Ein Betrieb muss rentieren, sonst hat er keine Zukunft. Politisch bzw. ökonomisch spricht man von der wirtschaftlichen Tragfähigkeit, die oft anhand des landwirtschaftlichen Einkommens gemessen wird. Dessen Berechnung wird immer wieder kritisiert, etwa vom Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverband (SBLV). Kritik kommt auch von wissenschaftlicher Seite: In einem Artikel bei «Agrarforschung Schweiz» fordern Naja El Benni von Agroscope und Robert Finger von der ETH Zürich eine ganzheitlichere Betrachtung.

Die falsche Perspektive

Erst einmal unterscheiden El Benni und Finger zwei verschiedene Perspektiven auf das landwirtschaftliche Einkommen:

Produktionsseitig: Sie zeigt die Wertschöpfung auf Betriebs- und Sektorebene, die mit dem Einsatz von Arbeit, Boden und Kapital erzielt wird.

Konsumseitig: Gibt an, wie viel Einkommen den Mitgliedern eines landwirtschaftlichen Haushalts insgesamt tatsächlich für den eigenen Konsum zur Verfügung steht. Dazu zählen sowohl Einkünfte aus landwirtschaftlichen als auch nicht-landwirtschaftlichen Tätigkeiten.

Das für den Konsum verfügbare Einkommen wäre ein Schlüsselelement zur Bewertung des Lebensstandards, heisst es weiter. Damit zeigt es auch, wie wirtschaftlich und sozial nachhaltig ein Bauernhof ist. Die Agrarpolitik solle sich daher vermehrt daran orientieren, wenn es um die Zielerreichung in Sachen landwirtschaftliches Einkommen geht. Bisher konzentriert man sich laut den Studien-Autoren häufig nur auf die produktionsseitige Perspektive.

Der Durchschnitt sagt nicht alles

Meist ist die Rede vom durchschnittlichen landwirtschaftlichen Einkommen, dass – z. B. im Fall des Jahres 2020 – gestiegen ist. Als Indikator der Entwicklung über die Zeit mag dieser Wert zwar funktionieren, das Wohlergehen der Menschen im Landwirtschaftssektor bildet der Durchschnitt aber nur bedingt ab. Laut Nadja El Benni und Robert Finger wäre auch die Variabilität des Einkommens zu berücksichtigen: Es zeige die Einkommensrisiken im Zeitverlauf. «Schwankende Einkommen mindern das objektive und subjektive Wohlbefinden, insbesondere risikoscheuer Landwirte, und verringern die Anreize zu produzieren, zu investieren und zu innovieren.»

Ungleichheiten sind auch wichtig

Als dritter Aspekt, der in der agrarpolitischen Diskussion vergessen zu gehen drohe, wird die Einkommensverteilung genannt. Ungleichheiten seien sowohl innerhalb der landwirtschaftlichen als auch im Vergleich zur nicht-landwirtschaftlichen Bevölkerung von Bedeutung.

Das Umfeld ändert sich

Nicht nur die Betriebe selbst befinden sich – mehr oder weniger gezwungenermassen – in einem Prozess ständiger Veränderung und Anpassung. Auch die Rahmenbedingungen von Markt, Umwelt und Politik haben sich in den letzten Jahren so verändert, dass «die Erkenntnisse und Instrumente aus der Vergangenheit heute zu verzerrten politischen Schlussfolgerungen führen können», warnen die Studienautoren. Sie betonen insbesondere drei Aspekte:

Die Betriebe werden komplexer: Das umfasst diverse Bereiche, sei es Technologie, Produktionssystem oder Einkommensquellen, aber auch rechtliche Fragen wie Eigentum, die geografische Streuung der Flächen oder Angestellte.

Sie sind mehr Risiken ausgesetzt: Z. B. fehlen im Falle des Klimawandels effiziente Versicherungslösungen, um vor Dürren oder Hitzewellen zu schützen. Das wirkt sich auf das wirtschaftliche Wohlergehen der Betriebe aus.

Die Agrarpolitik wird komplexer: Man muss verstehen, wie sich politische Massnahmen und Entscheidungen auf Ebene des Betriebs und eines landwirtschaftlichen Haushalts auswirken. Andernfalls kann der Einfluss solcher Massnahmen nicht bewertet werden.

Neuerungen für eine ganzheitliche Sicht

Es brauche neue Methoden und Daten, um die Einkommenssituation in der Landwirtschaft ganzheitlich analysieren zu können, schlussfolgern Finger und El Benni. Dabei gilt es das Umfeld genauso im Blick zu halten, wie die Konsummöglichkeiten einer Bauernfamilie und Einkommensniveau, -stabilität oder -verteilung.