Die Permakultur hat in der Landwirtschaft bisher einen schweren Stand. Das ist verständlich, schliesslich klingt das Konzept eher nach Philosophie als nach landwirtschaftlicher Praxis und in der Landwirtschaft geht es meist um die Existenz. Einer, der trotzdem die Permakultur umzusetzen versucht, ist Roger Gündel. Auf seinem Birchhof in Oberwil-Lieli AG wird viel experimentiert. Gündel selbst sieht sich mehr als Praktiker denn als Philosoph. Man könne niemanden überzeugen, nur etwas vorleben, sagt er.

Biologisch ist nicht genug

Vor etwa sieben Jahren hat Roger Gündel festgestellt, dass er den Boden beim Pflügen und Bearbeiten «nicht mehr feinkörnig bekam». Dies, obwohl er zu diesem Zeitpunkt bereits biologisch produzierte. In der Folge reduzierte der Gemüsebauer die Bodenbearbeitung und begann mit Mischkulturen und Mulch zu experimentieren. Wichtig ist ihm der Aufbau der Humusschicht. Seit dem zweiten Weltkrieg sei diese Schicht in der Schweiz im Abbau begriffen, gibt er zu bedenken. Er sieht den Humus als eine Art Rückversicherung, eine Garantie für die Erträge der Zukunft. Einfrucht-Kulturen, also grosse Flächen mit nur einer Feldfrucht, vermeidet Gündel konsequent. In seinen Gewächshäusern sieht es entsprechend eher aus wie wild gewachsen als gezielt gepflanzt. Fleischige Spinatblätter wachsen zwischen Volgelmiere und purpurnen Taubnesseln hervor. «Jede Pflanze braucht eine gewisse Fläche, um gedeihen zu können», erklärt Gündel, «viel wird weggehackt, damit es sauber aussieht, nicht weil es nötig ist». Er sieht in den Wildkräutern keine Konkurrenz, sondern im Gegenteil einen Vorteil für seine Kulturen. Sie würden den Boden bedecken und so die Verdunstung reduzieren. «Die Luft ist über meinen Feldern spürbar angenehmer, auch im Hochsommer», erinnert sich der Gemüsebauer. Selbst im sehr trockenen Sommer 2018 sei Wassermangel auf seinem Betrieb kein Problem gewesen. Ausserdem seien die Wurzelausscheidungen der Untersaaten und Beikräuter wachstumsfördernd für das Gemüse und viele Wildpflanzen wie Vogelmiere seien essbar. Auf den Flächen des Birchhofs kommt auch kein Pflug mehr zum Einsatz. So sind die Fahrwege schnell grün überwachsen, was der Erosion auf dem Kartoffelacker entgegenwirkt. «Früher schwemmten Starkniederschläge im Sommer meinen Boden weg», erläutert Gündel. Dieses Problem habe er heute nicht mehr. Weiter gibt er nur die Hälfte der üblichen Menge Stickstoff, wodurch er weniger Probleme mit der Krautfäule habe.

Qualität statt Quantität

Angesprochen auf kleinere Erträge, kann Roger Gündel keine genauen Zahlen nennen. Er verwendet weder F1-Hybride noch Profisaatgut. Wenn er auf maximalen Ertrag hinarbeiten würde, hätte er wohl die doppelte Menge Gemüse, schätzt der Aargauer Bauer. «Aber dann würde ich die Qualität verlieren und dem Boden schaden. Ich könnte schon viel mehr verdienen.». Allerdings wären die Preise selbst bei biologischer Produktion bei einem Anbau aufs Maximum gegenüber dem Konsumenten nicht rechtfertigbar. Es sei aufwendiger, so zu arbeiten, aber über Beiträge werde ja viel zurückgezahlt. Und Helfer fände man immer, man müsse nur mit den Leuten reden. Stolz erzählt der Gemüsebauer von einem Besuch der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL. Die Forscher seien sehr erstaunt gewesen über seinen Boden, schmunzelt er: «Die Mykorrhiza in meinem Boden seien vergleichbar mit einem afrikanischen Dschungelboden. Sie dachten, ich würde schon seit vielen Jahren so schonend arbeiten.»

Zum Wohl des Bodens experimentiert der Birchhof mit verschiedenen Mulchmaterialien. Früher setzte Gündel Schafwolle ein. Diese zersetzte sich allerdings sehr langsam, deshalb verwendet er heute eher Grasschnitt und Laub. Die Mulchschicht hält den Boden feucht und reduziert den Unkraut- und Grasdruck. Gülle wird nicht ausgebracht. Früher habe er die Gülle der benachbarten Schweinezucht verwendet, aber damit machte man hier keine guten Erfahrungen. So stechen im Treibhaus heute die Salatköpfe wie grüne Farbpunkte aus der trockenen Laubschicht hervor. Den Pflanzen scheint es zu gefallen.

