In ihrem Subaru Justy kurvte Leandra Gertsch, damals hiess sie noch  Kollegger, einst von der Lenzerheide Richtung Jungfrau-Region. Ziel: Gündlischwand BE. 240 Kilometer von zu Hause entfernt, wollte sie nicht etwa eine Saisonstelle antreten, sondern gemeinsam mit Freund Peter Gertsch eine Zukunft aufbauen. Im Gepäck zehn Bananenkisten vollgestopft mit allem Hab und Gut sowie zwei Ziegen. Das war vor zehn Jahren – sie war damals 19 Jahre alt.

Mit Stall angelockt

Kennengelernt hatten sich Peter und Leandra Gertsch an einem Treichlerfest in der Innerschweiz. Die 18-Jährige steckte damals mitten in der Ausbildung zur Schreinerin. Das fröhliche Lachen der jungen Bündnerin hatte den neun Jahre älteren Berner Oberländer verzaubert. 

Peter Gertsch wusste genau, wie er seine Freundin nach ihrer Lehre nach Gündlischwand locken konnte: «Eines Tages rief er mich an und sagte, er hätte einen Stall für meine Ziegen gekauft», blickt Leandra Gertsch lachend zurück. «Ich wollte die Lenzerheide nur verlassen, wenn ich meine Tiere mitnehmen und ‹bauern› durfte.» Landwirtin war schon immer das Berufsziel der jungen Frau. An der landwirtschaftlichen Schule in Hondrich BE schloss sie 2010 schliesslich die Ausbildung zur Landwirtin EFZ ab. 

Jedes Jahr viel Action

In der Zwischenzeit konnte Peter Gertsch den kleinen Betrieb seiner Tante kaufen. Nach und nach kam hier und da Land dazu. 20 Hektaren sind es unterdessen. Vier davon liegen am Schreielberg ob Ringgenberg. Eigentlich hatten sie diesen Berg als Rinderberg übernommen. Der Luchs hat dem jungen Paar jedoch einen Strich durch die Rechnung gemacht, und darum produzieren Gertschs dort nun Heu. Die benötigten Geräte werden dafür hinaufgeflogen. In anstrengender Handarbeit wird gemäht, gezettet und zusammen-
gerecht. In grossen Netzen fliegt der Helikopter das Heu schliesslich ins Tal hinunter. Erstmals wird es dieses Jahr in der
neuen Scheune am Dorfrand von Gündlischwand untergebracht. Die gelernte Schreinerin und der ausgebildete Sanitärmonteur haben die Pläne für den Scheunenbau gemeinsam mit einem Architekten entworfen und können nun viel Eigenarbeit in den Bau stecken. Wenn die 15 Mutterkühe von der Alp zurückkommen, ziehen sie im neuen Stall ein, wo nach Bio-Richtlinien produziert wird.

Mit Peter und Leandra haben sich zwei gefunden, die nicht lange fackeln. Nach dem Motto: «Chum mir probiere», geht es stets auf zum nächsten kleinen oder grösseren Abenteuer. «Wir warten auf ein Jahr mit weniger Action», lacht sie. Im Kopf türmen sich bereits die Umbauideen für das Wohnhaus: «Wenn wir zusammenstehen und ‹wärche›, können wir viel erreichen.» 

Durch Engagement eingelebt

Seit dem Umzug mit ihren Geissen haben die beiden eine Menge geschafft. Nach der Heirat im Jahr 2009 kamen die Kinder GianPieder (7) und Adriana (5) auf die Welt. «Ich finde es cool, so jung Mami zu sein», sagt Leandra Gertsch. Seit die Kinder in der Schule sind und Gspänli haben, ist das Heimweh nach den Bündner Bergen nicht mehr so gross. Aktiv hat die Bündnerin Anschluss in ihrer neuen Heimat gesucht: Sie war als jüngste Gemeinderätin von Gündlischwand in der Bildungskommission tätig und ist jetzt noch in der Feuerwehr engagiert. Letzteres ist zum gemeinsamen Hobby des Paares geworden. 

Auch im Schützenverein und als Kinderskilehrerin ist die junge Frau anzutreffen. Gas gibt sie an Volksabfahrten. Im Moment nimmt das Jodeln den grössten Teil der freien Zeit ein: Leandra Gertsch singt in einem Jugendprojektchor für das Unspunnen-Fest mit. 

Spannender Auswärtsjob

Ein grosses Pensum für die 29-jährige Frau: Früh am Morgen, wenn andere sich nochmals unter der Bettdecke drehen, sitzen Peter und Leandra Gertsch bereits zusammen am Küchentisch. Oft stehen die beiden um 4.30 Uhr auf, um den Tag zu besprechen. 

«Wir müssen etwas ändern», war vor drei Jahren wieder einmal der Tenor beim morgendlichen Kaffee. Noch in der gleichen Woche erhielt sie ein Jobangebot. Seither arbeitet sie 50 Prozent bei der Bio Test Agro AG auf dem Schwand in Münsingen BE – Peter Gertsch arbeitet derweil Vollzeit auf den Betrieb. Diese Aufteilung sei im Moment idealer und habe zu einer Entlastung im Alltag geführt, sagt die gelernte Landwirtin. Als Co-Leiterin ist Leandra Gertsch bei der Bio-Kontrollstelle für das Zertifizierungsteam verantwortlich. «Die Arbeit auf dem Schwand gefällt mir total gut», sagt sie. Sie organisiere gerne, könne sich die Zeit gut einteilen und auch mal von zu Hause aus einige E-Mails beantworten. Und auf den 55 Kilometern von daheim an den Arbeitsplatz lassen sich in Gedanken bereits die nächsten Vorhaben planen – sei es für die Arbeit auf dem Schwand oder für den Betrieb zu Hause.

Sandra Joder