AboFliesst in kurzer Zeit viel Wasser ab, nehmen Felder und Strassen Schaden (hier im Kanton Bern). Für die Prävention braucht es Zusammenarbeit.KlimawandelWasser in der Fläche halten, um Mangel und Zerstörung zu vermeidenMontag, 16. Oktober 2023 Auf einem Teil der Flächen des Gerbehofs hat das Projekt von Christoph Hauert und Eva Ulm bereits Formen angenommen. Geschwungene Formen, denn die beiden wollen ihre Hänge in Bibern SO künftig entlang von Keylines bewirtschaften. Das bedeutet, den Höhenlinien mit Gräben und Dämmen zu folgen, um das Wasser gezielt zu lenken. Mindestens ebenso wichtig sind die allmählichen Veränderungen im Maschinenpark des Bio-Betriebs.

«Etwas grössenwahnsinnig»

«Wir haben 1998 als ETH-Agronomen mit mehr oder weniger praktischer Erfahrung angefangen», schildert Christoph Hauert. Das Paar organisierte sich, um die anfallende Arbeit auf den damals 40 ha des Gerbehofs bewältigen zu können und stellte auf Bio um. Mit dem technologischen Fortschritt wurde der Betrieb effizienter, aber auch grösser. «Vielleicht waren wir auch ein bisschen grössenwahnsinnig», meint Hauert selbstkritisch. Mit zugepachtetem und zugekauftem Land wuchs die Fläche auf 60 ha an. Dank der engen Zusammenarbeit mit dem Farngut in Grossaffoltern BE (ÖLN-Gemeinschaft) liefen die Maschinen auf fast 100 ha. Die Rationalisierung des Maschinenparks setzte sich fort bis zum 150-PS-Traktor und der 3-Meter-Säkombination mit Fronttank. Die angebauten Kulturen wurden intensiver, dafür aber auch wirtschaftlich interessanter.

Anfänglich habe die Umstellung auf Biolandbau die Stabilität der Böden stark erhöht, sagen die Betriebsleitenden. Irgendwann sei aber vielleicht die Bodenbearbeitung überbordet, sodass es trotz humusaufbauenden Kompostgaben zu stärkerer Erosion kam. Mit allzu marktorientiertem Gemüseanbau sei die Fruchtfolge der ÖLN-Gemeinschaft überlastet gewesen und es habe sich gezeigt, dass Gewicht auf dem Feld eine Rolle spielt.

Betriebsspiegel Gerbehof

Label Bio Suisse, Vollweide-Betrieb mit saisonaler Abkalbung
LN 36 ha in Bibern SO, 25 ha in Grossaffoltern BE
Tierbestand 40 Milchkühe, Aufzucht bis 6 Monate
Kulturen 13,6 ha Brotgetreide, 7,9 ha Kartoffeln, 2 ha Dreschbohnen, 3 ha Zuckermais, 0,6 ha Brennnesseln (Düngerproduktion)
Arbeitskräfte Christoph Hauert und Eva Ulm, 5 Mitarbeitende, saisonal Erntehelfer
Weiteres 10 Prozent der Milch werden direkt vermarktet.

Disteln noch nach Jahrzehnten

«Vielleicht hat die Veränderung aber auch vielmehr in unseren Köpfen stattgefunden, als dass man unter dem Strich etwas gesehen hat», sagt Eva Ulm. Der Anblick seines 4,5-Tonnen-Traktors und der 1000-Liter-Spritze, die nach der Fahrt durchs Kartoffelfeld voller Erde klebten, hätte ihm zu denken gegeben, erinnert sich ihr Partner. In den tiefen Spuren der Zuckerrübenernte würden noch Jahrzehnte später Disteln wachsen.

