Voller Freude rennt Joya, die zweieinhalbjährige Mischlingshündin, auf der Wiese herum. Fürs Foto kann sie kaum stillhalten. «Sie hat 
eine unglaubliche Energie», sagt Christine Grogg. Auch nach 
einer dreistündigen Wanderung wirke die Hündin kein bisschen müde. Solche Wanderungen gibts jedoch höchstens am Sonntag oder in den Ferien, den Christine Grogg ist eine viel beschäftigte Frau. 
«Lehrerin, dipl. Bäuerin, dipl. Coach SCA» stand auf der Nationalrat-Wahlempfehlungsliste der Berner Bauern. Obwohl sie sich keine Chancen ausrechnete, ist die 52-Jährige, Mitglied der EVP, sehr zufrieden mit ihrem Resultat. «Ich hätte nie geglaubt, dass ich über 10'000 Stimmen erhalten würde. Das hat mich sehr gefreut.»


Ein Zuhause für Männer mit leichter Behinderung


Seit vielen Jahren im Gemeinderat von Bützberg BE, rutschte sie vor einem Jahr in den Grossen Rat nach. Nun hat sie die Faszination Politik endgültig gepackt. Sie ist Mitglied der Bildungskommission, ihr Interesse gilt jedoch auch dem Sozialwesen und natürlich der Landwirtschaft.

Gedanklich ist sie nun oft mit politischen Fragen und Anliegen besetzt, und dies nicht nur während der fünf Sessionen im Jahr. «Mitreden und mitdenken zu können schaue ich als ein Privileg an», betont sie. Die Mutter von fünf Kindern im Alter zwischen 17 und 28 Jahren nennt jedoch nach wie vor die Familie an erster Stelle. Drei Kinder wohnen noch zu Hause. «Dann kommt natürlich unser Betrieb, unsere Existenz mit dem betreuten Wohnen.»

In der therapeutischen Wohngemeinschaft Längmatt leben sieben Männer mit leichter Behinderung. Sie wohnen im Stöckli und arbeiten auf dem Hof. Heimleiter der TWG Längmatt ist Gottfried Grogg, Christine ist seine 
Stellvertreterin und für die

Hauswirtschaft zuständig.

Die Wohngemeinschaft bildet das Haupteinkommen des Betriebs. Durch den Bau der Neubahnstrecke Bahn 2000 verloren Groggs mehrere Hektaren Pachtland und mussten deshalb ihren Betrieb umstellen. Heute bauen sie Futter für rund 120 Masttiere an. Dazu kommen einige Obstbäume und Wald. Christine Grogg betreut die beiden Gärten, hilft ab und zu beim Heuen oder Äpfelauflesen. «Sonst braucht es mich auf dem Hof nicht mehr so stark.»


Sorge zueinandertragen


Sie absolvierte das Lehrerinnenseminar in Solothurn, und als sie ihren späteren Mann kennenlernte, besuchte sie auf dem Waldhof in Langenthal BE die Bäuerinnenschule. Sie ist jemand, der gerne möglichst viel über ein Gebiet wissen will. Das Leben auf dem Bauernhof, die junge, wachsende Familie, das gefiel ihr. «Es dünkte mich, dies sei das schönste Leben auf der Welt.»

Elf Jahre lang bildete sie auch Lehrtöchter aus. Mit 40 Jahren hatte sie jedoch das Bedürfnis, noch etwas anderes machen zu wollen. Sie begann eine Ausbildung zum Coach, weil sie ihre grosse Lebenserfahrung anwenden und andere Menschen begleiten und ermutigen wollte. «Die Ausbildung hat mir auch für mich selber sehr viel gebracht.»

Sie arbeitete etliche Jahre als Familienbegleiterin. «Familienthemen bewegten mich immer sehr.» Doch auch Politik blieb ein Thema. Die Landwirtschaft und der Erhalt der Familienbetriebe ist ihr sehr wichtig. «Sie haben einen grossen Wert für die

Gesellschaft und dürfen nicht dem Strukturwandel geopfert werden», ist sie überzeugt. Sich einzusetzen für andere gibt Christine Grogg Befriedigung. «Das Leben ist spannend und wertvoll.» Sorge zueinander tragen, füreinander da sein, das ist ihr sehr wichtig. «Ich möchte mit meinem Leben und meinem Engagement anderen Menschen Mut machen. Der Glaube ist die Basis, die mir Kraft gibt. Wir Christen sollten Vorbild sein im Umgang miteinander und mit der Gesellschaft.»

Kaum Zeit während den Sessionen


Hobbys haben zurzeit an einem kleinen Ort Platz. Lesen ist noch am ehesten möglich, am liebsten historische Romane oder Krimis. Sie ist Skandinavienfan und spielt Querflöte – das heisst, es wäre ihr grosser Wunsch, wieder mehr spielen zu können. Oder zu singen. «Das täte mir gut.»


Doch seit ihrem Engagement im Grossen Rat muss sie ihr Leben neu einrichten. «Die Sessionen sind intensiv, dann hat nichts anderes daneben Platz.» Dazwischen ist es weniger stressig. Dann geht sie gerne mit ihrem Mann wandern, beispielsweise im Berner Oberland, im Jura, oder auch im Engadin. «Ich erhole mich am besten, wenn ich aktiv etwas tue.» Dann freut sich auch Joya, wenn sie mit darf.


Renate Bigler-Nägeli