Hamsterrad oder (gut geschmiertes) Zahnrad? Dieser Vergleich, der die Frage nach der Work-Life-Balance versinnbildlicht, stand für das Motto des dritten Profimilktags. Dieser fand am Dienstag im thurgauischen Tänikon statt, organisiert von den Thurgauer Milchproduzenten (TMP) und der Genossenschaft Vereinigte Milchbauern Mitte-Ost (VMMO). 

Es ist ein Zusammenspiel aller

Anwesend waren über 100 Personen aus der Milchwirtschaft, darunter zahlreiche Paare. Das Hamsterrad ist für viele ein Thema: «Auf einem Milchviehbetrieb herrscht ein ständiger Rund-um-die-Uhr-Betrieb. Die Bauernfamilien stellt dies vor besondere Herausforderungen», hielt TMP-Präsident Daniel Vetterli fest. Um in einem solchen Alltag eine Balance zwischen den verschiedenen Ansprüchen und Bedürfnissen zu finden, brauche es ein Zusammenspiel aller Beteiligter, sowohl mit den Familienmitgliedern wie auch mit den Angestellten. Dazu könne es inspirierend sein, so Vetterli, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen. 

AboAus der Beratungspraxis«Es ist wichtig, die eigenen Bedürfnisse zu kennen», sagt Paarcoach Cornel RimleSonntag, 11. Juni 2023 «Arbeit ist nicht grundsätzlich belastend», sagte Marc Vuilleumier, seit rund 30 Jahren als Berater in der Landwirtschaft tätig. So könne es Freude machen, sich zu verwirklichen, etwas auf die Beine zu stellen. Im Hamsterrad zu treten, bedeute demnach häufig, dass man eigentlich gern, aber eben zu viel arbeite. Bei Landwirt(innen) komme erschwerend dazu, dass sich Arbeit und Familienleben meistens am selben Ort befänden. Dabei alles unter einen Hut zu bringen, sei nicht einfach, so Vuilleumier.

Beeile Dich! Sei stark! Sei perfekt!

Der Frage, welches die grössten Belastungen von Landwirtinnen und Landwirten sind, ging 2021 eine Umfrage der Ostschweizer Fachhochschule OST nach. Dabei gaben zwei Drittel der Befragten an, im Alltag belastende Situationen bis an die persönliche Grenze zu erleben. Als besondere Bürden wurden der ­Arbeitsdruck und die langen ­Arbeitszeiten genannt. Weitere Faktoren sind laut der Studie ­unter anderem rechtliche Vorschriften, administrative Aufgaben sowie der Erwartungsdruck der Gesellschaft.

Dazu kommen laut Marc ­Vuilleumier weitere Herausforderungen. Beispiele sind: 

Sicherheit: Keine Altersvorsorge vorhanden.

Erwartungen: Hohe familiäre ­Erwartungen an den Hof­nachfolger.

Konflikte: Unklare Grenzen zwischen den Generationen.

Feedback: Mangel an Wertschätzung, wenig Lob.

Zukunft: Keine Perspektiven (z. B. kein Nachfolger da).

Arbeitsweise: Sich zu sehr verzetteln.

Innere Antreiber: Sei stark! Beeil dich! Sei perfekt! Der Drang, es allen recht machen zu wollen.

Betriebsgrösse: Viele Betriebe kommen auch an den Anschlag, weil sie zu gross sind.

Es bleibt immer ein Spagat

«Jeder von uns hat Strategien entwickelt, die bis anhin zum Überleben des Betriebs und der Familie beigetragen haben», sagte Marc Vuilleumier. Gewohnheiten würden zudem häufig Sicherheit vermitteln. Doch nicht alle seien auch zielführend. Deshalb sei es sinnvoll, sich die eigene Situation genauer anzuschauen und Fragen zu stellen. Beispielsweise, welches die eigenen Bedürfnisse sind, ob man ihnen im eigenen Alltag gerecht wird. Auch helfe es, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen: Gab es eine Zeit, wo es besser gelaufen ist? Und falls ja, lässt sich daraus etwas zurückgewinnen? 

Um Herausforderungen zu meistern, lassen sich zudem Stärken nutzen. «Wer beispielsweise eine Familie hat, kann sich gegenseitig unterstützen», so der Coach. Sein Fazit: Der Mensch könne auch Zeiten erhöhter ­Anstrengung aushalten, solange ein Gleichgewicht zwischen ­Anspannung und Entspannung bestehe. Eine gute Balance zwischen Betrieb und Familie zu finden, bleibe jedoch ein Spagat. «Es braucht Mut und Geduld, die Komfortzone zu verlassen», sagte Vuilleumier abschliessend. «Am besten, man beginnt mit kleinen Schritten.» Und nicht zuletzt: Stellen sich Erfolge ein, dürften diese auch gefeiert ­werden.