AboMarc Frühauf hat bereits streifenförmige Acker-BFF zwischen den Flächen angelegt, mit der Idee, Erosion zu vermindern und Wasser zu speichern. Jetzt sollen hier Keylines mit Agroforst entstehen. «Fokus Boden»Keylines: Das betriebseigene Wasserschloss erstellenDonnerstag, 23. November 2023 In einem ersten Versuch säte das Betriebsleiterpaar Blühstreifen zwischen die Kartoffelreihen und fuhr nur noch auf diesen Spuren. Das sei sehr hübsch gewesen. «Von den Behörden hiess es aber, Blühstreifen müssten mindestens drei Meter breit sein und dürften nicht befahren werden», erklärt Christoph Hauert. Ausserdem habe sich der Jätaufwand in den Rüebli vervielfacht – Kornblumen aus den Blühstreifen erwiesen sich in den Nachkulturen als keimfreudiges Unkraut. «Also wollten wir die Streifen künftig immer am selben Ort anlegen», so Hauert. Seither werden auf dem Gerbehof mit GPS-Unterstützung feste Fahrspuren eingehalten.

Spurbreite 1,8 Meter

Verschiedene bodenschonende Verfahren überzeugten die beiden nicht. Stattdessen entschieden sie sich, den vom Gemüse bekannten Beetanbau auf Ackerflächen umzumünzen. Eva Ulm und Christoph Hauert arbeiten daran, ihren Maschinenpark auf eine Spurbreite von 1,8 Metern zu vereinheitlichen. Das bedeutet eine Bearbeitungsfläche unter dem Traktor von 1,5 Metern, dazu links und rechts 30 cm breite begrünte Fahrgassen. «Diesen Frühling haben wir den grossen Traktor verkauft», sagt der Agronom. Stattdessen ist er nun mit einem Kubota unterwegs, der drei Tonnen wiegt und 100 PS hat.

Heftige Sommergewitter in den Jahren 2018 und 2021 haben im von steilen Flächen und Mulden geprägten Gelände von Bibern zu starken Erosionen geführt. «Der beste Boden geht dabei verloren und liegt im dümmsten Fall vor der Haustüre», schildert Hauert. Demgegenüber hätten in den vergangenen Jahren meist auch Kartoffeln und vermehrt sogar Zuckermais bewässert werden müssen. Seit der Teilnahme an einem Seminar mit dem deutschen Keylinedesign- und Agroforst-Berater Philipp Gerhardt (Baumfeldwirtschaft) sehen die beiden im Anlegen von Keylines die Lösung zur Regulierung des Wasserhaushalts.

Entlang der Höhenlinien «in drei Dimensionen arbeiten» 
[IMG 6]
Auf dem Gerbehof sind Keylines auf etwa 35 ha geplant. Dafür werden entlang der Höhenlinien schräge Rinnen gegraben, in denen sich das Regenwasser sammeln kann. Das meiste versickert in der Rinne bzw. wird von den darauf gepflanzten Obst- und Wertholzbäumen aufgenommen. Deren Wurzeln stabilisieren die Keyline und transportieren das Wasser in die Kronen, wo es das Blattwerk via Transpiration wieder abgibt. So entsteht ein kühleres Mikroklima, die in Streifen zwischen den Keylines angelegten Kulturen profitieren zusätzlich von der morgendlichen Taubildung.

«Reduzierte Bearbeitung und Humusaufbau können den Boden resilienter machen», sagt Christoph Hauert. Das werde angesichts häufigerer Starkregen und langer Trockenphasen in Zukunft aber nicht ausreichen, ist er überzeugt. Eva Ulm spricht davon, in drei Dimensionen zu arbeiten: Bäume, aber auch Sträucher bringen ein weiteres Stockwerk über den Ackerkulturen. Je nachdem, wie sich der Abfluss verhält, wollen Ulm und Hauert die Anzahl Keylines mit Rinnen anpassen. Denkbar sei auch, einige Linien nur zu bepflanzen und aufs Graben bzw. Aufschütten zu verzichten. Wo nötig, werden Leitungen als Überlauf eingebaut und Überwege für das Vieh aufgeschüttet.
Neben Obstbäumen sind auf den Keylines Pappel-Stecklinge gepflanzt. Sie wachsen schneller und können bereits nach 5–10 Jahren den Einfluss grosser Bäume auf den angrenzenden Ackerbau zeigen. Die Pappeln sollen später den grösser werdenden Obst- und Wertholzbäumen weichen.

