Die S-Bahn nähert sich nach zwei Stunden Fahrt ab Olten SO dem zweitgrössten Ort des Kantons Jura. Je näher wir Porrentruy JU, dem Hauptort der Ajoie, kommen, umso mehr Netze liegen unter den Obstbäumen. Im ersten Moment sieht das irritierend aus, denn Netze sind üblicherweise über die Bäume gespannt.

Doch hier, im Land des Damasson, haben Netze ihren Sinn am Boden. Die Damasson ist eine Wildpflaume, aus welcher der Edelbrand La Damassine AOP gewonnen wird. Nur die Frucht selbst weiss, wann sie reif ist – und fällt ab. «Wir Produzenten können nicht eruieren, wann der Damasson genau den richtigen Reifegrad erreicht», erklärt Alain Perret in seinem Obstgarten «Combe Bruequelin». «Also lassen wir die Natur walten und lesen vormittags täglich die Früchte auf.» [IMG 5]

Der Vater ass tagelang nichts aus Kummer

Alain Perret wuchs auf dem elterlichen Hof mit einem Bruder und zwei Schwestern auf. Seine Eltern hielten Milchvieh und betrieben Ackerbau. Sein Berufswunsch war Architekt; sein ­Vater allerdings hatte ihn als Hofnachfolger ausgewählt. Als der 19-Jährige sich dem Wunsch des Vaters widersetzte, ass dieser tagelang nichts und wurde krank. Also entschied der Sohn, die bäuerliche Ausbildung zu absolvieren. Etwa zu jener Zeit lernte er einen Industriellen kennen, der wohl sah, welches berufliche Potenzial in dem jungen Mann steckte. Er riet ihm, die Milchproduktion aufzugeben und in die Obstproduktion einzusteigen: «Du musst Apfelbäume pflanzen und diese wie Kartoffeln vermarkten.»

Äpfel weichen Damasson 

Mit der finanziellen Unterstützung des väterlichen Freundes pflanzte der nicht mal 20-Jährige 10 000 Apfelbäume. Ein paar Jahre erntete und vermarktete er 400 Tonnen jährlich durch Direktverkauf und Self-pick, wofür er in den Zeitungen Werbung machte. Das Geschäft lief gut. Doch plötzlich brachen die Preise ein. Er sagte sich, statt auf bessere oder andere Zeiten zu warten, sei es klüger, den Betrieb umzustellen. «Wenn etwas nicht rentiert», ist seine Geschäftsphilosophie, «muss man weitergehen.»

Es sei richtig und wichtig, an einer Tätigkeit dranzubleiben. Aber nur, wenn sie rentiere. Also riss er die Apfelbäume aus und pflanzte an deren Stelle auf zehn Hektaren Damasson, Pflaumen, Zwetschgen, Mirabellen und Kirschen. Die Früchte liess er lokal weiter verarbeiten zu Edelbränden, Konfitüren, getrockneten Früchten, Schokoladespezialitäten und weiteren Köstlichkeiten. Im ehemaligen Stall eröffnete er einen Hofladen; das Geschäft lief gut.

Der jahrelange Kampf um die AOP-Bezeichnung

«Aber als ‹Architekt› musste ich weiter bauen», blickt er zurück. «1998 setzte ich mich mit Daniel Fleury zusammen und wir gründeten die ‹Damassine Fleury-Perret sàrl›.» Sie nahmen im gleichen Jahr gemeinsam an der ersten jurassischen Edelbrand-Prämierung teil – und gewannen die Goldmedaille. Das Unternehmen pflanzte den ersten ­Damasson-Obstgarten in Fregiécourt JU, den zweiten gleichenorts im Jahr 2000. Die Investition lohnte sich, das zeigt der Erfolg von La Damassine. [IMG 4]

Die Organisation der Vereinigung der Früchteproduzenten der Ajoie reichte 2002 zusammen mit der Vereinigung Früchte des Juras die Anfrage zur Registrierung des geschützten Qualitätszeichens AOP ein. Schliesslich handelt es sich um eine traditionelle Spezialität, die eine starke Verbindung hat zur ihrer Ursprungsregion. 2005 wurde dem Antrag stattgeben. Doch ein ausserkantonaler Produzent focht die Registrierung gerichtlich an. Erst 2010 kamen die jurassischen Produzenten zu ihrem Recht.

Museum und Agrotourismus ziehen ein

[IMG 3]2013 hatte Alain Perret die Idee, den Verkaufspunkt in ­seinem landwirtschaftlichen ­Betrieb zu erweitern zum Agrotourismus-Standort «Ô Vergers d’Ajoie». Die Eidgenössische Alkoholverwaltung und die Regierung des Kantons Jura trugen eine Sammlung von Destilliergeräten zusammen, die nun in einem Gebäude neben Perrets Obstplantagen zu besichtigen ist. Gleichzeitig wurde für Kinder und Schüler eine unterhaltsame Präsentation aufgebaut über die fünf meistangebauten Früchte der Schweiz: Apfel, Birne, Pflaume, Kirsche, Aprikose. Im daneben liegenden weiträumigen Laden, der Feinkosthalle, wird eine grosse Auswahl an Produkten aus dem Jura und dem Berner Jura angeboten, und zwar an Nahrungsmitteln und heimischen Handwerksarbeiten.

Natur und Wissen vereinen für Gross und Klein

Alain Perret und sein Team empfangen gerne Gäste auf Reser­vation, und zwar im Obstbausaal (80 Sitzplätze oder 100 Steh­plätze), im Festzelt, das an ein ­Zirkus-Chapiteau erinnert (150 Plätze), in der Bar. Für Kinder ist ein Spielplatz vorhanden. Wer sich einen Tag in der Natur gönnen will, wo Kinder und Erwachsene sich nebenbei Wissen auf unterhaltsame Weise aneignen können, ist bei «Ô Vergers d’Ajoie» am richtigen Ort. Hier herrscht kein Stress, keine Langeweile.

Stand heute: glücklich und zufrieden

Alain Perret ist glücklich und zufrieden. «Beides», sagt er, «ich habe zwar meinen Traumberuf nicht ausüben können, aber ich lebe meinen Traum.» Es handle sich nicht um einen einzelnen, sondern er habe in seinem Leben viele Illusionen verfolgen können. «Und meine Fantasie wird mich immer weitertragen», lächelt er. 

Fest der Damassine
Am 24. und 25. September  steigt das «1. Fest der Damassine AOP» in Mormont und Porrentruy. Zwischen den Ortschaften verkehren Pendeltaxis. Es gibt Destillations-Vorführungen mit Verkostung, einen Markt mit regionalen Produkten, begleitete Führungen durchs Museum, Ponyausritte und Kutschenfahrten, Märchen in den Obstgärten. Die Organisatoren, bei denen Alain Perret in der vorderen Reihe steht, haben einen kunterbunten Tag für Jung und Alt geplant.