Kürzlich war unseren Medien zu entnehmen, dass der steinreiche «Mr. Microsoft», Bill Gates, 40 Millionen US-Dollar für die Viehzucht im Dienste der Entwicklungshilfe locker macht. Mit dem Geld sollen Forscher(innen) an der schottischen Universität in Edinburgh eine «Superkuh» für Afrika südlich der Sahara züchten, die so viel Milch wie eine europäische Kuh gibt. Zugleich soll sie Hitze gut ertragen und gegen (sub)tropische Krankheiten resistent sein. Die Verheissung von Mr. Gates lautet: mit einer genetisch optimierten Kuh können afrikanische Hirten und Kleinbäuerinnen mehr Milch produzieren, höhere Erträge erwirtschaften und die Kinder in die Schule schicken. So entkommen sie der Armutsspirale.

Zugegeben, ich bin weder Genetiker noch erfahrener Viehzüchter, aber die Sache scheint mir doch ein paar Haken zu haben. Erstens stellt Mr. Gates die Viehzucht als eine rein genetische Angelegenheit dar, bei der sich sämtliche gewünschten Eigenschaften auf einen Schlag irgendwie additiv optimieren lassen: Man nehme einen Holstein-Stier, der eine exorbitante Milchleistung vererbt, belege damit eine robuste, krankheitsresistente afrikanischen Kuh, und 280 Tage später kommt das eierlegende Milchwollsaukalb zur Welt.

Nun habe ich in der Landwirtschaftsschule doch soviel gelernt, dass der Zuchtfortschritt etwas Langwieriges ist, genomische Selektion hin oder her. Und dass nicht alle züchterisch angestrebten Merkmale von Kühen positiv korrelieren. Wird das Leistungspotential einer Kuh genetisch bedeutend gesteigert, so geht dies tendenziell auf Kosten ihrer Robustheit und Resilienz. Gleichwohl spricht Mr. Gates von einer Vervierfachung der Milchleistung bei gleicher Überlebensfähigkeit. Das sind grosse Worte, die Anlass zur Skepsis geben. Selbst wenn die erste Nachkommensgeneration tatsächlich in diesem Ausmass erhöhte Milchleistung aufweisen sollte – der Heterosiseffekt, der bedeutend zu dieser Steigerung beiträgt, kann nicht weitervererbt werden.

Zweitens greift der Fokus auf die Genetik zu kurz. Zur Realisierung des genetischen Leistungspotentials braucht es eine entsprechende Haltung und Fütterung. Es scheint mir, als würde Mr. Gates die Bedingungen, unter denen Millionen von afrikanischen Kleinbäuerinnen und Hirten Viehzucht betreiben, ziemlich grandios verkennen. So sagte der technikgläubige Multimilliardär etwa, «dass die afrikanischen Bauern genauso effizient Viehwirtschaft betreiben können wie die Landwirte in den reichen Ländern dies tun.» Sollen die Massai ihre zukünftigen «Superkühe» also in modernen Freilaufställen halten und mit Soja aus Brasilien füttern? Und ist das europäische Modell der Milchviehhaltung wirklich so effizient? Was ist mit all den überschuldeten Milchbäuer(innen) in Europa, was mit den Folgekosten des Sojaanbaus für Mensch und Umwelt in Südamerika? Sind Kühe mit einer Nutzungsdauer von drei Laktationen effizient? Und ist es effizient, die europäischen Milchüberschüsse als subventionierte verarbeitete Produkte und Milchpulver in diversen afrikanischen Ländern zu Dumping-Preisen zu verschachern?

Drittens wäre da der Klimawandel, der das El-Nino-Phänomen verschärft. Angesichts der zunehmenden Dürren im subsaharischen Afrika stellt sich die Frage, wie Mr. Gates' neue «Superkuh» den dortigen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern und Nomaden mehr Milch geben soll, wenn Futter und Wasser klimabedingt knapper werden. Um wieder auf die Genetik zurückzukommen: Tatsächlich korrelieren manche Zuchtmerkmale positiv, zum Beispiel die Milchmenge mit der Kuhgrösse. Eine grossrahmige Kuh hat einen höheren Bedarf an Futter, das eine grössere Nährstoffdichte aufweisen sollte. Und sie braucht ihrer züchterisch gesteigerten Milchleistung entsprechend mehr Trinkwasser. Dieses ist saisonal vielerorts knapp und fehlt in Dürreperioden zum Teil ganz. Vielleicht hat es der Eine, die Andere in der Zeitung gelesen oder in der Tagesschau gesehen: im Südsudan, in Somalia, Jemen und Nigeria herrschen Hungersnöte. Tausende Kühe und Ziegen sind verdurstet und verhungert.