Den Maschinenpark auf Schmalspur trimmen – keine leichte Aufgabe
[IMG 7]
Christoph Hauert und Eva Ulm ver-folgen das Ziel einer Bewirtschaftung in festen, begrünten Fahrgassen und einer Spurbreite von 1,8 m bei möglichst allen Kulturen. «Es geht in erster Linie darum, den Kultur- und Fahrbereich zu trennen», erklärt der Agronom. Was beim Gemüseanbau mit Beeten bekannt ist, will er mit Ackerkulturen in Streifen umsetzen. Neben Investitionskosten in neue Maschinen oder Anpassungen stellen sich dabei weitere Herausforderungen.

Schlagkraft: Mit einem kleineren Kartoffelvollernter dauere die Ernte etwa doppelt so lange. «Der Herbst ist aber nicht länger geworden», bemerkt Hauert. Die Zeit reiche nicht, die 8 ha Kartoffeln des Gerbehofs mit kleinerer Spurbreite zu ernten.
Ausgelagerte Arbeiten: Alles, was der Lohnunternehmer übernimmt (z. B. Dreschen, Siloballen pressen) passt nicht ins System. Die festen Fahrgassen können mit den grossen Maschinen nicht eingehalten werden. «Den passenden Nexat gibt es noch nicht», sagt Hauert mit Verweis auf das Nexat-Wechselträgerfahrzeug. Dessen Hersteller verspricht ein Fahrzeug für alle Bearbeitungsschritte, mit jeweils wechselnden Modulen.
Zugkraft: Der kleinere Traktor kommt je nach Gelände und angehängtem Gerät an seine Grenzen.
Fahrgassen: Die begrünten Spuren müssen gesät und unterhalten werden. Die passende Mechanisierung ist bei eigenen Konstrukteuren des Gerbehofs in Entwicklung.
Kombination: Bei Reihenkulturen leidet durch die Verbindung von Streifenanbau und Keylines z. B. die Genauigkeit beim Hacken und Häufeln.

Hauert und Ulm hoffen, dass sich dereinst auch die Landtechnik-Hersteller für die Entwicklung kleinerer, hoffentlich autonomer Geräte zu interessieren beginnen.

Restflächen nutzen

«Wenn wir schon in Streifen arbeiten, dann den Höhenlinien folgend», bemerkt Eva Ulm. Die Kombination des Streifenanbaus und des Keylinedesigns wird in Bibern nun sukzessive vorangetrieben. In diesem Jahr erfolgte die Umsetzung der Planung auf zwei Feldern und insgesamt 5 ha.

Das Bewirtschaftungssystem von Christoph Hauert und Eva Ulm – die Kombination von Keyline und Streifenanbau – passt in kein Direktzahlungsprogramm. Mit dem Bau der Keylines werde das Ganze nicht nur schmal, sondern auch krumm. Die Manövrierbarkeit der Geräte setzt den Kurven allerdings Grenzen, weshalb die Verschnittflächen zwischen den Ackerstreifen in der Realität anders aussehen als in der Planung. Rechnerisch verliere der Gerbehof durch den Streifenanbau rund 1/6 der Bewirtschaftungsfläche – zuzüglich zu dem, was in Ecken und Kurven übrig bleibt. «Das sehen wir nicht als Verlust», sagt Eva Ulm. Der Plan sei, in den Restflächen Beeren oder Nüsse zu pflanzen oder der Biodiversität mehr Platz zu bieten. Die begrünten Fahrspuren entlasteten zudem die Bewirtschaftungsfläche, die dadurch leichter zu bearbeiten sei. «Bevor sich die angebauten Kulturen entwickelt haben und auch nach deren Ernte sind diese Grünstreifen Ernährer des Bodenlebens und Zufluchtsort für alles Oberirdische», erklärt Christoph Hauert. Wo es die Platzverhältnisse erlauben, werden die Milchkühe des Betriebs jeweils die Kunstwiesen in der Fruchtfolge beweiden. «Wir können alles erweiden», sagt Hauert zur Zugänglichkeit. Die behornten Tiere müssen aber ausreichend Raum zum Ausweichen haben und werden daher nicht in schmalen Streifen grasen.

