Ja, der Milchpreis war schon damals ein Thema. Und er war, obwohl vom Bundesrat auf 97 Rappen pro Kilogramm festgesetzt, zu tief. Die erste Senkung um zehn Rappen war noch keineswegs verdaut, und die zur Kompensation des Einkommensausfalls auf 1993 eingeführten Direktzahlungen nach Art. 31 a und b stiessen auf wenig Gegenliebe.

Von der Aussenhandelsfront, Stichwort Gatt, drohten dunkle Gewitterwolken. Und selbst über den Einkaufstourismus wurde geschrieben.

Nur bei den Namen gab es Änderungen

Hat man mit der damals eingeleiteten Agrarreform die Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft umgekrempelt, damit alles beim Alten bleibt? Fast scheint es so.

Denn auch die Sündenböcke in den Leserbriefen sind die gleichen geblieben. Nur die Namen haben geändert. Statt Jean-Pascal Delamuraz Johann Schneider Ammann, statt Jean-Claude Piot und Hans Burger Bernard Lehmann.

Bundesräte und Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartements die ersten, die Direktoren des Bundesamts für Landwirtschaft die zweiten. 

Prekäre Stellung in einem Industrieland

Diese Konstanten in der agrarpolitischen Diskussion kommen nicht von ungefähr. Sie sind Folge der prekären Stellung der Landwirtschaft in einem Industrie- und Dienstleistungsland des 20. Und 21. Jahrhunderts.

Prekär deshalb, weil die beherrschende Logik der Marktwirtschaft auf die Landwirtschaft nur mit Einschränkungen anwendbar ist. Natur und Produktionsgrundlagen setzten Landwirtschaftsbetrieben Schranken, welche für Industrie- und Dienstleistungsunternehmen nicht gelten.

Und dabei sind die Besonderheiten der Agrarmärkte, auf denen viele Anbieter einer kleinen Zahl von Abnehmern gegenüberstehen, noch gar nicht berücksichtigt. Das führt fast naturgegeben zu einer Nähe zum Staat.

Berufsstand mit Vetomacht

Etwas hat sich aber gegenüber Mitte der 1990er-Jahre fundamental geändert: die Akzeptanz. Oder salopp formuliert, der Wandel vom «Watschenmann» zum anerkannten Berufsstand mit Vetomacht.

Vom Zuckerbeschluss 1986 bis zum Nein zu drei Landwirtschaftsvorlagen 1995 gingen damals eine Reihe von Abstimmungen verloren. Und es fehlte nicht viel, hätte die erste Kleinbauerninitiative an der Urne mit Preisdifferenzierungen nach Betriebsgrössen eine Mehrheit gefunden.

Zwei Lehren hervorzustreichen

Gründe gab es viele. Als Lehren sind zwei hervorzuheben. Die Landwirtschaft war zerstritten wie selten zuvor. Dem Schweizer Bauernverband erwuchs intern immer mehr Opposition. Vor allem aber hatte er die nötige Sensibilität für gesellschaftliche Entwicklungen in unserem Land verloren.

Seine Vertreter wurden als «stalinistische Betonköpfe» wahrgenommen, die in einer «Anbauschlacht-Rhetorik» stecken geblieben waren und nicht merkten, dass immer mehr Konsumentinnen und Konsumenten nach einer tier- und umweltgerechten Produktion verlangten.

Dieser Blick zurück soll davor warnen, die Fehler von damals zu wiederholen. Und so weit ist man nicht davon entfernt, wie die Diskussion über die Initiative für Ernährungssicherheit und den vom Ständerat erarbeiteten Gegenvorschlag zeigt.

Leistungen sind wichtiger als Kosmetik

Wichtiger als Kosmetik an einem Verfassungsartikel sind die Leistungen, welche die Landwirtschaft für die Gesellschaft in der von den Konsumenten und Steuerzahlern gewünschten Qualität erbringt: gesunde Nahrungsmittel, die tierschutzgerecht und umweltverträglich in einer gepflegten Kulturlandschaft produziert worden sind.

Und dazu zählen auch jene ungeliebten Leistungen, welche nicht zur angestammten Aufgabe der Nahrungsmittelproduktion gehören, sondern die Sehnsüchte einer städtischen Bevölkerung nach «heiler Welt» befriedigen.

Dass sie diese Aufgaben erheblich besser und erst noch zu tieferen Kosten als vor 20, 25 Jahren erbringt, ist eine grosse Leistung all der Bäuerinnen und Bauern, welche die Herausforderungen angenommen haben.

Darauf kann die Landwirtschaft stolz sein, und dafür verdient sie Anerkennung. Mehr auch, als ihr vor allem in der veröffentlichten Meinung zuteil wird.

Rahmenbedingungen müssen da sein

Damit die Landwirtschaft diese Leistungen auch künftig erbringen kann, braucht sie Rahmenbedingungen. Das sind ein funktionierender (Grenz-)Schutz, eine Abgeltung der vom Markt nicht bezahlten Aufgaben und die Bewahrung des Kulturlandes als Produktionsgrundlage.

Ohne Staat geht es eben nicht, auch wenn man sich bisweilen wünschte, es würde insbesondere von den landwirtschaftlichen Organisationen zuerst versucht, ein Problem selber zu lösen als reflexartig nach der Politik zu rufen.

Insbesondere wäre es ihre Aufgabe, die alternativlose Qualitätsstrategie voranzutreiben; konsequenter als bisher und im Einvernehmen mit allen an der Wertschöpfungskette Beteiligten.

Jahrzehntelang eingeübte Verhaltensmuster wirken noch zu stark nach. Insbesondere jüngere Landwirte sind diesbezüglich schon erheblich weiter. Das lässt hoffen.

Es gilt, die Balance finden

Bei der Aufgabe, die Rahmenbedingungen zu erhalten respektive zu schaffen, wo es nötig ist – man denke nur an einen möglichst griffigen Schutz des Kulturlandes –, gilt es, die Balance zu halten zwischen den Erfordernissen der Landwirtschaft und den Ansprüchen der Gesellschaft.

Und zu berücksichtigen sind auch die Bedürfnisse einer Wirtschaft, die international vernetzt ist wie kaum eine andere. Die Landwirtschaft ist Teil der Wirtschaft.

Solche Realitäten im Hinterkopf zu behalten, sollte davor bewahren, eine reine Klientelpolitik zu machen, die kurzfristig zwar durchaus Erfolge zeitigen kann, aber längerfristig das Risiko in sich trägt, all das für die Bauernfamilien Erreichte zu gefährden.

Und das ist nicht wenig, auch wenn man es oft nicht glauben mag.

Ruedi Hagmann