Unter der Bezeichnung «Projekt Largo» strebt das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) eine Totalrevision des Schweizer Lebensmittelrechts an. Dabei soll auch die Verordnung über Lebensmittel tierischer Herkunft einer Revision unterzogen werden.

Im aktuellen Entwurf, über den der Bundesrat laut BLV noch vor Ende des Jahres entscheiden will, ist vorgesehen, drei bestimmte Insektenarten als Lebensmittel zuzulassen.

«Wenn Largo in Kraft tritt», so Mirjam Hofstetter vom Schweizer Bauernverband (SBV), «haben wir die paradoxe Situation, dass für den Menschen einige Insekten als Lebensmittel zugelassen sind, für Nutztiere als Futtermittel hingegen nicht.» Für den SBV jedoch «könnten Insekten und Insektenproteine als Futtermittel durchaus interessant sein.»

Ökonomisch und Ökologisch sinnvoll

An erfolgreichen Versuchen fehlt es nicht, beim Tierfutter wegzukommen von Nahrungsmitteln, die – etwa Soja - für den Menschen wertvoll sind, und stattdessen Proteine aus Insektenlarven als Vieh- oder Fischfutter einzusetzen.

Sowohl ökonomisch als auch ökologisch und mit Blick auf die Bekämpfung des Welthungers werden solche Bestrebungen als sinnvoll erachtet. Niemand opponiert denn auch gegen den Einsatz von Insekten als Futtermittel, doch die Gesetze sprechen noch dagegen.

Gesetze, die in einer Zeit erlassen wurden, als noch niemand auf die Idee gekommen wäre, Insekten zu verfüttern oder gar zu essen. Die Versuche in Europa scheiterten bisher denn auch oft an irrwitzig anmutenden Spitzfindigkeiten.

Gliederfüssler als Nutztiere

Werden Insekten zum Verzehr oder zur Verfütterung gezüchtet, gelten die Gliederfüssler selber als Nutztiere, und da fangen die Probleme bereits an: Weil tierische Bestandteile seit dem BSE-Skandal nicht mehr an «Nutztiere» verfüttert werden dürfen, können einerseits Küchenabfälle nicht als Futter für Insektenlarven eingesetzt werden, anderseits ist es verboten, Insektenproteine an Hühner zu verfüttern.

Diese Erfahrung musste auch Heinrich Katz von der Firma Hermetia in Brandenburg machen, einem der Pioniere in der Zucht von Insekten. Im Weiteren müssen Nutztiere in einem Schlachthaus geschlachtet werden, wo sich keine Insekten aufhalten dürfen.

Aber: Erstens sind Insekten ja schon selber welche, und zweitens können Fliegen im Sinne des Gesetzes nicht «geschlachtet» werden, weil «schlachten» per Definition heisst: «Blutentzug bei Wirbeltieren.»

Unklare Zuständigkeiten

Dass es in der Schweiz wahrscheinlich bald erlaubt sein wird, unter gewissen Bedingungen Insekten als Lebensmittel für Menschen anzubieten, nicht aber solche als Viehfutter zuzulassen, hängt damit zusammen, dass die Schweiz in der Gestaltung des Lebensmittelrechts über eine gewissen Autonomie verfügt, dass sie aber beim Viehfutter durch die bilateralen Verträge an die Gesetzgebung der Europäischen Union (EU) gebunden ist.

Der EU-Gesetzesapparat aber, so Urs Fanger von der Firma Entomos, die sich seit Jahren mit der Zucht von Insekten befasst, sei sehr komplex aufgebaut, und ein Gesetz zu ändern, sei auch deshalb schwierig, weil jedes EU-Mitglied ein Mitspracherecht habe.

Auch in der Schweiz nicht ganz klar

Am Rande sei allerdings erwähnt, dass die rechtliche Situation selbst in der Schweiz nicht klar scheint: So betonte das BLV gegenüber dieser Zeitung anfänglich, für diese Frage sei das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) zuständig, wogegen dieses wissen liess: «Die Frage, ob ein Insekt als Futtermittel zugelassen wird, muss das BLV beantworten.

