Neben verschiedenen Honigbienenrassen gibt es in der Schweiz über 600 Wildbienenarten. Der Imker-Dachverband Bienen Schweiz machte anlässlich des Tags der Bienen am 20. Mai auf deren Vielfalt aufmerksam und lancierte die Wahl zur Biene des Jahres. Im Zuge dessen stellt Bienen Schweiz die Kandidatinnen vor, die für unterschiedliche Gruppen innerhalb der vielgestaltigen Wildbienen stehen.

Pelzige Bodennisterin

Feine Erdkrümel in der Fuge zwischen zwei Gartenplatten und in der Mitte ein kreisrundes, kleines Loch – hier könnte die Aschgraue Sandbiene am Werk gewesen sein. Sie ist schwarz, mit grau-weissem Pelz. Das Weibchen trägt einen schwarzen Bruststreifen, das Männchen hat dagegen ein weisshaariges Gesicht. Als Bodennister sucht sich diese Art offene, sonnige Bodenstellen und gräbt mehrere Zentimeter tiefe Nester, die oft zu mehreren Hundert beieinander liegen. So bilden Aschgaue Sandbienen zwar eine Kolonie, aber keinen Staat wie Honigbienen, der sich durch Arbeitsteilung und eine Königin als einzigem geschlechtsreifen Individuum auszeichnet.

Weder was den Boden fürs Nest noch ihre Futterpflanzen angeht, ist die Aschgraue Sandbiene wählerisch. Sie hat aber eine Vorliebe für Löwenzahnpollen. Diese Flexibilität hat dazu beigetragen, dass sie derzeit in der Schweiz nicht als bedroht gilt.

Für viele andere bodennistende Wildbienen – zu der mehr als die Hälfte aller heimischen Wildbienenarten gehört – trifft das Gegenteil zu: Jede zweite Art ist gefährdet. Bei den oberirdisch nistenden Wildbienen sind hingegen «nur» rund 32 Prozent gefährdet sind. Bienen Schweiz bezeichnet die Aschgraue Sandbiene daher als Vertreterin einer «oft übersehenen, stark bedrohten Gruppe». Diesen Insekten nützen künstliche Nisthilfen («Insektenhotels») nicht, sie sind auf offene Bodenstellen angewiesen.

«Wattebausch fürs Kinderzimmer»

Sie heisst zwar Grosse Wollbiene, selbst ist sie aber nicht halb so wollig wie die Aschgraue Sandbiene. Ihrem Namen wird diese Wildbienenart trotzdem mehr als gerecht, denn sie sammelt die Härchen verschiedener Pflanzenarten, um damit ihr Nest auszupolstern. Der Imkerverband spricht bildhaft von einem «Wattebausch fürs Kinderzimmer», mit dem das Insekt unterwegs ist. Gute Quellen dafür sind etwa Wolliger Ziest, Quitten oder Königskerzen, deren Flausch die geflügelten Innendekorateurinnen in Hohlräumen wie Erdlöchern oder Felsspalten zu kunstvollen Nestern formen. Das funktioniert auch in morschem Holz, alten Türschlössern, Eisenrohren oder den verlassenen Nestern anderer Bienen.

Ziest-Arten dienen der Grossen Wollbiene auch als Futterpflanzen, ebenso andere Lippenblütler oder Hornklee. Da die Art anpassungsfähig und daher in Gärten und Städten erfolgreich ist, stehen die Chancen gut, sie zu Gesicht zu bekommen. Erkennbar ist die Grosse Wollbiene an den gelben Streifen am Hinterleib, die in der Mitte unterbrochen sind. Damit erinnert diese Wildbiene an eine Wespe und ist auch ähnlich wehrhaft. Die Männchen tragen Dornen am Hinterleib, patrouillieren durch Blumenbeete und verjagen Eindringlinge, «sogar Hummeln oder Schmetterlinge», schildert Bienen Schweiz.

Maskiert und stark spezialisiert

Die Dritte im Bunde der nominierten Wildbienenarten ist die Reseden-Maskenbiene. Sie ist mit 7–9 mm kleiner als die Aschgraue Sandbiene (10–15 mm) und die Grosse Wollbiene (10–16 mm). Die namensgebende Maske in Form einer weissen Gesichtszeichnung trägt nur das Männchen. Die strenge Beschränkung der Reseden-Maskenbiene auf Pflanzen der Gattung Reseda ist beim Erkennen dieser Wildbienenart allerdings hilfreich. Reseden sind als schmucke und wohlriechende Gartenblumen beliebt sowie beispielsweise in Wildformen an Wegrändern und auf Schuttplätzen anzutreffen. Nur mit Pollen dieser Pflanzen können Reseden-Maskenbienen ihren Nachwuchs versorgen.

Flexibler zeigt sich dieser Wildbienen-Winzling beim Wohnen und nutzt verlassene Käferfrassgänge ebenso wie alte Mauerfugen, Brombeer- oder Rosenstängel sowie gelegentlich künstliche Nisthilfen. «Totholz und offene Lehmflächen bieten der Art ebenso ein Zuhause wie sonnige Ruderalstellen, Bahndämme oder naturnahe Gärten», schreibt Bienen Schweiz. Reseden-Maskenbienen sind hierzulande trotz ihrer ernährungstechnischen Spezialisierung nicht gefährdet.

Andere Arten, die auf weniger verbreitete Pflanzengattungen oder -familien als Pollenlieferanten für ihren Nachwuchs angewiesen sind, finden hingegen seltener einen passenden Lebensraum. Rund ein Drittel der heimischen Wildbienenarten ist gemäss Bienen Schweiz auf diese Weise spezialisiert, über die Hälfte von ihnen gelten als gefährdet.

Hier geht es zur Abstimmung über die Biene des Jahres

Die Mischung machts

Die Biene des Jahres wird eine Botschafterin für alle Wildbienenarten, die als Bestäuber zusammen mit Honigbienen eine wichtige Rolle spielen. Rund die Hälfte der Bestäubungsleistung werde Honigbienen zugeschrieben, den Rest übernehmen Hummeln, andere Wildbienen, Schwebfliegen, Käfer und Wespen, hält der Imkerverband fest. Zahlreiche Gemüse-, Obst- und Beerensorten sind ganz oder teilweise auf Insekten als Bestäuber angewiesen, die Ertrag und Qualität der Ernte verbessern können. Dank ihnen werden z.B. Erdbeeren stärker gefärbt, schwerer, fester und länger haltbar. Gut bestäubte Äpfel seien ebenfalls grösser und aufgrund eines höheren Kalziumgehalts haltbarer.

Verschiedene Pflanzenarten profitieren von unterschiedlichen Bestäubern, die sich beim Tragen schwerer oder leichter Pollen und in ihrer Flugaktivität ergänzen. Ihre Ansprüche an Futterpflanzen und Nistmöglichkeiten machen den Erhalt der Wildbienenvielfalt schwierig – sorgen aber auch für Win-win-Situationen.