Weil das Kind eine Zahnlücke hat. Weil die Kleider des Teenagers nach Stall riechen. Weil die Schülerin besonders gut in Mathematik ist. Mobbing beginnt aus banalen Gründen, kann aber gravierende Auswirkungen auf die körperliche und psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen haben.

Mobbing hat viele Facetten. «Es gibt zwar eine Definition, doch es ist nicht für alle das Gleiche», erklärt Brigitte Portmann. Die 35-jährige Bauerntochter ist Mentalcoach. Ihre Erfahrungen und Tipps gab sie an einem Onlinekurs weiter, der vom BBZN Luzern organisiert wurde.

Was ist Mobbing?

Wann ist es ein «normaler» Konflikt oder Streit zwischen Kindern und Jugendlichen und wann ist es Mobbing? «Bei einem Konflikt geht es um eine Auseinandersetzung in einer Sache, eine Meinungsverschiedenheit», schreibt Pro Juventute dazu, die grösste Schweizer Stiftung für Kinder- und Jugendförderung. «Bei Mobbing geht es nur noch darum, die betroffene Person fertigzumachen.» Oder anders ausgedrückt: Als Mobbing gilt das wiederholte, Schikanieren, quälen oder verletzen eines einzelnen Menschen durch eine Gruppe oder eine einzelne Person in überlegener Position, etwa einer Lehrperson oder ein älterer Mitschüler. Das kann von Demütigungen bis hin zur Gewaltandrohung oder effektiver Gewaltausübung gehen.

Nicht alle Kinder sind gleich anfällig für Mobbing. Dabei spielt die Resilienz eines Kindes eine grosse Rolle. Während das Eine das wiederholte Necken wegen der Zahnlücke oder der lockigen Haare bereits als «sehr schlimm» empfindet, ist es für ein anderes Kind zwar lästig, aber nicht relevant. Brigitte Portmann betont in diesem Zusammenhang, dass Mobber jeweils jemanden aussuchen, der ihnen genau das gibt, was sie suchen: Sie wollen Macht und Aufmerksamkeit und holen damit das Opfer in ihr Energiefeld.

Ist es etwa einem Kind mit Locken egal, ob dem Mobber oder die Mobberin es Schaf nennt, seine Haare doof oder ungekämmt findet, wird es meist bald in Ruhe gelassen. Keine Reaktion ist nicht das, was der Täter oder die Täterin sucht. Brigitte Portmann appelliert darum an die Eltern, das Selbstbewusstsein der Kinder zu stärken. Man soll den Kindern nicht alles abnehmen, sondern ihnen etwas zutrauen. Will heissen, das Kind auch einmal versuchen lassen, die schwere Schubkarre zu schieben oder den Kuchenteig auszuwallen. Denn so lernen sie Selbstwirksamkeit und stolz auf sich zu sein. Das Kind sammelt positive Erfahrungen und weiss, dass es gut ist, wie es ist.

Regeln und Gefühle

«Wichtig ist die bedingungslose Liebe zu Hause», sagt Brigitte Portmann. Das Kind soll wissen, dass die Regeln zu Hause für alle gleich sind, dass es alles erzählen kann und die Eltern seine Gefühle ernst nehmen. Ein «Ist doch nicht so schlimm» kann fatale Folgen haben. Denn das Kind lernt so, seinem eigenen Urteil «für mich ist es sehr schlimm» nicht mehr zu trauen.

Die Eltern können und sollen den Kindern mitgeben, dass Meinungen subjektiv sind. Die Meinung eines anderen darf man auch mal aushalten, doch sie ist keine in Stein gemeisselte Wahrheit. Brigitte Portmann erklärt es mit dem Begriff «Gedankenfurz»: Bei manchen Menschen blähen sich Meinungen im Kopf auf. Wenn diese Menschen uns nicht mögen, geben sie diese Meinung ungefiltert weiter. Ihre Meinungen sind aber nicht mehr als warme Luft. Es sind ihre Ansichten, nicht die eigenen. Kinder dürfen lernen, sich nicht alles im Aussen zu Herzen zu nehmen und Aussagen zu ignorieren, meint der Mentalcoach, so würden diese auch seltener verletzt.