Rauchende Köpfe

«Wir beschneiden uns in der Arbeitseffizienz, betreiben einen Mehraufwand, haben Investitionskosten und manchmal rauchen unsere Köpfe richtiggehend», beschreibt Christoph Hauert die Herausforderung, die Bewirtschaftung seiner Flächen nach mehr als 20 Jahren komplett neu zu denken. «Aber du kannst dir nicht vorstellen, wie viel Freude das macht», betont er. Die beiden Agronomen sagen von sich, sie seien stur genug gewesen, den Ackerbau trotz zunehmender Probleme mit Erosion in den Hängen nicht aufzugeben. «Wir sind dafür eingerichtet und der Ackerbau macht mir ebenso viel Freude wie die Tierhaltung», bemerkt Hauert. Ausserdem seien die Böden der steilen Flächen besser als die lehmigen Standorte im Talgrund.

Die Solothurner hoffen, dank der neuen Bewirtschaftungsweise höhere Flächenerträge einfahren zu können – und die Ernte zu sichern, wenn die Trockenphasen in Zukunft immer länger und die Starkregenereignisse häufiger werden. Es gebe Aufschwung, für die nächsten zehn Jahre bis zu ihrer Pensionierung anders zu «bauern», ist sich das Paar einig. «Der Kick ist genial», findet Christoph Hauert. «Es ist ein Motivationsschub, etwas Neues auszuprobieren», pflichtet Eva Ulm ihm bei. Dabei denken die heutigen Betriebsleiter auch an ihre Nachfolgenden, denen sie dereinst sagen können möchten, ob das System funktioniert.

Am Samstag, 21. September, findet für Landwirt(innen) aus dem Bucheggberg eine Feldbegehung unter anderem auf dem Gerbehof statt.www.fb-bucheggberg.ch/agroforst 

Die Umstellung finanzieren

Bei aller Freude: Die Umstellung kostet. Der Verkauf grosser Maschinen finanziert zwar die Anschaffung kleinerer. Viele Geräte müssen aber für den Streifenanbau angepasst werden. «Weil wir mit dem Farngut in Gross-affoltern zusammenarbeiten, bezahlen wir die Maschinen grösstenteils nur zur Hälfte», gibt Christoph Hauert zu bedenken. Die Stiftung Visio Permacultura beteiligte sich an den Planungskosten für die Keylines. Deren Umsetzung unterstützt der Kanton Solothurn im Rahmen seines «Mehrjahresprogramms Landwirtschaft». Dies, weil die Behörden das Projekt als «infrastrukturrelevant» und als Beitrag zum Hochwasserschutz in der Region sehen. Das Pflanzen von Bäumen unterstützen verschiedene Organisationen. Direktzahlungsoptimiert ist das Ganze nicht. «Wir nehmen die Beiträge dort, wo es sie gibt und richten die eine oder andere Mass-nahme danach», erklärt Hauert seine Philosophie. «Aber würden wir vor allem auf Direktzahlungen schauen, wären wir nur noch am Abklären und Planen.»

Zwar arbeiten weder Eva Ulm noch Christoph Hauert auswärts, aber sie vermieten Wohnungen in einem modern renovierten Haus. In früheren Jahren habe der Landwirtschaftsbetrieb diesen Umbau finanziell ermöglicht, heute helfen die Mieteinnahmen, ihre Projekte zu finanzieren. Zugunsten von Keylines und Streifenanbau stellen die beiden andere Projekte – zum Beispiel eine Solaranlage – vorerst zurück. Das Wagnis mit schmaler Bewirtschaftung und Keylines würden Hauert und Ulm nicht allen empfehlen. Sie sehen sich auch als Pioniere und legen Wert darauf, ihre Erfahrungen mit anderen zu teilen. «Weil wir öffentliche Gelder bekommen, gehört das sowieso dazu», meint Ulm.