Es braucht viel Geduld und auch etwas Mut», sagt Tamara Wülser. Die Bernerin melkt keine Kühe, sondern Pferdestuten. Vor rund einem Jahr übernahm sie zusammen mit ihrem Lebenspartner Bernhard Büttikofer einen Bauernhof und begann mit der Produktion von Stutenmilch.

Der Stockhornhof liegt am Eingang zum Berner Oberland, im kleinen Ort Uebeschi. «Es war ein grosses Glück für uns, dass wir den Hof gefunden haben», so Tamara Wülser, die auf der anderen Seite des Thunersees aufwuchs.

Zum Hof gehören acht Hektaren Land, neun Ardenner-Pferde; drei Ponys und zwei Pensionspferde. Bernhard Büttikofer, ein Bauernsohn, arbeitet in einer Futtermühle. Der Aufbau der Stutenmilch-Produktion liegt vor allem in Tamara Wülsers Hand. Daneben bietet sie auf dem Hof verschiedene Pferdekurse für Erwachsene und Kinder an. Ihre Eltern helfen bei Bedarf auf dem Hof mit.

Stutenmilch: Nische gesucht und gefunden

Tamara Wülser ist ausgebildete Agronomin und Pferdefachfrau. Stutenmilch ist ein Nischenprodukt, nur eine Handvoll Bauern in der Schweiz melken ihre Pferde. Die Idee dazu stammt von Bernhard Büttikofer. Seine Freundin war zuerst skeptisch, erstellte aber während des Studiums mehr ihm zuliebe einen Businessplan. «Ich wollte ihm zeigen, dass die Wertschöpfung zu klein ist.»

Doch zu ihrer Überraschung sahen die Zahlen positiver aus als sie dachte. Zum Melken hat sich Tamara Wülser für massige Ardenner-Pferde entschieden. «Mich beeindruckt die Ruhe der Kaltblüter.» Denn Stuten melken ist nicht einfach, da sind Tiere mit einem ausgeglichenen Charakter von Vorteil. «Ich musste bei jedem Pferd herausfinden, wie und mit welchen ‹Tricklis› es sich am Besten melken lässt.»

Täglich auf die Weide

Die Tiere leben in der Herde und können täglich auf die Weide. Erst kurz vor dem Melken werden die Fohlen von den Stuten getrennt. Sie bleiben aber immer in Sichtweite. «Ich hatte am Anfang Bedenken, dass die Fohlen, durch die Trennung gestresst sind.» Allerdings zeigte sich, dass der Nachwuchs die Zeit ohne Aufpasserinnen geniesst und die Fohlen in der Melkzeit miteinander spielen.

Tamara Wülser selbst ist nicht auf einem Bauernhof aufgewachsen, hatte aber durch ihren Onkel einen Bezugspunkt zur Landwirtschaft. Schon als kleines Mädchen begann sie mit Reiten und war später im Turniersport aktiv. «Ich hatte mit den Jahren allerdings immer mehr Mühe damit, dass die Pferde im Sport vor allem als Leistungsgerät angesehen werden.»

Ohne Beziehung läuft es nicht

Sie wollte weiter mit Pferden arbeiten, aber auf einer «netteren» Basis, wie sie es nennt. Diese Möglichkeit bot ihr das Nischenprodukt Stutenmilch. «Um ein Pferd melken zu dürfen, muss ich eine liebevolle Beziehung zu ihm aufbauen.» Die Stuten würden nur mitmachen, wenn sie dies auch wollen. «Wenn einem Pferd etwas nicht passt, kann es einfach die Milch abstellen.» Die junge Frau hatte beim Start ihres Projektes viel Respekt vor dieser Aufgabe. Ihr Fazit heute: «Es geht viel besser, als ich erwartet habe.»

Stuten produzieren pro Tag bis zu 20 Liter Milch. Den grössten Teil davon bekommen nach wie vor die Fohlen. Für die Kapseln wird pro Tag und Tier nur ein Liter abgezweigt. Gemolken werden die Pferde einmal pro Tag – mit einer umgebauten Geissen-Melkmaschine. Die Milch wird auf dem Hof vakuumiert und eingefroren.

Stutenmilch in Kapselform

Sobald Tamara Wülser rund 50 Kilogramm zusammen hat, fährt sie damit nach Cham in ein Labor, wo die Milch gefriergetrocknet und in Kapseln oder Pulver gepresst wird. Verkauft werden sie über den Online-Shop des Hofes und über Inserate in den Regionalzeitungen.

«Kelpy» nennt Tamara Wülser ihr Label. Der Name stammt von einem schottischen Fabelwesen, das im Wasser wie ein Pferd aussieht und sich an Land jeweils in eine wunderschöne Frau verwandelt. «Wir fanden, der Name passt sehr gut zu unserem Produkt.» Denn Stutenmilch helfe vor allem bei Darm- und Hautproblemen wie Neurodermitis und Schuppenflechte. Das Nahrungsergänzungsmittel soll zudem die Darmflora regenerieren. «Ich bekomme auch immer wieder Rückmeldungen von Kunden, dass Haare und Nägel schöner geworden sind.»

Den Aufbau entspannt angehen

Ihr selbst helfe die Stutenmilch gegen ihre Histaminunverträglichkeit. Sie nimmt sie allerdings nicht als Kapseln, sondern trinkt die Milch jeden Morgen frisch. Denn für die Gefriertrocknung müsse die eingefrorene Milch in den Beuteln genau zwei Zentimeter dick sein. «Meist bleibt etwas Milch zurück, weil es nicht genau aufgeht.» Diesen kleinen Rest gönnt sie sich selbst.
«Kelpy» befindet sich noch in der Entwicklungsphase. Momentan hat Tamara Wülser rund 100 Kunden und arbeitet am Aufbau eines grösseren Netzes. Sie wirkt dabei entspannt: «Wir schauen jetzt einfach mal, wie es weiter läuft und wie viel Milch wir verarbeiten und verkaufen können.»

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Stutenmilch

In Russland und China wird Stutenmilch seit Jahrhunderten als Nahrungs- und Heilmittel verwendet. Europa entdeckte die Stutenmilch erst spät und nur vereinzelt. Mitte des 18. Jahrhunderts gab es in Österreich ein Stutenmilch-Sanatorium, in dem Tuberkulose-Kranke behandelt wurden. Es wurde nach wenigen Jahrzehnten wieder geschlossen. 

Erst 1980 begann Österreich wieder mit der Produktion von Stutenmilch. Im Gegensatz zur Schweiz, wo es derzeit nur zehn Produzenten gibt, kennt man Stutenmilch ausserdem in Frankreich und Deutschland. 

Aktuelle Forschung aus der Schweiz über die Wirksamkeit der Stutenmilch gibt es nicht; ältere Studien aus den Nachbarsländern gehen unter anderem von einer entzündungshemmenden und darmregulierenden Wirkung aus. 

Laut Forschern ähnelt Stutenmilch der menschlichen Muttermilch mehr als zum Beispiel Kuhmilch; die wichtigsten Vital-, Nähr- und Zellbaustoffe würden darum beim Menschen lang anhaltend und intensiv wirken. Stutenmilch werde wegen der positiven Wirkung auf die Haut auch gerne für Kosmetikprodukte eingesetzt.