Sie produzieren zwar Grünzeug, fahren aber mit Tram und Lift zur Arbeit und brauchen keine wetterfeste Kleidung anzuziehen. Denn die Mitarbeiter von Umami ernten Gemüse und Kräuter bereits im Anfangsstadium der Pflanze, als sogenannte Microgreens. Und das in einer grösstenteils selbstgebauten Anlage, im 4. Stock eines Bürogebäudes im Zürcher Kreis 4.

Vollzeitproduzenten statt Restaurantbetreiber

Am Anfang stand für die die drei Freunde Manuel Vock, Robin Bertschinger und Denis Weinberg der Wunsch, ein Restaurant zu eröffnen. Dabei wollten sie die Hälfte der Produkte selbst produzieren. Zeitgleich erforschte Manuel Vock für seine Bachelorarbeit Aquaponik-Systeme. Er stellte das Prinzip seinen Freunden vor und das Team begann 2016, einen Prototyp in einem ehemaligen Bankarchiv aufzubauen.

Das war das Ende ihres Restaurant-Planes und gleichzeitig der Anfang eines vollständig selbst produzierten Nahrungsmittels. Microgreens in den Sorten Radiesli, Basilikum, Erbsen und Rettich bauten die Jungs an und verkauften sie an Gastronomen, die sich über ein regionales Produkt freuten. «Bis zu diesen Zeitpunkt waren Microgreens aus den Niederlanden die einzige Alternative», sagt Luca Grandjean, der in der Geschäftsleitung von Umami seit 2019 das Team der Umamigos (so nennen sich die Mitarbeiter von Umami) unterstützt.

 

Microgreens

Microgreens wachsen im Gegensatz zu Sprossen auf einem Substrat oder in der Erde, benötigen Licht und Nährstoffe und werden ohne Wurzeln verzehrt. Es handelt sich um Gemüse oder Gewürzpflanzen, die direkt nach der Entwicklung ihrer Keimblätter geerntet werden. Dadurch enthalten die Microgreens eine hohe Konzentration aus Vitaminen und Spurenelementen. Die kleinen Pflänzchen werden als Nahrungsergänzungsmittel verwendet und können Lebensmitteln Süsse und Würze verleihen. Mehr zu Microgreens lesen Sie auch in diesem Artikel.

 

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Mehrmals pro Woche werden erneut Samen auf die Hanfmatten ausgesät. Die Anlage aus Holz ist selber gebaut und passt so perfekt zu den einzelnen Produktionsschritten. (Bilder mg)

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Luca Grandjean, Co-Geschäftsführer von Umami, freut sich, dass bald Umami-Tilapias verkauft werden können.

Fischkot als Dünger

Die Regionalität ist nicht der einzige Pluspunkt der kleinen Pflänzchen. Umami baut die Microgreens in einem an die Natur angelehnten Kreislauf an, einziger Input ist Fischfutter. Aber auch da handelt es sich um Abfälle von Esswaren und zusätzlich Insekten, die Umami durch ihre Rüstabfälle produziert.

In verschiedenen Tanks schwimmen afrikanische Buntbarsche (Tilapias) und andere Fischarten, deren Ausscheidungen das Wasser mit Stickstoff und anderen Mikronährstoffen anreichern. Das angereicherte Wasser fliesst in die Anlage zu den Tablaren, auf denen die Microgreens gedeihen.

Diese werden auf ein Substrat aus Hanfbasis ausgesät und in Hartschalen so positioniert, dass ihre Wurzeln das Wasser berühren und die Nährstoffe aufnehmen können. Das von den Pflanzen gereinigte Wasser fliesst zurück zu den Fischen, die es wieder anreichern. Dank diesem Kreislaufsystem muss pro Monat nur rund 1% des Wassers mit frischem Trinkwasser ersetzt werden. «Das sind etwa zwei Badewannen voller Wasser. Nur die Menge, die durch Verdunstung abhanden kommt», sagt Grandjean.