Resilienz lernen

Die Kinder sollen in sicheren Häfen wie etwa zu Hause oder bei ihren Hobbys Energie auftanken dürfen. Energieräuber wie sinnlose Diskussionen, beispielsweise über den ungeliebten Schulbesuch, sollten vermieden werden. Man könne mit einem Kind am Abend gezielt die schönen Dinge des Tages besprechen, um aufzuzeigen, was alles gut gelaufen ist und so den Fokus auf das Positive lenken, erklärt Brigitte Portmann.

Wichtig zu wissen ist, dass sich die Mobbing-Formen erweitert haben. Während sich die Schikanen früher mehr auf die Schule oder den Schulweg beschränkten, verfolgen sie die Kinder heute via Handy bis nach Hause. Brigitte Portmann plädiert daher für einen gesunden Medien-Umgang, bei dem die Kinder von den Eltern begleitet werden. Zudem sollten Aktivitäten draussen, ohne Handy und PC gefördert werden.

Aus dem Kurs geht vor allem eines hervor: Mobbing kann entgegengewirkt werden, indem Kinder gestärkt werden. Mit genügend Selbstvertrauen sind Kinder für einen potenziellen Täter oder eine potenzielle Täterin uninteressant. Ist das eigene Kind von Mobbing betroffen oder bemerkt man Mobbing im Umfeld ist es wichtig zu reagieren (siehe Kasten).

Weitere Informationen: www.brigitte-portmann.ch 


«Es ist extrem, was Mobbing mit der Psyche macht»

Eine betroffene Mutter erzählt von ihrer Erfahrung mit dem Mobbing, das ihrer Tochter widerfahren ist.

Frau Bühler-Landolt, wie alt war ihr Kind, als es gemobbt wird?

Manuela Bühler-Landolt: Meine Tochter war 14 Jahre alt und in der 2. Sek, als das Mobbing in der Schule begonnen hat. Gemobbt hat sie eine gleichaltrige Schülerin.

Wann und wie hat das Mobbing angefangen?

Die Mobberin war ursprünglich die beste Kollegin meiner Tochter, die beiden waren so etwas wie die Anführerinnen der Klasse. Begonnen hat es vermutlich wegen eines Buben, mit dem meine Tochter zusammen war. Denn die Mobberin hatte damals auch ein Auge auf ihn geworfen.[IMG 2]

Das eigentliche Mobbing begann im Klassenlager. Anfänglich war es ein Zickenkrieg. Doch dann hat die Mobberin nach und nach alle aus der Klasse beeinflusst und auf ihre Seite gezogen. Nach dem Klassenlager war meine Tochter eine Woche krank, was das Ganze noch schlimmer machte.

Weswegen wurde ihre Tochter gemobbt?

Dadurch, dass meine Tochter unter starken Menstruationsbeschwerden litt, hatte sie immer mal wieder Fehltage. Ihr wurde vorgeworfen, sie sei eine Schwänzerin und mit jeder Abwesenheit, wurde es schlimmer. Als sie einen verletzten Fuss hatte, wurden ihr im Winter Eisschollen auf diesen geworfen. Sie wurde geschubst und ihr wurden Sachen weggenommen. Sie hat durch den Stress Kopfschmerzen gekriegt und so immer noch mehr Fehltage gehabt, wobei medizinisch keine Ursache gefunden werden konnte.

Wie haben Sie das Mobbing bemerkt?

Ich hatte anfangs zwar bemerkt, dass meine Tochter weniger mit den Freundinnen abmacht, mir aber nicht viel dabei gedacht. Erst durch die Lehrerin erfuhr ich, dass das Klassenklima schwierig sei. Als ich nach dem Gespräch meine Tochter danach fragte, erzählte sie mir alles.

Wie ging es weiter?