Im nächsten Gewächshaus wartet eine andere Besonderheit auf Besucher. Hier wird Nüsslisalat gezogen, allerdings stehen die kleinen Erdwürfel der Pflänzchen auf dem Boden. Sie sind nicht eingegraben. «Normalerweise funktioniert das so nicht», erklärt Martin Lichtenegger vom Kernteam des Vereins Permakultur Landwirtschaft. «Wahrscheinlich liegt das an der besonders aktiven Mykorrhiza», vermutet er. Zwar wirken die Treibhäuser etwas verwildert, in den Ecken wächst mehr oder weniger was will. Aber auch das lässt sich nutzen. Mit Blick auf eine grossblättrige Kapuzinerkresse am Rand des Folientunnels, bemerkt eine Mitarbeiterin, die könne man wohl auch bald ernten. Das Prinzip: Nutze die Lücken. Auf seiner eigenen Fläche und wo die Pächter einverstanden sind, pflanzt Gündel aktuell Bäume. Angst vor Mindererträgen durch den Schattenwurf der Baumkronen hat er nicht: «In Zukunft, wenn es heisser und trockener wird, hat das nur Vorteile». Im letzten Sommer beobachtete der Gemüsebauer Tau unter den Bäumen und Sträuchern – während anderswo die Felder verdorrten.

Konsumenten einbeziehen

Die Umsetzung der Permakultur erschöpft sich auf dem Birchhof nicht in Mischkulturen und Bodenverbesserung. Roger Gündel legt grossen Wert auf den Kontakt und die Mitarbeit seiner Kundschaft. Allerdings nicht im Sinne einer solidarischen Landwirtschaft. «Das haben wir ausprobiert, aber mit Arbeiten-Müssen haben wir schlechte Erfahrungen gemacht». Wenn die Leute arbeiten dürften, laufe es hingegen gut. Man wolle sich heutzutage einfach nicht verpflichten. Manche kämen aus einem Wunsch nach mehr Naturverbundenheit, Bewegung oder Menschenkontakt. Sabrina Volkart, ursprünglich eine Lehrerin, die auf dem Birchhof arbeitet, erzählt von Bedürfnissen, die sich ergänzen können. «Roger hat das Land, ich habe Zeit, also habe ich einen Teil der Versuchsfläche übernommen». Die Versuchsfläche ist die etwa 2,7 Hektare grosse Spielwiese des Birchhofs. Hier probieren Gündel, Volkart und diverse Interessierte relativ frei aus, wie sich Permakultur umsetzen lässt. Der Gemüsebauer nennt dieses Areal bevorzugt einen «produktiven Lebensraum». «Es geht darum, zu verstehen; wo eignet sich welche Pflanze mit welchen Nachbarn?», erklärt Volkart. Genau das sei gleichzeitig Kern und Problem der Permakultur für die Landwirtschaft: Es gebe kein Patent-rezept, man müsse den Standort beurteilen und viel ausprobieren. Zu Fehlern hat man daher auf dem Birchhof eine positive Haltung. Man berichtet offen über misslungene Versuche, ohne sich deswegen zu grämen. Der Lerneffekt zählt.

So entwickelte Gündel eine Art Express-Variante für grossangelegte Hügelbeete. Dafür fährt er mit dem Kipplader voller Material (vor allem Aststücke, in der zweiten Schicht Kompost) im Halbkreis und formt so das Beet. Darin hat es zwar viele Hohlräume, was für kleine Pflanzen wie Randen nicht geeignet ist. Dafür wachsen Kürbisse gut darauf. Den Kompost bezieht er von der Kompostieranlage. Im Gegenzug sammelt regelmässig einer seiner Mitarbeiter die zahlreichen Plastikstückchen in der Anlage aus dem Kompost.

Das Wissen weitergeben

Roger Gündel, Sabrina Volkart und Martin Lichtenegger betonen, wie zentral Versuch und Irrtum bei ihrem Tun seien. «Man kann niemanden überzeugen, nur eine mögliche Lösung vorleben», ist Gündel überzeugt. Gerne führen sie interessierte Landwirte über den Betrieb und begrüssen Freiwillige zum Pikieren, Ernten und Pflegen der Pflanzen. Lichtenegger versucht mit seinem Verein, Produzenten untereinander zu vernetzen und auch Konsumenten für die Idee zu gewinnen.

Ein neues Kundenverhältnis

«Für die Zukunft braucht es ehrliche Werbung, Bauern sollten ihren Betrieb, ihr eigenes Konzept vermarkten», erläutert Gündel. Es brauche ein neues Kundenverhältnis. «Jeder Landwirt kann bei sich anfangen mit Untersaaten und Mischkultur, auch konventionelle Produzenten. Es ist wichtig, in kleinen Schritten anzufangen». Die Botschaft vom Birchhof ist daher, im Kleinen zu beginnen, Misserfolge zu akzeptieren und Konsumenten ernst zu nehmen. «Wir müssen von den grossen Traktoren hinuntersteigen und wieder mehr auf den Boden achten», schliesst Gündel.

Besucher sind willkommen

Der Birchhof vermarktet all seine Produkte direkt, ist dreimal pro Woche auf dem Markt vertreten. Zudem werden Waren für 120 Gemüseabos in der weiteren Umgebung in Depots ausgeliefert. Auf dem Hof arbeiten vier Festangestellte, drei Lehrlinge und drei Praktikanten. Ausserdem sind freiwillige Helfer jederzeit willkommen.