 

Aquaponik

 

Aquaponik bezeichnet ein Verfahren in der Nahrungsmittelproduktion, das die Aufzucht von Fischen in Aquakultur und der Kultivierung von Nutzpflanzen in Hydrokultur verbindet. Dabei gibt es verschiedene Kombinationen, wie beispielsweise die Kultivierung von Tomaten und die Produktion von Tilapias wie in diesem Artikel beschrieben.

 

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Was aussieht wie die Beleuchtung in einer Disco sind verschieden farbige LED-Lichter, die das ganze Spektrum UV-Strahlen abdecken und den Microgreens 365 Tage im Jahr während 14 Stunden Sonnenschein vortäuschen.

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Die Wurzeln finden einen Weg durch die Löcher in der Plastikschale. So können sie Wasser und Nährstoffe aufnehmen.

Nicht nur Fische und Microgreens sind Teil des Ökosystems, wie die Umamigos ihren Dschungel nennen. Auch Muscheln, Garnelen, Schnecken, Algen und viele andere Pflanzen tragen ihren Teil zum Umami-Ökosystem bei. «Wir kopieren die Natur. Dabei zeigt unsere Erfahrung, dass das System besser funktioniert, je mehr Akteure im Kreislauf drin sind», sagt Luca Grandjean. Auf den ersten Blick ein Widerspruch, aber er erklärt: «Wenn nur 2 Akteure im System sind und einem davon etwas zustösst, fällt das System schnell aus der Balance.»

Nomen est omen

Ihr wichtigster Akteur sei das Zürcher Leitungswasser, es gebe den Takt vor. «Wir haben keine Bodenversickerungen, 95% weniger Wasserverlust als herkömmliche landwirtschaftliche Systeme», sagt Grandjean.

Eine umweltfreundliche Produktion frei von Chemie trifft den Nerv der Zeit. Vor allem geschmacklich müsse es aber stimmen, meint Luca Grandjean. Nicht von ungefähr haben die drei Freunde ihr Startup bei der Gründung 2015 Umami getauft. Das japanische Wort bedeutet wohlschmeckend oder würzig, und ist neben süss, sauer, bitter und salzig der fünfte Geschmackssinn.

«Das in Fleisch enthaltene Glutamat schmeckt beispielsweise umami», erklärt Grandjean aber fügt an: «Die Microgreens sind wohlschmeckend und enthalten kein Glutamat, wohl aber unsere Fische.» Er spricht die Lizenz für den Verkauf von Fischen an, die die Umamigos vor Kurzem erhalten haben.

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Koriander-Microgreens wachsen auf den Tablaren in die Höhe.

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Von der Aussat bis zur Ernte vergehen je nach Sorte bis zu 14 Tage.

Genussvoll und gesund

Es sei Ziel der mittlerweile 12-köpfigen Firma, sich immer weiter zu entwickeln und auch den Platz effizient nutzen zu können. Zurzeit, knapp fünf Jahre nach ihrem ersten Prototyp, produziert die Anlage jährlich im zweistelligen Tonnenbereich, ist aber noch nicht voll ausgelastet.

Ausserdem bieten die Umamigos in ihrer Produktionsstätte Führungen an oder öffnen die Türen für Events und Caterings. Nebst 20 verschiedenen Sorten Microgreens mit scharfen Noten wie die Senf-Greens und süsslichen Sorten wie Erbsen-Greens überraschen exotische Koriander- oder Fenchel-Microgreens die Geschmacksknospen. Verschiedene Mischungen werden in Coop sowie Migros verkauft, an die Gastronomie gingen vor der Corona-Pandemie rund 50% ihrer Produktion von Microgreens und andere Pflanzen wie Shiso oder Jamaika-Thymian.

In Zusammenarbeit mit Gastronomen entstanden Produkte wie ein Microgreen-Pesto oder eine Mayonnaise, ein «Microgreen-Shot» (eine Art konzentrierter Fruchtsaft mit Ingwer und Microgreens) komplettiert die Produktepalette. Das Pesto und die Mayonnaise sind eine schmackhafte Art, wie das junge Unternehmen Foodwaste vermeidet. So schliesst sich der Kreislauf, auch bei den Produkten.