Ohne Bauern gäbe es wohl keinen Schwing- und Hornussersport. Diese Aussage mag etwas gewagt klingen, wer aber in den Archiven der Vereine und Clubs stöbert, stösst sehr bald mal auf Dokumente, welche diese Aussage unterstreichen. So schreiben beispielsweise die Hornusser Rüedisbach im Kanton Bern auf ihrer Website mit Blick ins letzte Jahrhundert: «Eine Krise der Aktiven gab es als die Zahl der Knechte in der Landwirtschaft zurückging und auch die Anzahl der Landwirte abnahm. Der Zusammenhalt in der Gesellschaft war jedoch so gross, dass sie bisher jede Klippe umschiffen konnten.»

Jahrhundertealter Schwingsport

Im Schwingsport sieht es nicht anders aus. Wie auf der Website des Eidgenössischen Schwing- und Älplerfests in Pratteln BL steht, werde seit Jahrhunderten in der Schweiz das Schwingen gelebt und gepflegt. «Abschliessend lässt sich nicht deklarieren, seit wann in der Schweiz junge Männer dieser Sportart nachgehen. Dies lässt sich soweit erklären, dass die Protokollierung dieser Schwingfeste oder schriftlichen Abfassungen von Ranglisten in der Vergangenheit keinen hohen Stellenwert genossen. Einzelne wenige Aufzeichnungen lassen aber vermuten, dass bereits im 10. Jahrhundert dieser urhelvetische Kampfform nachgegangen wurde», heisst es weiter.

Zweifel, dass diese Sportart durch Sennen und Älpler ausgetragen wurde, bestehe aber keineswegs. So habe diese Kampfform in den Regionen Berner Oberland, im Emmental und im Entlebuch, sowie in den Kantonen Schwyz, Appenzell und Ob- und Nidwalden insbesondere bei den verschiedenen Berufsgattungen der Landwirtschaft und dem traditionellen Handwerk einen grossen Stellenwert. Das erste Eidgenössische Schwing- und Älplerfest fand laut Aufzeichnungen 1895 in Biel statt.

Schwingsport ist Spitzensport geworden

Dass diese Sportarten im Bauernstand auch heute noch beliebt sind, lässt sich nicht bestreiten. Während das Hornussen ein einfacher Mannschaftssport mit wenig Budgetaufwand geblieben ist, hat sich der Schwingsport zum Spitzensport gemausert. Man spricht zwar immer noch von Amateuren, weiss aber, dass viele Schwinger nur noch einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen, wollen sie sich am Eidgenössischen einen Kranz aufsetzen lassen. Neben den Trainings fallen mittlerweile auch Sponsoren und Medientermine ins Gewicht.

Matthias Sempach und der Löwen Kernenried

[IMG 2]Während die städtische Bevölkerung dem Hornussen und Schwingen etwas weniger zugewandt ist, schlägt das Herz des Landes sehr laut für die Nationalsportarten. Und da wird auch gut und gerne etwas investiert, wie nachfolgendes Beispiel zeigt. «Ich weiss nicht, wie meine Karriere verlaufen wäre, wenn ich nur im Schwingkeller geübt hätte», sagt Matthias Sempach. Der Schwingerkönig von Burgdorf ist am vergangenen Samstag einer Einladung von Gody Schranz gefolgt. Zusammen mit vielen anderen Gästen – darunter auch Olympiasieger Hausi Leutenegger – hat Sempach 202 Jahre Gasthof Löwen im bernischen Kernenried gefeiert.

Hier hat Matthias Sempach zu Aktivzeiten unzählige Stunden verbracht. Nämlich auf der Wiese hinter dem Haus, wo der Wirt Land für einen Sägemehl-Ring zur Verfügung gestellt hat. Natürlich war Sempach nicht der einzige Schwinger, der hier zum Training kam. Er ist aber sicher, dass dieser Platz zu seinem Erfolg beigetragen hat. Mit ein Grund, weshalb heute im Löwen immer noch das legendäre Königs-Cordonbleu serviert wird. Neben dem feinen Menü ist auch ein Raum nach Sempach ernannt – die Sempach-Stube. Und es ist unter Aktiven längst kein Geheimnis – im Löwen Kernenried kehrt man gerne ein, denn hier gehe kein Schwinger hungrig raus, auch wenn sein Appetit noch so sehr dem eines Bären gleichkomme.

Bauern aus dem Dorf kommen

Die Dorfbeiz hat auch für die Bauern in der Umgebung einen hohen Stellenwert. So sind am Samstag auch Ruth und Matthias Stoll geladen. «Gody und die Beiz sind wichtig für unser Dorf», sagt Matthias Stoll. Er kommt regelmässig vor, während oder nach Sitzungen in den Löwen und gerne fragt er den Wirt um seine Meinung – denn daran scheint es Schranz auch nicht zu fehlen. Heute hat Stoll aber nur wenig Zeit zum Feiern. Er muss zum Hornussen, deren Ries in Sichtdistanz der Wirtschaft liegt. Gerne wäre er länger geblieben, hätte sich vom Feldschlösschen-Sechspänner ein Bier gegönnt, aber jetzt ruft die Freizeit-Pflicht – die Hornusserkollegen warten.