Zeit füreinander haben
Adrian (46) und Nicole (43) Manser bewirtschaften in Gossau SG einen Biobetrieb mit 36 Milchkühen, 16 Mutterschafen sowie 2000 Legehennen. Ihre Kinder sind zwischen 13 und 17 Jahre alt. Zum Betrieb gehören auch ein Lernender und ein Angestellter, der sich zum Meisterlandwirt weiterbildet. Ebenfalls hilft der Vater des Betriebsleiters Teilzeit auf dem Hof mit. Der älteste Sohn Noah ist derzeit in der Lehre zum Landwirt. Seine Gesundheit ist keine Selbstverständlichkeit: Mit dreieinhalb Jahren erkrankte er an Leukämie. «Das Vorhaben, in den Betrieb zu investieren, war damals auf einmal dahin», erzählte Adrian Manser. «Alle Prioritäten lagen nun bei den Kindern». Das hat das Betriebsleiterpaar bis heute geprägt. Die Familie hat ihren eigenen Weg zur Zufriedenheit gefunden. Heute ist es ihr vor allem wichtig, Zeit füreinander zu haben. Dazu nimmt sie höhere Personalkosten in Kauf. Wichtig sind auch ein respektvoller Umgang untereinander, ehrliche Freundschaften und die Pflege vielseitiger Interessen. «Ferien brauchen wir dagegen nicht», sagte Manser. «Das heisst aber nicht, dass das auf andere Bauernfamilien ebenfalls zutrifft.»

Kleine Rituale im Alltag
Salomé Tschumper-Wagner (40) aus dem sankt-gallischen Necker bewirtschaftet zusammen mit ihrem Mann Felix (42) einen Bio-Bergbetrieb mit 25 Milchkühen, Aufzucht und Schafhaltung. Sie ist nicht nur Mutter von drei Kindern zwischen 7 und 12 Jahren, Hausfrau und Landwirtin, sondern auch in weiteren Rollen tätig: zum Beispiel als Agronomin, Buchhalterin, Lehrmeisterin und Verwaltungsrätin. «Das Hamsterrad kenne ich gut», sagte Tschumper. «Dabei renne ich grundsätzlich gerne». Doch besonders wenn in verschiedenen Bereichen hohe Prioritäten gesetzt seien, nehme der Stress überhand. Ein schwerer Unfall ihres Mannes vor anderthalb Jahren verschärfte den Arbeitsdruck für eine Weile. Doch die Landwirtin fand einen Weg aus dem Hamsterrad: «Wichtig ist, dass ich mich mental mit meiner Situation auseinandersetze». Sie vertraue auf sich selbst und lenke ihre Aufmerksamkeit auf das Positive. Sie lege zudem Wert auf vier gemeinsame Mahlzeiten am Familientisch und schätze auch kleine Rituale wie einen guten Kaffee zwischendurch. «Ausserdem ist es wichtig, delegieren zu können und auch mal fünfe gerade sein zu lassen.»

Bewährte Zusammenarbeit
Peter Suter (60) und seine Frau Helen sind Teil der Betriebsgemeinschaft Schorenplus im aargauischen Mühlau. Darin sind drei Betriebe integriert, mit sieben Mitgliedern, welche in unterschiedlichen Pensen für die Betriebsgemeinschaft arbeiten. Zum Team gehören ausserdem zwei Lehrlinge. Der Betrieb mit 150 Milchkühen und rund 3900 Legehennen verfügt über verschiedene Standorte in der Region mit einem hohen Pachtlandanteil. «Zusammenarbeit war für uns schon immer wichtig», stellte der Milchbauer fest. «Sie bringt eine breite Palette an Fähigkeiten und Interessen mit sich, auch wenn die Entscheidungswege manchmal lang sind.» Dazu gehört auch, dass man die Beziehungen untereinander pflegt und regelmässige Sitzungen abhält. Ferien und Freizeit haben ebenfalls Priorität. Ihm sei es wichtig, so Peter Suter, andere Ansichten zuzulassen und auch mal über sich selbst lachen zu können. Zudem betonte er: «Wenn ich meine Stärken und Schwächen erkenne, trägt das zum Erfolg bei». Nicht zu vergessen sei ausserdem: Lob und Wertschätzung kehren zu einem zurück.

Veränderungen auf allen Ebenen
Coach Marc Veuillemier und Christine Heller, Beraterin am Arenenberg, gaben konkrete Tipps zur Verbesserung der Work-Life-Balance: 
Erschöpfung: Warnsignale auf körperlicher, emotionaler und gedanklicher Ebene ernst nehmen. Dies ist oft schwierig, weil man es lange nicht wahrnimmt oder nicht wahrnehmen will (z. B. zunehmende Reiz­barkeit).
Finanzielle Sicherheit: Vorsorge regeln, Transparenz und gesunde Arbeitsbelastung für alle schaffen.
Rückblick: Sich einmal pro Jahr Zeit nehmen, um das vergangene Jahr zu analysieren und das Unternehmen zu durchleuchten.
Gespräche: Gemeinsam in Ruhe strategische Fragen besprechen.
Verständnis: Anerkennen, dass mein Gegenüber andere Ansichten haben darf.
Aufgabenverteilung: Aufgaben auf dem Betrieb mehr nach Kompetenzen als nach Hierarchie verteilen.
Pausen: Pausen einlegen, freies Wochenende oder Tagesausflüge einplanen, Hobbys pflegen.
Zielsetzung: Kleine Schritte festlegen, Ziele positiv formu­lieren.