Sie weinte immer wieder, wenn sie in die Schule sollte. Sie hatte massive Kopfschmerzen, was ich so von ihr nicht kannte. An einem Mittwoch hatte sie in der Schule einen Schwächeanfall und wurde mit dem Krankenwagen ins Kinderspital gebracht. Da wurde sie für den Rest der Woche krankgeschrieben. Sobald sie daheim war, ging es ihr viel besser, von Kopfschmerzen keine Spur mehr. Bis am Sonntagabend, da haben die Schmerzen wieder angefangen. Ich konnte sie kaum noch davon überzeugen, in die Schule zu gehen.

Was haben Sie gegen das Mobbing gemacht, haben Sie sich Hilfe geholt?

Zuerst habe ich das Gespräch mit den Lehrern gesucht, dort wurde das Ganze banal als Zickenkrieg abgetan. Danach ging ich zur Schulleitung und zum Schulsozialarbeiter, wo wir in unterschiedlichen Konstellationen Gespräche geführt haben.

Das Schlimme ist, es war bekannt, dass das Mädchen mobbt. Sie hatte bereits in der zweiten Sek ein Opfer, das sie gemobbt hat, worauf hin sie in die Klasse meiner Tochter gewechselt hat. Sie konnte ohne Konsequenzen weitermachen, im Gegenteil, uns wurde vorgeschlagen, dass unsere Tochter die Klasse verlassen könne, nicht die Mobberin. Wir holten uns schliesslich Hilfe beim kantonalen Dienst für Kinder- und Jugendpsychiatrie, da meine Tochter begonnen hatte, sich selbst zu verletzen, um sich abzureagieren. Dort lernte sie, wie sie sich anders ablenken kann, und sie ist auch heute noch dort.

Was für Nachwirkungen hat das Mobbing?

Mittlerweile hat unsere Tochter eine Lehre begonnen und auch dort zeigt sich, dass sie bei Stress immer noch sofort mit Kopfschmerzen und Rückzug reagiert, statt sich einer Aufgabe oder Herausforderung zu stellen. Es ist extrem, was Mobbing mit der Psyche macht. Sie war vorher ein sehr taffes Mädchen. Inzwischen hat sie in der Berufsschulklasse wieder Anschluss und neue Freundinnen gefunden. Interview Anita Märki

Anzeichen und Hilfe

Mobbing zu erkennen, ist von aussen nicht ganz einfach. Es gibt aber laut Pro Juventute Anzeichen:

- Das Kind ist oft traurig, ängstlich oder müde und wirkt antriebslos.
- Das Kind verschliesst sich, zieht sich zu Hause und in der Schule mehr und mehr zurück.
- Es möchte nicht mehr zur Schule oder ins Training gehen.
- Das Kind äussert körperliche Beschwerden wie Bauch- oder Kopfschmerzen und hat vielleicht sogar Prellungen.
- Das Kind hat Probleme ein- oder durchzuschlafen und keinen Appetit.
- Es nutzt digitale Medien plötzlich viel häufiger oder kaum noch.
- Das Kind äussert Suizidgedanken.

Für gemobbte Personen gibt es verschiedene Anlauf- und Beratungsstellen. Eltern erhalten bei der Pro Juventute Elternberatung (058 261 61 61 oder elternberatung(at)projuventute.ch, auch WhatsApp möglich, www.projuventute.ch), der Opferhilfe (Übersicht über kantonale Beratungsstellen auf www.opferhilfe-schweiz.ch) oder der Präventionsfachstelle der Polizei Rat. Gemobbte Kinder und Jugendliche dürfen sich jederzeit ans 147 – Beratung und Hilfe für Kinder und Jugendliche wenden. Erreichbar sind die Fachleute per Telefon 147, SMS an 147, Mail an beratung(at)147.ch, Chat oder Web-Self-Service 147.ch. Das Angebot gilt für die drei Landessprachen Deutsch, Französisch und Italienisch. Anrufe oder SMS auf die Notrufnummer 147 sind gratis und erscheinen auf keiner Telefonrechnung. Jeanne Göllner