Erst wenn das Insekt als Futtermittel zugelassen würde, kämen wir ins Spiel. Wir sind für die technischen Fragen zuständig, also etwa in welchen Mengen, als Ersatz für was das Futtermittel eingesetzt werden kann.»

Es braucht mehr Forschung

Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) führte im Mai ein Symposium durch zum Thema «Insekten als Lebens- und Futtermittel - Nahrung der Zukunft?» Dabei wurde festgestellt, dass es bisher kaum Untersuchungen zur toxikologischen und mikrobiologischen Sicherheit von Insekten gebe. Es bestehe deshalb ein «erheblicher Forschungsbedarf».

Auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ruft nach weiteren Untersuchungen, geht aber davon aus, dass die möglichen Gefahren bei Insektenprotein für Mensch und Umwelt nicht grösser seien als bei herkömmlichen Proteinquellen.

Laut einer repräsentativen BfR-Befragung akzeptiert eine Mehrheit der Bevölkerung den Einsatz von Insekten als Futtermittel. Die unklare Regulierung in der EU wird jedoch als Nachteil betrachtet.

Bewilligung für Versuch mit Fliegenlarven

Während der Einsatz von Insekten als Futtermittel in der EU wie in der Schweiz generell verboten ist, werden doch gelegentlich unter bestimmten Auflagen Bewilligungen für spezielle Versuche erteilt. So hatte die Genfer Firma Entomeal vor einem Jahr gross angekündigt, in Kerzers FR Fliegenlarven zu züchten, die sich von den Abfällen der Seeländer Gemüseproduktion ernähren sollten.

Die zu Mehl verarbeiteten Larven wären anschliessend als Fischfutter verwendet worden. Das Interesse in der Region war gross, allerdings haben die Behörden seit Monaten nichts mehr von Entomeal gehört und auch die Fragen dieser Zeitung blieben unbeantwortet.

Als Hundefutter zugelassen - als Fischfutter verboten

Bereits 2013 erfolgreich abgeschlossen wurde ein dreijähriges Projekt des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) in Frick AG: Auch hier war es darum gegangen, aus dem Mehl von gezüchteten Fliegenlarven Fischfutter zu gewinnen.

Die Fütterungsversuche von Forellen seien geglückt; bis zu 50 Prozent des sonst üblicherweise verwendeten Fischmehls hätten auf diese Weise durch Fliegenmehl ersetzt werden können. Gemäss seinen Berechnungen, sagte der Forschungsleiter Andreas Stamer damals, könnte die Insektenzucht industriell gewinnbringend betrieben werden.

Herkömmliches Fischmehlfutter günstiger

In Bezug auf die Rentabilität ist Urs Fanger von Entomos in Grossdietwil LU vorerst allerdings weniger optimistisch: Zwar werde es in Ausnahmefällen erlaubt, Fliegenlarven versuchsweise in der Fischzucht einzusetzen, doch erstens seien die Auflagen sehr streng - so dürften sich die Insekten nur durch rein pflanzliche Produkte wie Gemüseabfälle ernähren -, anderseits sei der Preis des herkömmlichen Fischmehlfutters - in der Regel gewonnen aus dem «Beifang» der Hochseefischerei - auf dem Markt viel tiefer als der Preis für das entsprechende Quantum Mehl aus Fliegenlarven.

Das Hauptproblem aber sieht auch Urs Fanger im bestehenden generellen Verbot. Paradoxerweise dürften Insekten zwar problemlos dem Hunde- und Katzenfutter beigemischt werden - was Fanger begrüsst -, doch bei Fischen und Geflügel brauche es eine Ausnahmebewilligung, obwohl doch eigentlich Insekten die natürliche Nahrung von Geflügel und Fischen darstellten.

Martin Leutenegger/lid