«Die Quote hat mehr als eine Generation von Landwirten geprägt», sagte Gerhard Dorfner am Mittwoch im Rahmen einer Beratertagung der Agridea am Wallierhof in Riedholz SO. Dorfner arbeitet am In­stitut für Agrarökonomie der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft und präsentierte den Stand der Dinge in Deutschland, mit einem starken Fokus auf Bayern.


Die Tagung wollte mit dem Thema «Erfolgreiche Milchproduktion» aufzeigen, wie es in der Milchbranche weitergehen könnte. Der Blick über die Grenze ist sinnvoll, denn der europäische Milchmarkt wirkt sich stark auf die Schweiz aus.

Superabgabe hat Produktion vorübergehend gedämpft

Seit dem 1. April 2015 regeln keine Milchquoten mehr die Produktion in der EU. Und bisher bleibe die befürchtete Milchschwemme vorerst aus, stellte Gerhard Dorfner fest. Denn nachdem bekannt wurde, dass die Milchbauern die Superabgabe, die Strafgebühr auf Quotenüberlieferung, in jedem Fall bezahlen müssen, haben sie begonnen, die Milchmengen kurzfristig zu reduzieren. Die europäischen Produzenten würden aber aufholen, wie SMP-Präsident Hanspeter Kern in seinem Referat darlegte. Bald werden seine europäischen Kollegen mit ihrer Produktion wieder auf Vorjahresniveau sein.


Durch den vorübergehenden Lieferrückgang haben sich die Preise kurzzeitig stabilisiert und bei 33 bis 36 Eurocent auf den europäischen Spotmärkten eingependelt. Diese Pause war aber nur von kurzer Dauer, seit dem 1. pril ist der Milchpreis am holländischen Spotmarkt praktisch im freien Fall. Am 22. Mai notierte er noch bei 22 Eurocents pro Kilo Milch.

Doch eigentlich würden die Milchproduzenten in der EU erst bei einem Milchpreis von gut 30 Cents die laufenden Kosten decken können, erklärte Dorfner. «Nur bildet damit niemand Rückstellungen oder kann Investitionen amortisieren», erklärt er. Und das führe dazu, dass die Produktion nicht noch weiter ausgedehnt würde.

Mittelbedarf schwer planbar, aber immer grösser


Viele Bauern haben sowieso in den letzten Monaten und Jahren ihre Produktion auf die neuen Rahmenbedingungen ausgerichtet, die Produktionsausdehnung ist vorerst kein Thema. Was den Produzenten aber mehr Sorge bereite, seien die Preisschwankungen, die seit 2008 viel stärker durchschlagen würden als vorher. Konkret bedeute das, dass die Bauern ihre Liquidität besser planen müssten «und immer genügend flüssige Mittel auf die Seite legen», sagte Gerhard Dorfner. Denn steige der Futtermittelpreis bei sinkenden Milchpreisen, müsse man das zuerst einmal stemmen können.

Für kleinere Betriebe sind deshalb die Geldströme zusehends eine grosse Herausforderung. Gerade Höfe, die im Vollerwerb 40 bis 50 Kühe halten, erwirtschaften zu wenig Geld. «Bei einem Gewinn von 1000 Euro pro Kuh resultiert ein Einkommen von 40'000 bis 50'000 Euro, das ist eigentlich zu wenig», meint Dorfner. Die Betriebe müssten entweder wachsen oder weitere Betriebszweige aufbauen.

Dem Wachstumsdruck können längst nicht alle Betriebsleiter standhalten, und so werfen jährlich 3,5 Prozent der bayerischen Betriebe das Handtuch – jährlich sind das gut 1200 Höfe, jeden Tag etwa drei.

Wachsen muss aber nicht die erste Wahl sein, wenn das Betriebseinkommen verbessert werden soll. So präsentierte Dorfner Zahlen aus seinem Institut, die zeigen, dass mit der Optimierung der Produktion bis zu zehn Eurocent pro Kilo Milch eingespart werden können. Mit einer Vergrösserung der Herde um hundert Tiere sei lediglich eine Kostensenkung von drei Cents pro Kilo möglich.

Gesellschaftliche Akzeptanz wird zur Wachstumsbremse

Anders sieht das Bild beim Arbeitsverdienst pro Stunde aus. Dieser sei bei Betrieben mit mehr als hundert Kühen doppelt so hoch, als wenn ein Bauer «nur» 50 Milchkühe im Stall habe, meint Gerhard Dorfner. Doch Megabetriebe, mit 200, 300 oder noch mehr Kühen stellen ganz andere Anforderungen an das Management, den Betriebsleiter und damit auch die Familie.


Daneben findet in Deutschland eine zuweilen gehässige Debatte darüber statt, welche Produktionsform gesellschaftlich wünschenswert ist. «Die Bevölkerung will eigentlich keine grossen Betriebe, sondern immer mehr Idylle», sagt Dorfner dazu nur. Für Bayern insbesondere problematisch sei, dass die Anbindehaltung eventuell verboten werden könnte. Denn das Tierwohl rücke vermehrt auf die politische Agenda, und verschiedene Berichte würden einen Systemwechsel bei der Nutztierhaltung fordern.

Eingeschränkte emotionale Entwicklungsfähigkeit

Für die Landwirte, die unter Wachstumsdruck stehen, führt diese Diskussion zu Verunsicherung und viel Ärger. Die ideologische Diskussion münde hin und wieder in einem politischen Beschluss, sagt Dorfner. Die Planbarkeit sei damit praktisch nicht vorhanden, weder auf den Märkten noch in der Politik.

Trotzdem wären viele Betriebe aus wirtschaftlicher Sicht noch entwicklungsfähig.

Wie Gerhard Dorfner sagt, seien aber viele Betriebsleiter auf der emotionalen Ebene von Partnerschaft, Beziehung und Familie viel weniger zukunftsfähig. Obwohl das Geld vorhanden wäre, sorgen Spannungen in der Partnerschaft oder der Familie dafür, dass nicht das ganze ökonomische Potenzial ausgeschöpft wird.  


Umstrittene Prognosen


Wohin sich aber der ganze Milchmarkt in Deutschland entwickeln wird, ist umstritten. So erwartet die EU-Kommission einen moderaten Anstieg von rund 1 bis 1,2 Prozent, das European Milk Board (EMB) geht in eigenen Schätzungen von einem Wachstum von rund 3 Prozent aus.

Global, und darauf stützen sich auch die Prognosen der Schweizer Milchproduzenten ab, soll der Milchmarkt jährlich um etwa zwei Prozent wachsen. Dass die Chinesen seit letztem Herbst aber weniger Milchprodukte nachfragen, dämpft diese Entwicklung. «Über einen Mehrjahresschnitt wird der Markt wohl jährlich um 2 Prozent wachsen», sagt Dorfner. Aber es könne sein, dass zwei Jahre kein Wachstum erfolge, im dritten Jahr aber ein Sprung von mehreren Prozent erfolge. 

Hansjürg Jäger