Das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest (ESAF) 2025 in Mollis hat nicht nur einen neuen Schwingerkönig hervorgebracht, sondern auch eine Welle an Diskussionen ausgelöst, die weit über den Sport hinausreichen. Statt uneingeschränkter Freude über den gelungenen Mammutanlass dominieren kritische Stimmen die öffentliche Debatte. Warum ist das so?

Die Antwort liegt in der menschlichen Natur und der Kultur des Schwingens. Der Schwingsport lebt von Emotionen, Traditionen und dem Glauben an die Fairness der Entscheidungen. Als Armon Orlik zum Schwingerkönig ausgerufen wurde, obwohl er nicht im Schlussgang stand, fühlten sich einige Zuschauer von der gewohnten Ordnung überrumpelt. «Zum ersten Mal ein König, der nicht im Schlussgang stand», war ein häufig gehörter Kommentar. Doch das stimmt nicht. Am ESAF 1926 in Luzern wurde Henri Wernli aus Genf zum Schwingerkönig gekrönt. Der Schlussgang endete unentschieden, was zu Diskussionen über die Vergabe des Königstitels führte. Aus der Unzufriedenheit über diese Entscheidung entstand 1927 der erste Kilchberger Schwinget als exklusive Alternative zum ESAF. Heute wird die Debatte über Titelvergabe und Fairness im Schwingen zwar etwas anders geführt – nämlich unter Einbezug einer grossen Zuschauertribüne – doch die historische Verbindung zeigt, dass es inhaltlich 100 Jahre später nicht wirklich anders ist.

Das Vertrauen ist erschüttert

Doch die Kritik geht über die Frage der Tradition hinaus. Verschiedene Fehlentscheide während des Festes haben das Vertrauen in die Unfehlbarkeit der Kampfrichter erschüttert. Beispielsweise wurde im Duell zwischen dem Südwestschweizer Romain Collaud und dem bis zum letzten Sonntag amtierenden Schwingerkönig Joel Wicki von vielen Beobachtern ein klarer Sieg für Wicki gesehen. Doch die Kampfrichter entschieden anders. Solche Entscheidungen werfen Fragen auf und nähren die Diskussion über die Einführung eines Video Assistant Referee (VAR) im Schwingsport. Laut einer Umfrage bei «Nau.ch» wünschen sich 60 % der Leser einen VAR, um strittige Entscheidungen objektiver überprüfen zu können.

Der Technische Leiter Stefan Strebel äusserte sich dazu, dass die Einführung eines VAR im Schwingsport aufgrund des logistischen Aufwands und der möglichen Beeinträchtigung der Emotionen während des Wettkampfs schwierig umzusetzen sei. Er betonte, dass der Schwingsport eine «Fehlerkultur» pflege und Fehler ein Teil des Spiels seien. Diese Haltung stösst jedoch nicht überall auf Zustimmung. Viele Schwingfans und auch einige Schwinger selbst plädieren für eine Modernisierung und die Einführung technischer Hilfsmittel.

Geschlossene Front der Ostschweizer

Abo Armon Orlik in der Menge. Der neue Schwingerkönig hat dem Erreichen dieses Titels alles untergeordnet. Nun ist er am Ziel angekommen.  Schwingen «Wir sind unglaublich dankbar», sagt der Vater des neuen Schwingerkönigs Armon Orlik Donnerstag, 4. September 2025 Ein weiterer Aspekt, der in der Diskussion dann eher übersehen wird, ist der Teamgeist im Schwingsport. Vielleicht wäre er aber der allerwichtigste. Während die Berner nach dem enttäuschenden Ausgang des Festes vereinzelt emotional reagierten, zeigte die Ostschweizer Mannschaft eine geschlossene Front. Armon Orlik, als integraler Bestandteil dieses Teams, profitierte nicht nur von seiner individuellen Leistung, sondern auch von der Unterstützung und dem Zusammenhalt seines Teams. Dieser Teamgeist könnte ein Schlüssel zum Erfolg sein.

Das Motto der Berner Schwinger heisst: «Zäme simer starch» – doch nach dem für sie enttäuschenden Ausgang des ESAF wirkte das Motto etwas leer. Statt als geschlossene Mannschaft aufzutreten, zeigten die Berner eine eher aufgelöst wirkende Gruppe. Sie nahmen ihre Kollegen nicht aus dem Ring entgegen, jeder schien mit seiner eigenen Enttäuschung beschäftigt.

Fabian Staudenmann, der Favorit, kämpfte mit den Tränen, als klar wurde, dass der Königstitel, womöglich aufgrund eines Fehlentscheids, ausser Reichweite liegt. Michael Moser, der beste Bauer des Fests, sass erschöpft und allein im Gras – stolz auf die eigene Leistung, aber ohne die Sicherheit eines geschlossenen Teams. Dieses Bild steht in scharfem Kontrast zu dem, was der Spruch «Zäme simer starch» suggeriert: Dass gemeinsame Stärke aus Zusammenhalt und Rückhalt entsteht.

Nicht vergessen, was funktioniert

Abschliessend stellt sich nun die Frage: Lohnt es sich wirklich, von aussen so intensiv zu kritisieren? Natürlich ist es wichtig, Entscheidungen zu hinterfragen und Verbesserungen anzustreben. Doch sollte dabei nicht vergessen werden, was alles funktioniert hat. Über 1,5 Millionen Menschen wurden von diesem Fest begeistert, sowohl vor Ort in Mollis als auch vor den Fernsehern. Vielleicht ist es an der Zeit, die Diskussionen über Fehlentscheide hinter sich zu lassen und sich auf das zu konzentrieren, was den Schwingsport ausmacht: Gemeinschaft, Fairness und die Freude am Wettkampf. In einer Welt, die zunehmend von Technologie und Effizienz geprägt ist, könnte der Schwingsport ein Symbol für die Bewahrung von Traditionen und menschlicher Nähe sein. Vielleicht liegt gerade darin seine Zukunft.