Und sie bewegt sich doch! – leise legt Brecht Galileo Galilei diese schönen Worte in den Mund. 1615 waren dessen Erkenntnisse eine Ungeheuerlichkeit. Natürlich wäre es vermessen, den Inhalt dieses Textes in einen Bezug dazu zu stellen. Aber da unsere Kinder grad über Planeten reden und Zukunftstag war und der Vollmond hell auf meinen Schreibtisch leuchtet, summe ich ein bisschen vor mich hin «… halb zu sehen … rund und schön ... So sind wohl manche Sachen, die wir getrost belachen, weil unsere Augen sie nicht sehn» und hänge in Gedanken veränderten Welt­bildern nach. 

«Das Korsett ist so eng»

Ich bin fasziniert von Galilei. Ich sehe ihn vor mir, wie er mit seinem selbst gebastelten Fernrohr am Fenster steht, wie er beobachtet, wie Anhaltspunkte zu Fixsternen werden, wie er den Gedanken zulässt, dass die Welt, auf der er steht, sich dreht, wie er es schafft, in seinem Kopf Platz zu machen für die unfassbar grosse Idee, dass alles ganz anders sein könnte. Dass sich nicht alles um uns dreht. Wie er in seinen Gedanken die Erde um die Sonne kreisen lässt. Wie konnte er sich das vorstellen, selber Teil des Systems, nicht von aussen? Was für eine Meisterleistung der Vorstellungskraft! – denke ich, während ich hier sitze und mich frage, was es bräuchte, dass in unsere Köpfe wenigsten ein neues Bäuerinnenbild passt. Landfrauen. Das Korsett ist so eng. 

Finden Sie nicht? Wie erklären Sie sich denn das Phänomen, dass in den Sommerferien Heerscharen von Familien in die entlegensten Ferienecken des Landes drängen, um ihrem Nachwuchs dauergerührt die ach so schöne Schweiz zu zeigen, und unentwegt «idyllisieren», wie da doch die Welt noch in Ordnung ist, wie wunderbar die Geranien an den Fenstern, die Glocken an den Kühen, die Sonne am Himmel – um dann kurz nach den Herbstferien, am Zukunftstag, zu erschrecken: Eine Bäuerin begleiten? Meine Tochter? Bäuerin? Das ist doch keine Zukunft! Da sind die Frauen doch noch am Herd. Oder halt am Geranien­abräumen.

Das Bilder der heiligen Bäuerin

Tot auf Postkarten verklären wir das Bild, lebendig stinkt es zum Himmel. Über diese Diskrepanz müssen wir reden. Dingend. Ich wage mich mal plump voran und behaupte: Akteure mit Eigeninteresse – Tourismus­industrie, Bauern­(-verbände), Konsumenten (und wohl auch -innen) usw. – haben sich das «Bild der Bäuerin» unter den Nagel gerissen und setzen viel daran, es unberührt in die Zukunft zu retten. Es ist verlockend praktisch: Gratishaushälterin, dauerverfügbare, kaum sichtbare Hofhilfe, billige Arbeitskraft in der Lebensmittel­industrie, zuverlässige Lieferantin vom immer gleichen Kitsch. Aus Sicht der Nutzniesser scheint dieser Traditionserhaltungstrieb also verständlich; das Bäuerinnenbild wurde kollektiv heiliggesprochen, da systemrelevant. 

Aus einer Nachhaltigkeits­perspektive ist das starre Bild ein gravierendes Problem. Wenn das Bäuerinnenbild fix und gegeben ist, haben Veränderungen auf den Höfen keinen Platz. Schliessen wir zum Test die Augen und stellen uns vor, was sich auf diesen Heile-Welt-Postkarten alles verschiebt, wenn wir unsere trachtenverkleideten Landfrauen durch progressive Biobäuerinnen im Rangerdienst, als Agrarenergieproduzentinnen und -expertinnen, als gut bezahlte Referentinnen in der Umweltbildung, als Nachhaltigkeits-Politikerinnen, als geschätzte Wissensvermittlerinnen in der Konsumentenbildung visualisieren. 

Und jetzt machen Sie die ­Augen wieder auf: Wollen Sie uns so sehen, mit welcher Konsequenz für Sie? Und wie steht es eigentlich um die entsprechenden (Bio-)Ausbildungs­optionen? Ich meine ja nur: Sie bewegt sich doch!

Zur Person
Anna Gredig ist Mitglied von Bio Grischun und Mitbewirtschafterin eines Landwirtschaftsbetriebs im Safiental. Dies ist ihr erster Beitrag für die Rubrik «Arena» im Regionalteil Ostschweiz/Zürich der BauernZeitung.