen. Unsere Verantwortung liegt vielmehr darin, eine uralte Kulturlandschaft mit ihrer Artenvielfalt und kulturelles Erbe zu erhalten.
In manchen Gegenden kann es gelingen, dass ein paar Wolfsrudel leben. Eine «friedliche Koexistenz» wird es sicher nie geben. Auch David Mech, die wohl weltweit grösste Kapazität in der Wolfsforschung, sagt: Wer Wölfe will, muss Wölfe schiessen. Er spricht von einer jährlichen Entnahmequote von 25 bis 50 Prozent. Das ist quasi der Deal. Wölfe ja, aber dann braucht es eine intensive Bejagung. In der Konsequenz bedeutet das: Wer gegen eine konsequente Bejagung ist, ist gegen die Koexistenz. Dem geht es nicht um den Wolf, sondern nur um ein Druckmittel gegen die Landwirtschaft und die Landbevölkerung.
Ist eine Dezimierung des Bestandes politisch umzusetzen?
Bundesrat Albert Rösti hat den gordischen Knoten mit einem sauberen Schwerthieb zertrennt. Damit hat er das jahrelange «Herumgehampel» seiner Vorgängerin beendet, die unter dem Einfluss der Umweltorganisationen stand. Diese sagen ja nie, wie viele Wölfe es denn sein sollen. Es braucht einfach immer «mehr». Das erinnert mich an neoliberale Wirtschaftsturbos, die sich ohne Rücksicht und Skrupel immer mehr unter die Nägel reissen wollen.
Bundesrat Rösti hat den Tierhaltern, speziell den Kleinviehhaltern, wieder Hoffnung gegeben. Viele von ihnen betreiben einen gewaltigen Aufwand für den Herdenschutz. Das halten sie ein paar Jahre durch, danach sind sie ausgebrannt. Sie beissen nun nochmals auf die Zähne. Zum Glück haben Bergler harte Köpfe.
Der Herdenschutz gerät vielerorts an seine Grenzen. Etwa wegen fehlender Hunde, Nähe zum Siedlungsgebiet, des Tourismus oder der Topografie. Welche Tipps haben Sie für die Tierhalter?
Es mag widersprüchlich klingen: Erstens den Herdenschutz ausbauen, nicht darauf vertrauen, und zweitens die Leute informieren. Es ist klar, dass Herdenschutz nur einen bescheidenen Schutz bietet. Gleichzeitig müssen wir der Öffentlichkeit zeigen, dass der Herdenschutz versagt. Und die Landwirtschaft muss aufzeigen, dass sie unverzichtbar ist, um die Artenvielfalt in der Schweiz zu erhalten. Gerade im Berggebiet, gerade in den Regionen, die derzeit von den Wölfen am stärksten betroffen sind.
Und wie beurteilen Sie die Stimmung ausserhalb der Branche?
Wenn ich die Stimmung in der Bevölkerung von heute mit jener vor vier Jahren vergleiche, also bevor über das Jagdgesetz abgestimmt worden ist, so haben wir viel Boden wettgemacht. Es gibt hier viele Touristen, die vorwiegend aus dem urbanen Raum kommen. 2020 war die einhellige Meinung, wir sollen doch nicht so schwierig tun, mit Wölfen lasse sich problemlos zusammenleben. Mittlerweile wissen mindestens zwei Drittel der Gäste, dass an einer strikten Bejagung kein Weg vorbeiführt.