LID: Die Burnout-Gefährdung ist gemäss Ihrer Studie in der Landwirtschaft doppelt so hoch wie in der übrigen Gesellschaft. Ist das alarmierend?

Linda Reissig*: Ich würde nicht sagen, dass es alarmierend ist, aber die Studie zeigt, dass Burnout ein ernstzunehmendes Thema in der Landwirtschaft ist.

Haben die Resultate Sie überrascht?

Ich habe erwartet, dass die Burnout-Gefährdung in der Landwirtschaft höher liegt, aber dass sie so hoch ist, habe ich nicht gedacht.

Warum sind Bäuerinnen und Bauern stärker Burnout-gefährdet?

Grundsätzlich gilt: Für ein Burnout sind immer mehrere Faktoren verantwortlich, es gibt nicht nur den einen Grund. Die enge Verzahnung von Familie und Betrieb ist beispielsweise ein spezifisch landwirtschaftlicher Faktor.

Auf einem Bauernhof sind Wohnen und Arbeiten weniger abgegrenzt als in der übrigen Bevölkerung. Zudem wohnen häufig mehrere Generationen unter einem Dach. Das kann zu Konflikten führen und damit ein Risiko für die Entstehung von Burnout darstellen.

Auf der anderen Seite kann diese Konstellation auch vor einem Burnout schützen, wenn es rundläuft.
Wir haben festgestellt, dass es weniger spezifisch landwirtschaftliche Gegebenheiten sind, die zu einem Burnout führen, sondern Faktoren, die auch bei der übrigen Bevölkerung für ein Burnout sorgen.

Zum Beispiel?

Einer der grössten Risikofaktoren sind die Finanzen. Weitere Faktoren sind Zeitdruck oder Freizeitmangel, die ebenfalls ein Burnout begünstigen können.

Gibt es Betriebszweige, bei denen die Gefahr eines Burnouts besonders gross ist?

Wir haben erwartet, dass bei der Milchwirtschaft die Gefahr eines Burnouts am grössten ist. Die Studie hat zwar gezeigt, dass Milchbauern tatsächlich etwas häufiger betroffen sind, statistisch ist der Zusammenhang aber nicht signifikant. Auch die Betriebsgrösse spielen tendenziell kaum eine Rolle punkto Burnout.

Wie sieht es beim Geschlecht aus, sind eher Männer oder Frauen betroffen?

Frauen sind häufiger von einem Burnout betroffen. Das ist aber nicht aussergewöhnlich, denn auch in der übrigen Bevölkerung leiden Frauen häufiger an einem Burnout. Warum das so ist, darüber streitet sich die Forschung.

Gab es überraschende Befunde?

Wir gingen davon aus, dass Landwirte, die gleichzeitig einen Landwirtschaftsbetrieb führen und auswärts arbeiten, stärker Burnout-gefährdet sind. Es hat sich aber gezeigt, dass diese Doppelrolle eher einen Schutzfaktor ist, also vor einem Burnout schützt. Gründe dafür müssen näher erforscht werden.

Wie können Landwirte/Landwirtinnen einem Burnout vorbeugen?

Hauptproblem ist, dass Burnout-Symptome oft lange nicht erkannt werden bzw. erst dann, wenn die Erkrankung bereits fortgeschritten ist.

Ich rate allen Landwirtinnen und Landwirten, ein Auge auf die eigenen Ressourcen zu haben und die eigenen Grenzen zu akzeptieren. Burnouts entwickeln sich schleichend; es fängt an mit Stress, mit Schlafstörungen und wächst sich dann aus.

Wird ein Burnout frühzeitig erkannt, gibt es viele Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Als wichtig erachte ich es, dass Bauernfamilien die eigene Belastbarkeit mitdenken, wenn Entscheide auf dem Betrieb anstehen.

Grundsätzlich hoffe ich, dass das Thema Burnout künftig mehr Beachtung findet in der Landwirtschaft.

Braucht es spezifische Beratungsangebote für die Landwirtschaft?

Ich denke nicht, dass eigens für die Landwirtschaft ein entsprechendes Angebot geschaffen werden muss. Es existiert bereits ein breites Angebot, das auch die Landwirte in Anspruch nehmen können.

Wünschenswert wäre sicherlich, wenn die landwirtschaftliche Beratung das Thema im Auge behält und Bauern darauf aufmerksam macht, wenn sie Gefahr laufen, in ein Burnout zu geraten.

Was war der Anlass für die Studie?

Bislang gab es keine empirischen Studien zum Thema Burnout in der Landwirtschaft. In Bezug auf die psychische Gesundheit ist die Landwirtschaft eine Blackbox.

Michael Wahl, LID

*Studienautorin Linda Reissig arbeitet bei der Forschungsanstalt Agroscope in der Gruppe Sozioökonomie. Die Diplombiogeografin beschäftigt sich seit Jahren mit sozialen Fragen in der Landwirtschaft. Ende 2017 schliesst Reissig ein Zweitstudium in klinischer Psychologie ab.