In meinem ersten Jahr hier in Kasisi/Sambia habe ich meinen sambischen Arbeitskollegen Elijah in einige Dörfer im Chongwe District begleiten dürfen. Elijah hat am Kasisi Agricultural Training Centre (KATC) als Projektkoordinator für das «Livestock Development and Animal Health Project» gearbeitet. Im Rahmen dieses Projekts zur Förderung der Milchviehhaltung in Sambia wurden Jersey-Kühe an Kleinbäuerinnen und Kleinbauern vermittelt – nicht gratis wohlgemerkt, sondern mittels eines Mikrokredits, auf den sehr hohe Zinsen erhoben wurden. Bei den Hofbesuchen fiel mir auf, dass nur eine Minderheit der Bauern und Bäuerinnen Heu als Viehfutter für die Trockenzeit eingebracht hatte. Mehrere von ihnen hielten die zwei durch das Projekt vermittelten Milchkühe in einem Gehege ohne Überdachung, die Schutz vor strömendem Regen und glühender Sonne hätte bieten können. Ausserdem gab es Schwierigkeiten beim zeitgerechten Zugang zu Impfungen, Arzneimitteln und Besamungsdienst oder Zuchtstier. Auch die Besorgung von Melasse aus der sambischen Zuckerherstellung bereitete den KleinbäuerInnen logistische Schwierigkeiten und hohe Kosten.

Bill Gates' viehzüchterisches Engagement in Ehren – es reicht nicht, in europäischen Labors eine «Superkuh» für afrikanische BäuerInnen zu züchten. Viel sinnvoller scheint mir, dass BäuerInnen dabei unterstützt werden, sich in Milchvieh-Kooperativen zu organisieren, um gemeinsam zu lernen und Erfahrungen auszutauschen. Weiter müssten sie Zugang zu biolandwirtschaftlichen Schulungs-, Beratungs- und Unterstützungsdiensten haben, und zwar langfristig. Die Modelle dazu sind vorhanden. Leider haben viele Entwicklungsprojekte im ländlichen Raum einen kurzen Zeithorizont und erwarten gleichwohl nachhaltige Resultate, was sich häufig beisst. Die Projektbüros befinden sich meist in den Städten, und die Anwesenheit der ProjektmitarbeiterInnen auf den Farmen lässt oft zu Wünschen übrig.

«Entwicklung» braucht Zeit, Kontinuität, Präsenz vor Ort und Vertrauen. Vor diesem Hintergrund möchte ich dem KATC, das seit vierzig Jahren Bildungsarbeit für sambische KleinbäuerInnen leistet, ein Kränzchen winden. Mein Dank geht auch an Comundo, die Schweizer Organisation für Personelle Entwicklungszusammenarbeit. Mit der Vermittlung von Fachpersonen an ihre Partnerorganisationen im Weltsüden und mit der Einsatzfinanzierung unterstützt Comundo auch BäuerInnen bei ihrem Kampf für bessere Lebensbedingungen – nach dem Grundsatz «Entwicklung ist es nur, wenn es in Richtung weltweiter sozialer Gerechtigkeit geht».

Nachtrag: Das ist mein letzter Blogbeitrag aus Sambia. Mein dreijähriger Einsatz in Kasisi wird im März enden, und ich werde ins Heidiland zurückkehren. Viel Zeit zum kontemplativen Verdauen meiner Sambia-Erlebnisse werde ich nicht haben – es wartet bereits das nächste Abenteuer auf mich: der Alpsommer 2018 auf der Alp Farur in Graubünden. Ich freue mich auf den Erfahrungsaustausch mit der Sennerin und Tierärztin, die mehrere Jahre in Uganda gelebt hat.

Markus Schär