In schwierigen Situationen schwindet der Handlungsspielraum. Die Einen kämpfen. Andere resignieren. Und dann gibt es noch den Weg zu und durch Gott. Diesen Weg beschreiten laut der Bauernkonferenz-Bewegung immer mehr Schweizer Bäuerinnen und Bauern. Warum eigentlich?

Das Gespräch mit Werner Hostettler, Maja und Fritz Kobel findet am Gründonnerstag in der Stube von Kobels statt. Alle drei sind aktive Mitglieder einer Bauerngebetsgruppe. Während draussen der Frühling anklopft, stehen drinnen selbstgemachte Nussgipfel, Kaffee und ein paar frisch geschnittene Tulpen auf dem Tisch. Maja Kobel setzt sich ebenfalls an den Tisch, nachdem sie den Kaffee serviert hat.

Was ist Religion für Sie?

Fritz Kobel: Religion an sich bedeutet mir nichts. Denn Religion ist nur ein Überbegriff für verschiedene Glaubensrichtungen. Von Bedeutung hingegen sind die christlichen Werte. Die entscheidenden Werte kommen von Gott, durch die Bibel. Das kann man gerade an Ostern sehr gut sehen.

Werner Hostettler: Ostern ist eine wunderbare Befreiung. Jesus ist damals auferstanden und gibt uns bis heute Kraft für das, was wir jeden Tag zu tun haben.

Es ist also kein Zufall, dass Landwirte gemäss der Bauernkonferenz immer öfter den Weg zu Gott suchen?

Fritz Kobel: Dass Landwirte die Nähe zu Gott suchen, dürfen wir tagtäglich erleben. Wir sind sehr nahe an Gottes Schöpfung und erleben die Vielfalt der Natur, die von Gott geschaffen wurde. Es ist für mich als Landwirt einfach eine Freude, wie es jeden Frühling wieder zu spriessen, zu wachsen und zu blühen beginnt.

In den letzten Wochen war es ungewöhnlich trocken. Ist es auch Gottes Wille, wenn die Felder vertrocknen?

Maja Kobel: Es ist Gottes Schöpfung. Es ist alles gut, was Gott macht. Wir dürfen ihn zwar um Regen bitten – aber letztlich ist es ihm überlassen, was er daraus macht. Für mich ist es das Grösste, so mit dem Herrn unterwegs sein zu dürfen.

«Es ist alles gut, was Gott macht.»

Maja Kobel

Fritz Kobel: Für mich steht die Trockenheit sinnbildlich für das Leben; manchmal muss man durch eine Wüste oder ein dunkles Tal schreiten. Es ist normal, dass sich Menschen in schwierigen Situationen gegenseitig helfen. Und das ist es, was die Bauerngebetsgruppen ausmacht.

Wie genau hilft Ihnen Gott im Alltag?

Hostettler: Es sind oft die Erfahrungen, die man aus menschlicher Sicht nicht nachvollziehen kann. Wir hatten einmal eine Kuh, die während dem Abkalben ausrutschte und sich nicht mehr bewegen konnte. Das Kalb konnten wir glücklicherweise noch lebend holen. Wir haben dann über der Kuh gebetet – und plötzlich stand sie wieder auf. Das war ein riesiges Geschenk für uns.

Maja Kobel: Ich glaube auch, dass die Kuh ohne ein Gebet nicht aufgestanden wäre. Ich erinnere mich, dass wir auch einmal eine Kuh hätten zum Metzger bringen sollen …

Fritz Kobel: Das war ein Erlebnis. Wir hatten einmal eine Kuh, die nach dem Kalben festlag. Wir haben dann über der Kuh gebetet. Weil sich die Situation nicht verbesserte, musste ich schliesslich den Metzger aufbieten. Mich reute damals die Kuh; noch viel mehr geschmerzt hat mich, dass unsere Gebete nicht erhört wurden. Am Mittag waren genau die richtigen Leute dabei, die Kühe rauszulassen: mein Sohn, der damals Jesus noch nicht als Erlöser sah, und unser Lehrling, der sagte, dass er sich aus dem Beten raushalte. In dem Moment, als die Beiden die Kühe raustrieben, stand auch die festliegende Kuh auf und ging mit der übrigen Herde auf die Weide. Die Kuh stand im allerletzten Moment auf, eine halbe Stunde später hätten wir sie geschlachtet. Und solche Situationen sind für mich Händedrücke, die zeigen, dass Gott erlebbar ist. Ich möchte keinen Glauben, der mich auf die Zeit nach meinem Tod vertröstet. Ich will Gott schon hier erleben. Es wäre aber ein falscher Glaube, nur zu beten und darauf zu vertrauen dass dann alles gut wird. Aber Du hast auch schon vieles erlebt, Werni.

Hostettler: Ja, ich hatte psychische Probleme. Ich hatte keine Kraft mehr und musste in eine Klinik. Für mich war es ein harter Weg zurück. Aber es gab viele Menschen, die für mich gebetet haben; beim Bauerngebet, in kleinen Gruppen. Und ich habe gemerkt, wie mich das trägt. Fritz war einmal bei mir zu Besuch. Nachdem wir gemeinsam beteten, ging es mir wieder besser.

Was half Ihnen mehr? Gott oder das Wissen um die Kolleginnen und Kollegen, die mit Ihnen Zeit verbringen?

Hostettler: Beides. Sowohl das Wissen darum, dass Freunde da sind, als auch das Wissen um eine höhere Kraft. Es gibt Zeiten, da muss man füreinander einstehen. Und ich erlebte auch Zeiten, wo man nicht so viel betet und denkt, dass Gott einen vergessen hat. Und dann sind die anderen da, die für einen Beten - und das gibt unglaublich viel Kraft.

«Das Wissen um eine höhere Kraft hilft mir.»