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Hans Gerber singt mit dem Jodlerchörli

Im blauen Hemd sitzt Hans Gerber am Tisch – Mooshof Hans, wie er auch gerne genannt wird. Als Gerber noch jung war, soll man ihm in einem Beratungsgespräch am heutigen Inforama gesagt haben, dass Betriebe wie jener, den er im Nachbardorf Zauggenried vom Vater übernehmen konnte, ein Auslaufmodell sei. Zu klein – fertig. Es wird übermittelt, dass Gerber in der Folge nie mehr zu einer Beratung ging. Stattdessen investierte er zusammen mit seiner Frau Kathrin in das Wachstum seines Hofes – mit Erfolg. Hans Gerber ist am Samstag mit dem Jodlerchörli Zauggenried-Kernenried in den Löwen gekommen – sie Jodler sorgen für Unterhaltung.

Aber auch zwischen den Ständchen verteilen sie sich an den Tischen und bringen ihre Geschichten zum Besten. Hier trifft Mooshof Hans auf den ehemaligen Gantrufer Alois Wyss. Sofort erinnern sich die beiden an die Zeiten, als sie auf dem Mooshof gemeinsam noch ein Kuhrennen angeboten haben. 20 Jahre sei es her, oder noch mehr. «Wir hatten keine Handys und telefonierten noch per Festnetz», erinnert sich der Landwirt. «Ich musste Wyss um 12.30 nach den Mittagsnachrichten anrufen, um ihn zu erreichen», erinnert sich Gerber. Rund 2000 Besucherinnen und Besucher hätten das Kuhrennen besucht, das der Gantrufer kommentierte. «Und natürlich hat das dem Schranz auch die Beiz gleich gefüllt», erzählt Gerber und lacht.

Das Rösselerwochenende ruft 

Aber auch Gerber steht auf, kaum fährt der Sechsspänner der Bierbrauerei auf den Platz. Die Pferde gastieren bei ihm. Auf seinem mittlerweile gewachsenen Betrieb, der den Schache-Märit in Lyssach und Burgdorf beliefert stehen neben Mastkälbern auch Pferde. 40? «Ungfähr», sagt Gerber und lacht. Auf dem Mooshof findet jedes Jahr im Juli traditionell das Rösselerwochenende statt. Neben einem Feldtest für Freiberger kommen die Fahrer auf ihre Rechnung. Der Grossanlass wird vom Pferdezucht- und Sportverein Burgdorf organisiert – im Lead Kapitän Gerber. «So, i muess ga», sagt er voller Tatendrang. Auf zwei Hochzeiten tanzen bereitet ihm keine Mühe, solange sie so nahe voneinander liegen, denn heute hat er ja ein Handy und muss nicht mehr auf die Mittagspause anderer warten.[IMG 3]

Da war doch noch Corona

Sie alle und noch viele mehr kamen, um 202 Jahre Löwen Kernenried zu feiern. Wieso 202 Jahre? Natürlich, da war ja noch dieser Käfer. «Kernenried sage ich so explizit, weil der Löwen und Kernenried unzertrennlich zusammengehören», sagte Stefan Schranz, Godys Sohn, der gekonnt durch den Nachmittag führte. Es sei auch ein Standortjubiläum des wunderschön und ideal gelegenen Dorfes - gegen Burgdorf durch den Wald und gegen Bern durch den Bantiger sei man hier etwas geschützt. So sei das zuweilen noch praktisch, wenn gewisse Entscheidungen aus Bern auf dem Weg nach Kernenried in der Bantiger-Antenne noch etwas Schwingung verlieren, bis sie sie ankommen.

Der denkmalgeschützte Löwen hatte sich schon vor zwei Jahren zum 200-Jahr-Jubiläum herausgeputzt, musste sich aber aufgrund der Coronapolitik in Geduld üben. «Das Warten in den schwierigen Monaten der für so einen Gasthof ungewöhnlichen Ruhe war nicht einfach, aber umso grösser ist die Freude heute, dass wir alle gemeinsam das Jubiläum feiern können», so Stefan Schranz.

Es wurde geschossen im Löwensaal

Dass sogar einmal geschossen wurde in der Löwen-Gaststube haben auch die beiden Bauern Matthias Stoll und Hans Gerber noch gehört, bevor sie sich am Samstag zu den Hornussern und zu den Pferden aufmachten. Sie mögen sich zwar nicht daran erinnern, aber könnten sich ob der aktuellen Lage sehr gut vorstellen, auch einmal daran beteiligt zu sein. «Ich würde alles direkt vermarkten, auch die Milch, wenn ich die Produktion nicht aufgegeben hätte», sagt Gerber, so wütend mache ihn die Situation zuweilen auf den grossen Märkten.

Stoll hat eine ähnliche Haltung. Er ist mit seiner Familie derzeit am Kartoffeln graben. Man müsse sie graben, wenn der Markt sie verlange, sagt seine Frau Ruth. Manchmal sei das eben auch am Sonntag der Fall. Da ist Teilzeitbeschäftigung, Auszeit und Chillen nicht gefragt. «Diese Begriffe treiben mich manchmal zur Weissglut», sagt Stoll – auch er hält wenig vom Nichtstun und Konsumieren. Sogar ihre Freizeit geben sie her, denn eigentlich wären beide am Samstag gerne noch etwas im Löwen Kernenried geblieben.