Werner Hostettler

Fritz Kobel: Das sind diese Momente, in denen Gott im Alltag erlebbar wird, wo Mut und Zuversicht ins Leben kommen. Ich glaube, das ist etwas, das enorm ermutigt. Wir waren deshalb auch schon in der Gebetsgruppe auf Höfen, haben dort gebetet und darum gerungen, dass Gott eingreift und die Situation verändert. Natürlich könnte auch die Mitgliedschaft im Jodlerclub dafür sorgen, dass man spürt, dass man nicht alleine ist. Aber die Kraft von Gott, die plötzlich kommt und dich einhüllt, tröstet und umarmt – das ist eine komplett andere Dimension. Und das ist, was jeder, der an Gott glaubt, erleben kann.​

Die Bibel an sich ist ein widersprüchliches Buch und letztlich ist es die Interpretation, die über die Anwendung entscheidet.

Fritz Kobel: Gott hat uns die Betriebsanleitung gegeben – und ich möchte da vor allem vom neuen Testament sprechen. Es hat uns die Weisheiten für den Alltag gegeben. Natürlich verändert sich diese Bedienungsanleitung in den Details. Sie kann sogar neue, zusätzliche Richtungen aufzeigen.

Hofstettler: Die Bibel hilft, das Gespräch zu suchen. Wenn irgendwer einem auf die Füsse stehen will, dann muss man nicht mit demselben zurückgeben, man soll ihn stattdessen segnen und ihm Gutes Wünschen. Ich habe das selbst so erlebt. Wir hatten auf unserem Betrieb Generationenprobleme – wie es sie an vielen Orten gibt. Wir haben nach der Betriebsübernahme nicht gleich weitergemacht, wie es der Vater tat und hatten Auseinandersetzungen. Wenn man sich das vergeben kann, hat man eine ganz andere Basis – und man kann wieder miteinander leben.

Die Ausführung von Religion ist von starken Ritualen geprägt. Wie gross ist bei den Gebetsgruppen der Druck, sich einzuordnen?

Fritz Kobel: Es ist freiwillig. Wer nicht beten will, der muss nicht dabei sein. Ein Gebetsabend folgt keinem vorgeschriebenen Muster. Es geht viel mehr darum, Gott die Ehre zu geben.​

Maja Kobel: Jeder ist in den Gebetsgruppen willkommen. Man kann man sich gegenseitig helfen. Man kann Gemeinschaft erleben, sich austauschen über die Wunder, die man erlebt.

Und wie äussert sich das tatsächlich?

Maja Kobel: Wir sehen jeden Tag kleine und grosse Wunder. Vielleicht erkennen wieder mehr Menschen, dass es nicht selbstverständlich ist, dass man jeden Tag genug zu essen hat, dass es Regen gibt, dass es schön ist oder dass ein Tier gesund zur Welt kommt. Diese Wunder zu spüren und zu erleben und zu wissen, dass es von Gott ist, ist ergreifend.

Hofstettler: Es ist die Nähe zur Schöpfung, damit arbeiten zu dürfen und verwurzelt zu sein. Landwirt ist der schönste Beruf, den man haben kann – wir haben ein Stück Erde, das wir bearbeiten dürfen, im Bewusstsein, dass wir nicht ewig auf dieser Erde leben werden, sondern uns nur für eine gewisse Zeit die Dinge ausleihen.

Maja Kobel: Der Mensch sät zwar, aber wir haben nicht in der Hand, was daraus wird.

Fritz Kobel: Ganz genau. Man kann Sonne, Regen, Sturm und Gewitter nicht steuern. Der Landwirt merkt schnell, dass das Wetter entscheidend und eine Kraft von etwas Übernatürlichem ist. Klar, man kann sagen, das ist die Natur. Aber wer steuert die Natur? Da hilft es zu wissen, dass Gott Zuversicht, Hoffnung und Glauben geben und auch die Ernte positiv beeinflussen kann. Der Schöpfer will, dass der Mensch zurückkommt und fragt «Herr, was möchtest Du?». Sich dem hinzugeben, das hat für mich in den letzten 30 Jahren sehr gut funktioniert.

Das Kreuz in der Schule ist nicht mehr überall erwünscht, selbst die Präambel der Bundesverfassung – «Im Namen Gottes des Allmächtigen» – steht zur Diskussion. Macht Ihnen das Angst?

Fritz Kobel: Die Diskussion macht mir persönlich keine Angst. Aber ich habe das Gefühl, dass wertvolle Dinge herausgestrichen werden. Gott ist schliesslich souverän und er ist trotzdem Herr über uns und unser Land. Wenn wir ihm die Ehre geben, ist nicht so entscheidend, was in der Bundesverfassung steht; fehlen würde ein Bekenntnis.

Maja Kobel: Das ist Wesentlich. Gott ist der Herr über allem. Und wenn man nicht mehr dazu stehen kann, finde ich das krass. Es würde immer gottloser werden, wenn man Gott nicht mehr als Herr sieht und auch nicht mehr weiss, was Gott und sein Wort bedeuten. Die Werte, die uns Gott gegeben hat, sind wichtig. Ohne sie endet alles im Chaos.

«Für mich zählen die Werte.»

Fritz Kobel auf die Frage, was Religion für ihn ist.

Fritz Kobel: In der Welt würde sich wenig verändern. Allerdings wäre es schade, wenn die Werte verloren gingen, die dem Land seit 1291 die Segenslinie gegeben haben. Schlimm wäre, wenn diese Werte auch aus den Herzen gestrichen würden – die Verfassung an sich ist nicht so wichtig.

Hostettler: Ich könnte mir nicht vorstellen, dass die Präambel geändert wird; für mich ist Gott etwas so normales. Er gehört einfach dazu.